Lars Krüsand, „Finden nicht suchen“ – oder: Wie man an ein Thema für ein Gedicht kommt

Entstehung eines Gedichtes

Das folgende Gedicht ist witzigerweise genauso entstanden, wie es selbst den Werdegang eines solchen Textes beschreibt.

Da sitzt man zusammen – und es entsteht ein Streit darüber, wie Gedichte entstehen, wie die Autoren zu ihren Themen kommen.

Und einer beteiligt sich nicht, an der Diskussion, sondern nimmt einen Stift und füllt langsam ein Blatt, streicht, stellt um, ergänzt und schließlich fragt er, ob er nicht sein Gedicht vorlesen sollte, das genauso entstanden sei, wie er sich das vorstelle:

Da „schreit“ eine Situation einen an – man hält an, denkt nach – und langsam formen sich erst die Gedanken und dann auch passenden Worte.

Der Text des Gedichtes

Lars Krüsand

Finden statt suchen

 

Viele wollen auch mal

ein Gedicht schreiben.

Und dann – so heißt es –

scheitert es am Thema.

Aber so etwas wird nicht gesucht,

sondern man stößt drauf.

 

Darum: erst mit offenen

Augen durch eine Welt

laufen, die geradezu darauf

wartet, ent-deckt zu werden.

 

Wir sind umgeben

von Geheimnissen,

aus denen wir nur

Fragen machen müssen.

 

Und wenn wir glauben,

eine Antwort zu haben,

dann gibt es nur eins:

schleifen, drücken, formen,

bis sie sich

in Verszeilen

fassen lässt.

 

Also dann:

Hört auf mit dem Suchen!

Streift durch die Welt

Und wenn ihr auf etwas stoßt

das euch bittend anschaut,

von euch ent-deckt

werden will,

dann

geht nicht vorbei,

nehmt euch die Zeit,

sucht nach den

richtigen Worten,

die das

Gesehene

und

Verstandene

zum treffenden Bild

machen.

Anmerkungen zu diesem spontanen Gedicht

Natürlich war es dann wie immer: Kaum stand das Gedicht im Raum, da ging es auch schon los. Jetzt aber nicht mehr um die Frage und die Antwort, sondern um ihre Form.

  1. Das Gedicht sei zu wenig konzentriert, zu sehr erinnere es noch an normale Texte.
  2. Das wurde aber zurückgewiesen, denn es sei ja ganz eindeutig eine Versform vorhanden.
  3. Auch sei durchaus ein gewisser Rhythmus vorhanden – allerdings stellte der sich erst ein, als der Autor das Gedicht im entsprechenden Singsang vortrug.
  4. Gut fand man das Spiel mit dem Wort „finden“, das ja sowohl das Ende eines quälenden Such-Prozesses beschreibt wie auch das spontane Stoßen auf etwas.
  5. Auf Anklang stieß auch die Vorstellung, dass da bestimmte Dinge einfach darauf warten, wahrgenommen zu werden.
  6. Ein ganz Kluger verwies auch gleich auf Eichendorffs „Wünschelrute“.
  7. Positiv gesehen wurde auch der Dreiklang von „schleifen, drücken, formen“.
  8. Womit man wieder beim Anfang war: Ob hier nicht noch mehr hätte gedrückt werden können.
  9. Darauf der Autor ganz cool: „Kein Problem, probiert es doch einfach aus!“
  10. Ein anderer fand das sehr gut und verwies auf das alte Indien. Dort sei es üblich gewesen, dass kluge Sprüche einfach auf eine große Wand geschrieben wurden – ohne Angabe des Namens. Es gab also keinen Autor, der Anspruch genau auf diese Formulierung hatte. Vielmehr konnten andere daran weiterarbeiten und auch Neues bauen. Und das mache eigentlich am meisten Mut, es auch selbst mal zu probieren. Jede Kritik wird einfach als Vorschlag verstanden und geht zurück an den Absender: Denn ein Verbesserungsvorschlag ist nur einer, wenn tatsächlich so auch verbessert wird. Und das kann doch am besten der, der die Idee hatte.

Am Ende entstand dann noch ein Ratschlag:

„Nicht ein Gedicht schreiben wollen, sondern die Augen aufmachen, die Welt wahrnehmen, ein entsprechendes Gefühl oder einen Gedanken in sich aufbauen und dann überlegen, wie man das so kurz und treffend wie möglich ausdrücken kann.“

Ein schönes Beispiel ist das Gedicht von Bertolt Brecht mit dem Titel Radwechsel.