Kreative Übung: Wie schreibt man einen Dialog zu Kafkas „Heimkehr“?

Die kreative Veränderung von Texten als große Chance des Deutschunterrichts

Deutschunterricht besteht ja zu großen Teilen aus Analyse und Interpretation von Texten. Umso schöner sind dann Gelegenheiten, wenn man dem Dichter gewissermaßen „in die Feder“ greifen kann. Nach dem Motto: Nun lass mich mal ran.

Ob Kafka dann seinen Platz am Schreibtisch geräumt hätte – wohl kaum. Aber wir als heutige Leser dürfen uns schon vorstellen, wie eine Geschichte auch anders hätte weiterlaufen können.

Dabei gilt das, was beim Weiterschreiben immer gilt und was wir mit „Trendscouts“ verglichen haben. Die schauen ja auch, was an Ideen im Bereich von Mode zum Beispiel schon da ist, nehmen das auf und versuchen, es noch in eine bestimmte Richtung weiterzuentwickeln und vielleicht auch zu beschleunigen. Vor allem aber geht es bei denen darum, etwas zum „Durchbruch“ zu verhelfen – denn damit ist das meiste Geld zu verdienen.

Darum geht es bei Kafka nicht – aber es macht einfach Spaß, eine Geschichte mal in eine andere Richtung laufen zu lassen.

Schauen wir uns die kleine Erzählung „Heimkehr“ daraufhin mal an. Da stellt sich der Ich-Erzähler an einer Stelle vor, was jetzt wäre, wenn jemand die Tür öffnen würde. Und jetzt geht es darum, an der Stelle einen Dialog einzufügen.

Wegen der möglichen Trends zerlegen wir die Geschichte schon mal in ihre Bestandteile, um herauszubekommen, was man davon im Sinne der Aufgabe Dialog verwenden kann.

Der Text, der verändert werden soll: Kafka, „Heimkehr“

Hierzu gibt es auch ein Video, das hier zu finden ist:
https://youtu.be/OHO0_5W6tUw

Die Dokumentation kann hier heruntergeladen werden.
Mat1976 Kreativ sein Kafka Heimkehr Dialog

 

  1. Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um.
  2. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind.
  3. Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche?
    • Offensichtlich ist sich der Erzähler sehr unsicher, wer überhaupt für einen Dialog in Frage kommt.
  4. Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht.
    • Wichtig für die Situation bei einem möglichen Dialog.
  5. Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn.
    • Diese Unsicherheit sollte im Gespräch eine Rolle spielen.
  6. Und ich wage nicht an die Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden könnte.
    • Zur Unsicherheit kommt eine Art Sprungbereitschaft – der Erzähler ist innerlich auf der Flucht.
  7. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den Kindertagen.
    • Diese Distanz muss bei dem Dialog irgendwie überwunden werden. Eine Idee könnte sein, dass jemand aus der Tür tritt und er stolpert beim Rückwärtsgehen und verletzt sich. So könnte es zu einem Dialog kommen.
  8. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren.
    • Hier erkennt man die innere Distanz, das Unvertrautsein mit denen, die drinnen sind. Überlegen müsste man, was das für Geheimnisse sein könnten.
  9. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man.
  10. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will.
    • Auch das ist ein Problem, dass der Erzähler selbst von sich vielleicht nichts preisgeben will.

Vorüberlegungen zu einer ersten Lösung

  1. Als erstes sucht man sich einen Ansatzpunkt, man könnte auch von einem „Einspringpunkt“ sprechen.
  2. Natürlich braucht man eine Idee, wie es zu dem Dialog kommt
  3. und auch eine Idee, wer da mit wem vor welchem Hintergrund spricht.
    1. Wir gehen davon aus, dass es sich um den Sohn der Familie handelt, der damals heimlich verschwunden ist, weil er nicht den väterlichen Hof übernehmen wollte, sondern lieber in die Welt hinaus wollte, um sein eigenes Leben zu leben.
    2. Das Gegenüber könnte seine Schwester sein, die aus dem Stall zum Beispiel frische Milch holen will.
  4. Der Rest ergibt sich dann eigentlich von selbst. Wichtig ist, nicht zu lange zu überlegen, sondern sich einem „Schreibfluss“ hinzugeben. Das kann man dann später immer noch überarbeiten.

