Szenenanalyse: Tipps zur Einordnung einer Szene in das gesamte Drama

Das Problem der Einordnung der einzelnen Szene

Bei der Analyse der Szene eines Dramas spielt die Einordnung in den Gesamtzusammenhang eine große Rolle. Am wichtigsten ist dabei die Klärung der Voraussetzungen, also der Dinge aus dem bisherigen Verlauf, die in der „akuten“ Szene von Bedeutung sind.

In einem anderen Video sind wir schon darauf eingegangen, welche Rolle dabei sogenannte Momente, also einwirkende Kräfte spielen und wie man sie findet.
https://youtu.be/7oC33GWDXXE

In diesem Video geht es um die praktische Frage, wie man in einer Klassenarbeit oder Klausur möglichst schnell alles zusammen hat, was man für diesen Aufgabenteil braucht.

Das Video selbst ist  hier zu finden:
https://youtu.be/JIiDZ2U8kzY

Die Dokumenation zum Video kann hier heruntergeladen bzw. angeschaut werden:

Mat2028-Tipps zur Einordnung einer Szene

Timeline des Videos:

0:00 Thema
0:26 Überblick
1:31 Auswahl aus Liste
5:39 Früheres Video
6:56 Schaubild-Überblick
8:28 ausführliche Variante
8:50 Dokumentation

Die Lösung: gezielte Vorbereitung mit einem hilfreichen Schaubild

Wir schlagen vor, sich im Rahmen der Vorbereitung die letzte Szene vorzunehmen und von dort aus eine Liste der Momente aufzustellen. Dabei kann es durchaus sein, dass es verschiedene Stränge gibt, je nachdem welches Teilthema des Dramas in der zu untersuchenden (also „akuten“) Szene gerade eine Rolle spielt.

Beispiel:  Das Theaterstück „Terror“

Wir nehmen dieses Beispiel, weil es vergleichsweise einfach aufgebaut ist.

Es geht nur um einen einzigen Konflikt, nämlich die Frage, ob jemand, der in einer Notsituation wenige Menschen tötet, um viel mehr zu retten, vor Gericht wirklich mit einem Mordvorwurf konfrontiert werden kann – mit der entsprechenden Strafe.

In dem Theaterstück geht es um die Entführung einer Passagiermaschine mit 164 Menschen an Bord, die als Waffe gegen ein großes Stadion eingesetzt werden soll, in dem sich 70.000 Menschen befinden.

Ein Pilot, der den Auftrag hat, die Maschine abzudrängen, muss einsehen, dass das nicht möglich ist. In letzter Sekunde entscheidet er sich, diese Maschine gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, der sich der zuständige Verteidigungsminister anschließt, doch abzuschießen. Vor Gericht sieht er sich mit dem Vorwurf des Mordes an 164 Menschen konfrontiert.

Zur Vorbereitung des Urteils wird er selbst vernommen und einem intensiven Verhör durch die Staatsanwältin ausgesetzt. Außerdem gibt es die Einlassung seines Verteidigers, der stellvertretend für den Piloten dessen Sicht der Dinge deutlich macht. Dazu kommen zwei Zeugenaussagen, eines leitenden Beamten im zuständigen Kontrollzentrum und der Witwe eines Absturzopfers, und schließlich die Schlussplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung.

Das Stück ist so angelegt, dass die Zuschauer, die als Schöffen betrachtet werden, sich ein eigenes Urteil bilden sollen. Sie können die eigene Entscheidung dann an Hand von zwei gegensätzlichen Urteilen überprüfen.

