Mascha Kaléko, „Vagabundenspruch“ (Mat1738)

Die Überschrift

Mascha Kaléko

Vagabundenspruch

  • Der Titel des Gedichtes deutet an, dass das Gedicht wahrscheinlich eine Art Lebensweisheit aus der Vagabundenszene oder anders ausgedrückt: aus dem fahrenden Volk wiedergibt.
  • Bei dem Gedicht einer bekannten Dichterin kann man annehmen, dass hier nicht irgendein Spruch wiedergegeben wird, der real im Umlauf ist. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass hier eine Vagabundenweisheit in eine besondere, lyrische Form gebracht wird.

Strophe 1

  • Das Gedicht beginnt dann auch mit einer Art Ratschlag, der dazu auffordert, nich zu lange an einem Ort zu bleiben.
  • Das entspricht natürlich der Lebensweise, die man mit dem Begriff des Vagabunden verbindet.
  • Sehr geschickt ist und nachdenklich stimmt die doppelte Verwendung des Bildes von „seinen Mantel an den Nagel hängen“.
  • Damit ist zunächst einmal der ganze reale Vorgang gemeint, dass man mit dem Aufhängen des Mantels erst mal auf eine Weiterreise verzichtet.
  • Bekannt ist aber auch die Wendung: „etwas an den Nagel hängen“, was dann bedeutet, dass man endgültig mit etwas aufhört – zum Beispiel einer beruflichen Tätigkeit oder einem Hobby.
  • Und das ist dann genau die zweite Variante dieser Wendung, die etwas überspitzt, aber sehr einprägsam deutlich macht, dass man am Ende möglicherweise nur noch an diesem Nagel hängt.
  • Das kann man so verstehen, dass man außer diesem Ankommen eigentlich an dem Ort nichts gefunden hat, was einen dort auf Dauer hält.
  • Anregung:
    Es ist sicherlich interessant, sich Situationen zu überlegen, in denen man tatsächlich persönlich, im Hinblick auf eine Reise oder auch im Berufsleben irgendwo hängenbleibt. Die Frage ist dann, ob man die Vorteile eines solchen Bleibens dann nutzen kann oder ob nicht noch andere Möglichkeiten oder eine Weiterentwicklung dabei verloren gehen.
  • Die beiden letzten Verszeilen dieser Strophe beschreiben dann eine Situation, in der man vergessen hat, dass „auch die düsteren, engen / Gassen ins Offene führen, in die unendliche Welt“.
    Damit ist gemeint, dass jeder Aufbruch erst mal eine gewisse Anstrengung und auch Unsicherheit mit sich bringt im Vergleich zu dem, was man am alten Ort hat. Aber jeder Aufbruch stellt auch mehr oder weniger viele Möglichkeiten bereit – vor allem dann, wenn man sie zu erkennen und zu nutzen weiß.
  • Anregung:
    Auch hier könnte man versuchen, dieses Bild mit einer Erfahrung zu verbinden. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass man irgendwo angekommen ist, dort es auch einigermaßen gut findet und sich scheut, das, was man dort hat, aufzugeben. Das kann dann dazu führen, dass man sich nicht mehr verbessert.
    Nicht von ungefähr ist es in einer Bewerbungssituation nicht unbedingt von Vorteil, wenn man sich erst nach 20 Jahren in einem Betrieb nach etwas Neuem umsieht.

Strophe 2

  • Die zweite Strophe konkretisiert das ein bisher Gesagte und bezieht es auf die Stadt als den Inbegriff der Sesshaftigkeit.
  • Interessant ist die Begründung für diese Distanz, nämlich die These, dass die „Türme und Mauern“, also die Kennzeichen früherer Städte weniger Bestand haben als die Natur, in der man mehr noch so etwas wie Gottes Schöpfung sieht als nur ein Menschenwerk.
  • Die drei Schlusszeilen stellen die Frage, was denn ein Vagabund überhaupt an Zuneigung und Erinnerung zu erwarten hat. Hervorgehoben wird sein Problem-Eigenschaft, überall ein Zugereister zu sein und damit nicht heimisch.
  • An zwei Beispielen wird das auf recht extreme Art und Weise verdeutlicht:
    • Zunächst geht es um Herbergsschild, wohl gemerkt, nicht um die Erinnerung zum Beispiel des  Wirts der Herberge.
    • Das zweite Beispiel ist ein Polizist, der naturgemäß zumindest in früheren Zeiten ein distanziertes Verhältnis hatte zu solchen zugereisten Vagabunden. Da wollte man auch gar nicht im Gedächtnis bleiben.
  • Anregung:
    Auch dieser Teil des Gedichtes bietet genügend Stoff zum Nachdenken. Dabei muss es nicht unbedingt um Vagabunden gehen. Man kann auch grundsätzlich darüber nachdenken, welche Menschen eigentlich im Gedächtnis bleiben. Und das Wort trauern deutet ja an, dass es hier um ein abgeschlossenes Leben geht, dass nur noch weiter bestehen kann, wenn eben daran gedacht wird.

Strophe 3

Was mich betrifft, ich weiß, es grünt das Feld,

Wenn längst kein räuiger Hund mehr nach mir bellt.

Um schiffe ziehn, und Küsten blühn für andre.

Wer weiß das nicht? … eis sich das so verhält

Auf dieser tollen, Wunder vollen Welt,

Nimm deinen Mantel von der Wand und wandre.

  • Zu in der letzten Strophe wird ganz klar, dass es jetzt nicht mehr um allgemeine Lebensweisheiten geht, sondern um die ganz persönliche Position des lyrischen Ichs zu dem, was vorher entwickelt worden ist.
  • Das Entscheidende ist, dass dieses lyrische Ich daran glaubt, dass da immer ein „grünes Feld“ noch bereitsteht, auch wenn man sich ganz weit von der normalen Situation entfernt hat.
  • Die nächste Zeile soll deutlich machen, dass man immer daran denken soll, dass woanders auch schon Leute etwas Gutes gefunden haben, so dass man das selbst auch versuchen kann.
  • Entscheidend ist nämlich die Bereitschaft ein Schiff zu besteigen und darauf zu vertrauen, dass man woanders wieder eine Küste findet, an der man anlanden kann.
  • Der Schluss ist ein Appell, der zunächst einmal diese Hoffnung und Erwartung als selbstverständlich proklamiert.
  • Genauso selbstverständlich wird dann mit einer entsprechenden Begründung operiert, die ähnlich hoffnungsvoll ist.
  • Am Ende kommt dann die Aufforderung, die sich auf den Anfang des Gedichtes zurück bezieht: Man soll deshalb jetzt möglichst schnell seinen Mantel vom Nagel nehmen und aufbrechen.

Anregungen zum Umgang mit dem Gedicht

  1. Wenn man das Gedicht verstanden hat, kann man sich vor allem mal mit dem Titel auseinandersetzen und überlegen, ob diese Feststellungen und diese Ratschläge wirklich nur für Vagabunden gelten.
  2. Natürlich kann man auch ein Gegengedicht schreiben, in dem man vielleicht auf die Gefahr hinweist, dass ständiges Unterwegssein eben auch die Gefahr mit sich bringt, dass eines Tages nirgendwo und von niemandem um einen getrauert wird.
  3. In dem Zusammenhang könnte man auch mal genauer recherchieren, was das für Menschen sind, die entweder freiwillig oder erzwungenermaßen diese besondere Lebensweise des Vagabunden wählen oder wählen müssen.

Wer noch mehr möchte …