Erster Versuch einer ersten Lösung

Heimkehr

Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind. Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn. Und ich wage nicht an die Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte.

Doch was ist das, da öffnet sich tatsächlich eine Tür. Es ist Lena, die Schwester. Nichts wie weg. Ein Sprung rückwärts und ich liege am Boden, voll in eine Harke getreten. Der Kopf brummt, mir ist schummerig vor den Augen. Dann ist Lena da. Angst hatte sie noch nie. Sie hat eine Milchkanne in der Hand und ganz große Augen.

  • L: Gregor, was machst du hier?
  • G: Ich zögere, denke nach, aber ich liege auch und komme nicht weg. Also doch lieber reden.
    Ich dachte, ich sollte nach Hause kommen. Hab alles gesehen, das reicht.
  • L: Ja, dann komm doch einfach.
  • G: Was wird Vater dazu sagen? Er wird immer noch sauer sein, denn wer sollte den Hof übernehmen, wenn ich abhaute.
  • L: Ja, er war sauer und auch ziemlich lange. Aber dann hat sich was geändert und seitdem ist er anders geworden.
  • G: Wirklich? Wieso?
  • L: Das bleibt Geheimnis, bis du bei uns am Tisch sitzt – und jetzt lass mich endlich die Milch holen. Und nicht wieder abhauen. Du hast sicher auch viel zu erzählen.

Ich habe später viel darüber nachgedacht, wieviel Glück man haben muss, damit sich genau im richtigen Moment eine Tür öffnet und man mit dem Reden beginnt.

Dann die Variante, die wohl eher Kafka entsprechen würde

  • Dies ist natürlich nur eine Lösung.
  • Und wem sie nicht gefällt, der kann sie ja verbessern.
  • Natürlich ist auch eine andere Lösung möglich – und sie würde wohl Kafka mehr entsprechen, dass es da nämlich die Chance zwar gibt, aber sie geht genauso schief, wie der ganze Text aufs Scheitern angelegt ist.

Doch was ist das, da öffnet sich tatsächlich eine Tür. Es ist Lena, die Schwester. Nichts wie weg. Ein Sprung rückwärts und ich liege am Boden, voll in eine Harke getreten. Der Kopf brummt, mir ist schummerig vor den Augen. Dann ist Lena da. Angst hatte sie noch nie. Sie hat eine Milchkanne in der Hand und ganz große Augen.

  • L: Gregor, was machst du hier?
  • G: Ich dachte, ich könnte zurückkommen.
  • L: So, einfach so?
  • G: Ach Lena, ich bin nicht mehr der von damals …
  • L: (unterbricht ihn): Neh, Gregor, fang nicht so an. Ich kenne deine Erklärungen. Die sind schön, aber nur für dich.
    Weißt du, wie ich hier geschuftet habe, als du weg warst, einfach so weg, obwohl wir dich brauchten.
  • G: Tut mir leid, aber versteh mich, ich wollte den Hof nicht übernehmen, ich wollte die Welt sehen.
  • L: Damit ist doch alles klar.
  • G: Wieso?
  • L: Nun, der Hof ist nichts für dich – aber du hast ja die Welt noch.
  • G: Willst du denn nicht wenigstens wissen, wie es mir ergangen ist?
  • L: Nein, mir reicht es, wie es uns ergangen ist.
  • Der Vater, in der Tür erscheinend: Lena, wo bleibst du? Ist alles in Ordnung?
  • L: Ja, alles klar, ich komm gleich.
  • L: zu Gregor: Und jetzt verschwinde, ganz schnell. Denn wie ich Vater kenne, kommt der gleich schauen, was los ist. Und der hat dann unseren neuen Hund gleich mit dabei.

Sie wandte sich von mir ab und ging zu den Milchkannen rüber. Von der Haustür hörte ich Bellen. Es war Zeit zu gehen.

Zur Kritik an dieser Lösung

Zu unserem Video gab es den kritischen Hinweis, ein solcher Dialog müsse sich „nahtlos“ in den vorhandenen Text einfügen. Wir sind sehr dankbar für den Hinweis und nehmen ihn gerne auf.