Übersicht über die dramatische Entwicklung

  1. Die einführende Ansprache des Vorsitzenden Richters macht das Spannungsverhältnis deutlich zwischen dem Gericht als „Bühne“ (S. 8) und dem Hinweis darauf, dass der Angeklagte auch als „Mensch“ (S. 9) zu betrachten sei. Auf jeden Fall wird auch der Ernst der Lage deutlich, denn es gehe darum, „Unordnung wieder in Ordnung zu bringen.“
  2. Die Verlesung der Anklageschrift macht dann die eine Seite ganz deutlich, nämlich die Einschätzung des Verhaltens des Angeklagten als „Verbrechen des Mordes“ (S. 15) an immerhin 164 Menschen.
  3. Der Verteidiger weist diese Einschätzung für den Angeklagten mit dem Hinweis zurück, dass mit dem Einsatz von Passagierflugzeugen als Waffe eine neue Situation entstanden sei, auf die auch mit einem Abschuss zu reagieren, das Bundesverfassungsgericht mit Hinweis auf die Gleichwertigkeit eines jeden Lebens untersagt hat. Demgegenüber habe der Angeklagte „Mut und die Kraft zu handeln“ (S. 19) bewiesen und sei nicht zu verurteilen.
  4. Das Verhör des Zeugen Lauterbach macht dann deutlich, dass unter den Soldaten eine Mehrheit in einem solchen Fall für einen Abschuss sei. Die Staatsanwältin sieht keine Grundlage für einen „übergesetzlichen Notstand“ und fragt, ob das Ganze möglicherweise als Wette behandelt worden sei. Deutlich wird zudem, dass an eine Räumung des Stadions nicht einmal gedacht worden sei, was die Entscheidungssituation für den Angeklagten deutlich verschärft habe.
  5. Beim Verhör des Piloten durch die Staatsanwältin prallen die gegensätzlichen Auffassungen unvereinbar aufeinander. Koch macht einen Punkt, indem er auf die Gefahr verweist, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Terroristen ermutigen könnte bzw. es ihnen besonders leicht mache, viele Menschen zu töten. Während die Staatsanwältin ihm vorwirft, sich wie eine Art Gott über Menschen zu stellen, verweist der Soldat auf seinen Eid, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Sein Zögern bei der Frage nach seinem Verhalten bei persönlicher Betroffenheit ist menschlich verständlich, schwächt aber seine Position.
  6. Die Vernehmung der Zeugin Meiser nimmt diese persönliche Betroffenheit auf und stärkt damit zumindest emotional die Position der Staatsanwältin, dass jedes Leben zählt und man es nicht einfach verkürzen dürfe.
  7. Das Plädoyer der Staatsanwältin nimmt die zentralen Argumente noch mal auf (Bundesverfassungsgericht, jedes Leben zählt), macht es sich aber zu leicht mit der völligen Ablehnung eines übergesetzlichen Notstandes. Vor allem schwächelt sie bei der Schwarzweißmalerei von Unschuld oder Schuld an Massenmord.
  8. Das Plädoyer des Verteidigers setzt genau bei diesem Verhältnis von Prinzipien und realen Fällen an und zeigt eine Lösung des Dilemmas auf: Dabei kann ein Mensch eigenverantwortlich entscheiden, muss sich aber der Überprüfung stellen, das Urteil kann dann allerdings mildernde Umstände berücksichtigen gegenüber dem kategorisch-einseitigen Mordvorwurf der Staatsanwältin. Außerdem wird noch einmal der Schwachpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einer Situation deutlich gemacht, die eigentlich Krieg bedeutet.

