An den folgenden beiden Absätzen kann man sehr schön sehen, wie die Brüder Grimm ihr Projekt einer Sammlung von Märchen mit allgemeinen Überlegungen zur Zeit verbunden haben:
Glück im Unglück bei der Ernte
- „Wir finden es wohl, wenn von Sturm und anderem Unglück, das der Himmel schickt, eine ganze Saat zu Boden geschlagen wird,
- dass noch bei niedrigen Hecken oder Sträuchen, die am Wege stehen, ein kleiner Platz sich gesichert hat, und einzelne Ähren aufrecht geblieben sind.
Eine Chance für kleine Überbleibsel
- Scheint dann die Sonne wieder günstig, so wachsen sie einsam und unbeachtet fort:
- keine frühe Sichel schneidet sie für die großen Vorratskammern,
- aber im Spätsommer, wenn sie reif und voll geworden, kommen arme Hände, die sie suchen,
- und Ähre an Ähre gelegt, sorgfältig gebunden und höher geachtet als sonst ganze Garben, werden sie heimgetragen,
- und winterlang sind sie Nahrung, vielleicht auch der einzige Samen für die Zukunft.“
Ausgangspunkt des Zitats
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- Ausgegangen wird von einem Naturphänomen, nämlich der Zerstörung eines ganzen Feldes durch zum Beispiel einen Sturm.
- Diesem allgemein bekannten Phänomen wird dann aber eine Besonderheit hinzugefügt, die in dem Zusammenhang auch auftauchen kann – nämlich „ein kleiner Platz“, der verschont geblieben ist und bei dem die Ähren „aufrecht geblieben sind.“
Die weitere Entwicklung
- Anschließend geht es um die weitere Entwicklung, bei der die Rahmenbedingungen für das Wachsen und Reifen wieder besser sind. Wichtig ist der Hinweis, dass das hier „einsam und unbeachtet“ geschieht.
- Dies rettet nämlich diese Ähren vor einer zweiten Gefahr, nämlich gewissermaßen der Beschlagnahmung durch die Besitzer des Feldes, die sie in ihren „Vorratskammern“ unterbringen.
Der Zielpunkt des Textes
- Dann nähert sich der Text dem Zielpunkt, nämlich dem Spätsommer, wo diese speziellen Reste von armen Menschen genutzt werden können, die sie dabei verständlicherweise besonders beachten. Denn sie haben für sie natürlich einen höheren Wert als die anderen, die dem normalen Verwertungsprozess der Besitzer zugeführt werden.
- Der Schluss verweist auf zwei Nutzungsmöglichkeiten dieser speziellen Ähren, einmal als direkte Nahrung, dann aber auch als Samen für die möglicherweise dauerhafte Nutzung durch diese armen Leute.
Rückblick auf die frühere Welt der Lieder, Sagen und Märchen
- „So ist es uns vorgekommen, wenn wir gesehen haben, wie von so vielem, was in früherer Zeit geblüht hat, nichts mehr übrig geblieben, selbst die Erinnerung daran fast ganz verloren war,
- als unter dem Volke Lieder, ein paar Bücher, Sagen und diese unschuldigen Hausmärchen.
- Die Plätze am Ofen, der Küchenherd, Bodentreppen, Feiertage noch gefeiert, Triften und Wälder in ihrer Stille, vor allem die ungetrübte Phantasie sind die Hecken gewesen, die sie gesichert und einer Zeit aus der andern überliefert haben.“
Übertragung des Bildes der Ernte auf die Welt der Märchen
- Das eben Beschriebene wird nun verwendet, um einen anderen Prozess zu verstehen, nämlich den Verlust von vielem, „was in früherer Zeit geblüht hat“. Dabei dürfte es im weitesten Sinne um kulturelle Erfahrungen und Güter gehen.
- Dann wird auf die Teile davon, die erhalten geblieben sind, wozu Lieder, Sagen und eben die Hausmärchen gehören. Sie sind für die Grimms also kostbare Erinnerungsreste an frühere Zeiten.
- Anschließend werden Orte und Situationen aufgeführt, wo sich so etwas erhalten hat. Die werden als schützende „Hecken“ gesehen, die diese Kulturbestandteile erhalten haben, so dass sie fortwirken können.
Hinweis auf die Französische Revolution und ihre Folgen
Es spricht einiges dafür, dass die Brüder Grimm sich bei dem Verlustprozess beziehen auf den Prozess der Modernisierung und dann auch revolutionären Veränderungen, deren Höhepunkt die Französische Revolution bildet. Die hat ja zum Beispiel den alten Kalender und viele Ortsbezeichnungen verändert und sogar versucht, eine Religion der Vernunft einzuführen.
„Aufhebung“ der Klöster
In die Zeit des Gesamtprozesses der Entstehung der „Kinder und Hausmärchen“ fällt ja auch ein besonderer kultureller Tsunami, nämlich die „Aufhebung“ der Klöster und anderer religiöser Einrichtungen im Rahmen der sogenannten „Säkularisation“ um 1800. Dabei wurde zum Teil wenig Rücksicht auf zum Beispiel die Bibliotheken genommen. Es sollen Bücher sogar zum Pflastern von Wegen verwendet worden sein.
Zusammenfassende Auswertung des Zitats
In diesem revolutionären Prozess der Zerstörung wollen die Grimms etwas bewahren, das dann erneut kulturelle Früchte tragen kann.
Wer noch mehr möchte …
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