Von Wolfdietrich Schnurre gibt es einen Text mit dem Titel „Beste Geschichte meines Lebens“, in dem er einen ungeheuerlichen Fall auf eine äußerst seltsame Weise präsentiert.
Dem Blogger, der auf seiner Seite
https://icewolf.blogger.de/stories/1373044/
sagt, dass er so „fasziniert“ sei, dass er den Text „nicht oft genug lesen kann“, kann man nur zustimmen.
Das Besondere ist der telegrammartige Stil des Textes, bei dem man nicht weiß, ob es ein Tagebucheintrag ist oder eine Fiktion über eine Fiktion.
Wir versuchen hier einfach mal, diese Textform auf etwas anderes zu übertragen – und hoffen natürlich, dass wir Nachahmer finden:
Das Schaubild macht schon mal deutlich, dass es in dieser Film-Geschichte um ein In-einander-Übergreifen von Realität und Literatur geht.
- Eine Frau wird für einen Verleger-Autor zum Stoff eines Romans.
- Der wird ein Erfolg.
- Die Frau interessiert sich für den Autor.
- Sie verlieben sich.
- Dann denkt sie, sie sei nur benutzt worden.
- Der Verleger-Autor zeigt seine wahre Liebe, indem er seine Wünsche für ein gemeinsames Happy End dem Roman als neuen Schluss anhängt.
Nun aber etwas ausführlicher und nachdenklicher.
Lars Krüsand,
Bester Film meines Lebens
Immer wenn ich über das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit nachdenke, fällt mir ein Film ein, dessen Titel ich vergessen habe und auf dessen Handlung es in allen Einzelheiten gar nicht ankommt. Vielmehr ist es die Idee, die mich faszinierte. Da ist der Lektor eines Verlags, der einen Roman schreiben möchte – und beim Abendspaziergang durch Paris sieht er, wie eine junge Frau in einem Restaurant mit großer Eleganz und einem wunderbaren Lächeln Speisen aufträgt. Damit hat er den Stoff für den Roman. Er fängt an, diesen fast auf ein Foto reduzierten Kurzfilm zu einer richtigen Handlung auszubauen. Als er mit dem Schreiben fertig ist und sein Boss dringend von ihm als Lektor will, dass er endlich mal einen neuen Autor ranschleppt, erfindet er einen, der angeblich seinen Roman geschrieben hat. Der wird ein großer Erfolg – dadurch aber erfährt auch die junge Frau im Restaurant, dessen Name im Roman genannt wird, wie sie zu einer Titelfigur geworden ist. Beide erkennen dann, dass nicht nur er sich auf wundersame Weise in ihre wirkliche Persönlichkeit hineinversetzt hat, sondern sie merkt auch, dass dieser Mann sie versteht. Jetzt aber wird der Roman zum Problem für die Wirklichkeit. Sie empfindet seine Annäherung im nachhinein nur als Instrumentalisierung und will nichts mehr von ihm wissen. Jetzt aber sorgt die Fiktion für ein Happy End in der Realität. Die Frau findet eine Fortsetzung des Romans, die sich der Lektor in der Zeit des nachträglichen Durcheinanders von der Seele geschrieben hat und in der seine wirkliche Liebe und Hoffnung auch auf ihre Zuneigung deutlich wird. So kann er erlöst werden und alles wird gut.
Man denkt selbst aber noch lange darüber nach, ob die kurze Wahrnehmung einer Person und ihres Lächelns in einer ganz besonderen Situation es einem tatsächlich ermöglichen kann, sich dem Objekt der Faszination in einem Roman so sehr anzunähern, dass dieses sich später erkannt und verstanden fühlt.
Jetzt am Ende verlassen wir aber unseren kleinen Versuch, die „Beste Geschichte meines Lebens“ von Wolfdietrich Schnurre und lüften doch das Geheimnis, um welchen Film es sich gehandelt hat. Wir können ja behaupten, dass wir nach dem Schreiben des letzten Absatzes den Film zufällig noch einmal gesehen haben und deshalb wissen, dass es sich um „Das Lächeln der Frauen“ von Nicolas Barreau handelt, den man sich in unseren glücklichen digitalen Zeiten leicht selbst mal anschauen kann.
Vielleicht regt es dann ja den nächsten Behelfsschriftsteller (als solchen verstehen wir uns) dazu an, nun noch einen Schritt weiter zu gehen. So ziemlich jeder hat mal das Glück, kurz einen anderen Menschen als Quelle der Faszination zu erleben. Und wenn sich das nur literarisch lösen lässt, dann kann man das ja einfach tun.
Für uns ist immer der tragischste Moment, wenn sich so etwas auf einem Bahnhof abspielt, wo man die mögliche zweite Hälfte seines Lebens nur kurz im Gegenzug verschwinden sieht, während man selbst bereits anrollt und sich wahrscheinlich nie wieder sieht.