18: Das Kaiserreich um 1890: Der Wechsel von Bismarck zu Wilhelms II.
Das von Bismarck gegründete zweite deutsche Kaiserreich hatte zwei große Phasen: Einmal die, in der der Reichsgründer selbst noch die Politik bestimmte und vor allem das Erreichte sichern sollte. Danach gab es eine, wo man sich fragte, ob das schon alles gewesen war, und man nicht einen noch besseren Platz „an der Sonne“ verdient
hätte.
Um den Unterschied zwischen den beiden Phasen zu verdeutlichen, fassen wir zunächst noch einmal zusammen, was die Bismarck-Zeit auszeichnete,
1.1 Bismarck als weißer Revolutionär
Das Problem Bismarcks war, dass er letztlich das monarchische System erhalten wollte, ohne es einfach erhalten zu können. Man hat ihn auch als weißen Revolutionär bezeichnet, weil er zum Beispiel ohne Bedenken nach Siegen einzelne deutsche Monarchen in die Wüste schickte und auch in der Verfassung von 1871 keine Probleme damit hatte, das Volk auf erstaunlich moderne Weise sich in Wahlen artikulieren zu lassen. Er ging also davon aus, dass die meisten Deutschen dem Kaiser und dem Staat die Treue halten würden.
1.2 Bismarck als vorsichtiger Außenpolitiker
Seine Außenpolitik sah demgegenüber wie eine sehr fortschrittliche Politik des Ausgleichs und des Friedens aus. Nachdem er es nicht hatte verhindern können, dass die Militärs 1871 die Abtretung Elsass-Lothringens durch Frankreich erzwangen, wollte er vor diesem Hintergrund wenigstens versuchen, dem Deutschen Reich eine friedliche Zukunft zu sichern.
Kernpunkt seiner Politik war die Notwendigkeit, das auf Revanche dringende Frankreich zu isolieren. Als natürlichen Bündnispartner sah er Österreich an, daneben wusste er, wie wichtig das Wohlwollen Russlands gegenüber Deutschland war. Das hatte sich bei den preußischen Unionsplänen nach 1848 gezeigt – ohne Russland ging in Deutschland nichts. Da aber dieses Land in einem Dauerstreit mit Österreich auf dem Balkan lag, musste er irgend eine Lösung finden, die die drei Mächte zusammenhielt und auf jeden Fall verhinderte, dass Russland sich mit Frankreich zusammen tat.
Deshalb erfand er den so genannten Rückversicherungsvertrag, der beiden Staaten die Neutralität des jeweils anderen garantierte, wenn sie angegriffen wurden. Konkret bedeutete das, dass Frankreich nicht auf Russland zählen konnte und Österreich nicht auf Deutschland. Das Problem bei dieser schönen Lösung war nur, dass außer den beiden Regierungen niemand davon wusste, vor allem nicht das verbündete Österreich. Bismarck war damit auf dem Höhepunkt seiner Staatskunst angelangt, die konnte aber auf Dauer ohne Einbeziehung des Volkes und der Öffentlichkeit nicht funktionieren.
1.3 Bismarck ohne gleichrangige Nachfolger
Deshalb gab der Nachfolger Bismarcks, als dieser 1890 von dem neuen Kaiser Wilhelm II. entlassen wurde, den Gedanken dieser Art von Rückversicherung auch gleich auf, indem er den entsprechenden Vertrag nicht verlängerte. Im Ergebnis war das sehr gefährlich, denn schon vier Jahre später kam es zu der gefürchteten Annäherung Russlands an Frankreich. Als dann der neue Kaiser auch noch auf den wahnwitzigen Gedanken kam, zur stärksten Armee des Kontinents auch noch eine starke Flotte aufbauen zu lassen, machte er sich damit England zum Feind. Dieses bereinigte seine Probleme 1904 mit Frankreich und 1907 mit Russland. Damit konnten Deutschland und Österreich sich von dieser sogenannten Entente eingekreist fühlen, was sie mit dem Gedanken an einen Präventivkrieg spielen ließ.