Da uns „leider“ gleich eine Lösung einfiel, die uns „typisch Kafka“ erschien, wir uns aber nicht trauten, sie als Sachtext zu präsentieren, wählten wir einfach den Weg aller, die sich mit Literatur „behelfen“ wollen oder müssen.

Deshalb nun die folgende Kurzgeschichte, die uns freundlicherweise Lars Krüsand zur Verfügung gestellt hat, der uns immer mal mit literarischen Fingerübungen unterstützt.

Das Missverständnis

Er hat sich so viel Mühe gegeben und jetzt stand unter der Klausur mangelhaft. Zunächst war er nur geschockt, dann versuchte er, das zu verstehen. Es hatte lange gedauert, bis Merketing, ihr Deutschlehrer, sich bereit erklärt hatte, statt der üblichen Erörterung einer Textstelle auch mal eine kreative Variante anzubieten. Es ging um die Erzählung „Die Heimkehr“ von Franz Kafka. In ihr kommt jemand nach Hause, offensichtlich ist er lange weg gewesen. Und jetzt zögert er, ist sich unsicher und fragt sich am Ende, ob nicht die dort im Haus genau so ihr Geheimnis wahren würden wie er selbst, wenn es denn zu einer Begegnung käme.

Die Aufgabe lautete nun, sich das konkret vorzustellen und einen entsprechenden Dialog zu gestalten. Da war er richtig stolz auf sich gewesen, als ihm ein Film einfiel, in dem ein junger Mann nicht den Betrieb des Vaters übernehmen wollte und deshalb einfach eines Nachts ohne Abschied verschwand. Und nun taucht er eben wieder auf und – sicherlich passend zu Kafka – ist es die Schwester, der er in dieser abgewandelten Variante jetzt begegnet. Natürlich hatte er dann in der Klausur genau diese Klischees verwendet, die an den Konfliktstellen entsprechender  Filme dann auftauchen:

Der Sohn denkt, er könne einfach zurückkommen, die Schwester denkt an das Leiden und die Schwierigkeiten, die sein plötzlicher Weggang ausgelöst hat, und will ihn nur wieder gehen sehen. Als er dann fragt, ob sie nicht wenigstens wissen wolle, wie es ihm ergangen sei, bekommt er die drastische Antwort, ihr reiche es, dass sie wisse, wie es ihnen ergangen sei. Auf dieses Wortspiel war er besonders stolz gewesen. Auch darauf, dass sie am Ende mit dem Vater und seinem Hund drohte. Denn was wäre Kafka ohne einen entsprechenden Vater.

Und jetzt war das mangelhaft. Erst wollte er die Klausur in die Ecke werfen, dann fiel ihm ein, wie er sie berichtigen könnte. Er dachte an Kafka und die schnörkellose Kürze seiner Sätze. Jeder Satz ein Hammerschlag gegen das Eis in uns selbst. So oder so ähnlich hatte er es gelesen.

Also noch mal den entscheidenden Satz gelesen und dann “voll auf Kafka” fortgeführt:

“Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will. Und es kam, wie es wohl kommen musste. Tatsächlich öffnete sich die Tür, jemand fragte, wer bist du? Ich fragte nur zurück: Und wer bist du? Dann hieß es: verschwinden, sich auflösen im Dunkel der Nacht.“

Er wusste, es war ein bisschen frech, sah aus wie der Versuch einer billigen Schnelllösung. Aber er wusste auch, dass Merketing ihn fragen würde, ob sie seine Lösung im Kurs diskutieren könnten. Er würde natürlich Ja sagen, ganz gleich, was dabei herauskommen würde. Schließlich musste man nicht jedes Geheimnis für sich behalten 😉

Weiterführende Hinweise

  • Wer sich für weitere kreative Ideen und Versuche interessiert, findet hier eine entsprechende Liste.
  • Ein alphabetisches Gesamtverzeichnis unserer Infos und Materialien gibt es hier.
  • Eine Übersicht über unsere Videos auf Youtube gibt es hier.