Dramatische Entwicklung als rückblickende Liste von „Einflusskräften“

  1. Die einführende Ansprache des Vorsitzenden Richters hat deutlich gemacht,
    1. dass es sich bei dem Prozess zum einen um eine „Bühne“ (S. 8) handelt, auf der der Fall öffentlich verhandelt wird.
    2. Andererseits soll der Angeklagte auch als „Mensch“ (S. 9) betrachtet werden.
    3. Das höchste Ziel aber ist, „Unordnung wieder in Ordnung zu bringen.“
  2. Die Verlesung der Anklageschrift hat dann die eine Seite ganz deutlich gemacht,
    1. nämlich die Einschätzung des Verhaltens des Angeklagten als „Verbrechen des Mordes“ (S. 15) an immerhin 164 Menschen.
    2. Damit bleibt kein Raum für die Besonderheit dieses Falles und die Frage von mildernden Umständen.
  3. Der Verteidiger hat diese Einschätzung für den Angeklagten mit dem Hinweis zurückgewiesen,
    1. dass mit dem Einsatz von Passagierflugzeugen als Waffe eine neue Situation entstanden sei,
    2. in der der Angeklagte „Mut und die Kraft zu handeln“ (S. 19) bewiesen habe und deshalb nicht zu verurteilen sei.
  4. Das Verhör des Zeugen Lauterbach hat deutlich gemacht,
    1. dass unter den Soldaten eine Mehrheit in einem solchen Fall für einen Abschuss sei.
    2. Die Staatsanwältin sieht keine Grundlage für einen „übergesetzlichen Notstand“
    3. und fragt, ob das Ganze möglicherweise als Wette behandelt worden sei.
    4. Deutlich wird zudem, dass an eine Räumung des Stadions nicht einmal gedacht worden sei, was die Entscheidungssituation für den Angeklagten deutlich verschärft hat.
  5. Beim Verhör des Piloten durch die Staatsanwältin sind die gegensätzlichen Auffassungen unvereinbar aufeinandergeprallt.
    1. Koch hat einen Punkt gemacht, indem er auf die Gefahr verweist, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Terroristen ermutigen könnte bzw. es ihnen besonders leicht mache, viele Menschen zu töten.
    2. Die Staatsanwältin hat ihm vorgeworffen, sich wie eine Art Gott über Menschen zu stellen.
    3. Dem gegenüber hat Koch als Soldat auf seinen Eid verwiesen, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden.
    4. Sein Zögern bei der Frage nach seinem Verhalten bei persönlicher Betroffenheit ist menschlich verständlich, hat aber seine Position geschwächt.
  6. Die Vernehmung der Zeugin Meiser
    1. hat diese persönliche Betroffenheit aufgenommen
    2. und damit zumindest emotional die Position der Staatsanwältin gestärkt, dass jedes Leben zählt und man es nicht einfach verkürzen dürfe.
  7. Das Plädoyer der Staatsanwältin hat dann das zentrale Argument der Anklage noch mal aufgenommen:
    1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass jedes Leben gleich zähle.
    2. Geschwächt hat sie ihre Position allerdings mit der völligen Ablehnung eines übergesetzlichen Notstandes.
  8. Das Plädoyer des Verteidigers
    1. setzt genau bei diesem Missverhältnis von Prinzipien und realen Fällen an
    2. und zeigt eine Lösung des Dilemmas auf:
      Dabei kann ein Mensch eigenverantwortlich entscheiden, muss sich aber der Überprüfung stellen, das Urteil kann dann allerdings mildernde Umstände berücksichtigen gegenüber dem kategorisch-einseitigen Mordvorwurf der Staatsanwältin.
    3. Außerdem wird noch einmal der Schwachpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einer Situation deutlich gemacht, die eigentlich Krieg bedeutet.

Kurz-Übersicht: Liste von „Einflusskräften“ im Drama

  1. Einführung durch Vorsitzenden Richter
    1. „Bühne“ (S. 8)
    2. „Mensch“ (S. 9)
    3. „Unordnung wieder in Ordnung zu bringen.“
  2. Die Verlesung der Anklageschrift
    1. „Verbrechen des Mordes“ (S. 15) an 164 Menschen.
    2. kein Raum für Besonderheit des Falles und mildernde Umständen.
  3. Verteidiger: Zurückweisung im Sinne des Angeklagten
    1. Passagierflugzeug als Waffe = neue
    2. Braucht „Mut und die Kraft zu handeln“ (S. 19)
    3. Nicht zu verurteilen
  4. Verhör des Zeugen Lauterbach:
    1. Soldaten:  Mehrheit für einen Abschuss
    2. Staatsanwältin: keine Grundlage für einen „übergesetzlichen Notstand“
    3. Kritische Frage: „Wette“?
    4. Nichträumung des Stadions = Verschärfung der Entscheidungssituation
  5. Verhör des Piloten durch die Staatsanwältin
    1. Koch: Bundesverfassungsgericht – ermutigt Terroristen
    2. Staatsanwältin; Koch verhält sich wie eine Art Gott
    3. Koch: Verweis als Soldat auf seinen Eid (Schutz)
    4. Problem: Frage nach Frau und Kind -> Zögern
  6. Zeugin Meiser als Witwe eines der Opfer
    1. persönliche Betroffenheit
    2. stärkt damit die Position der Staatsanwältin
  7. Plädoyer der Staatsanwältin:
    1. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: absoluter Wert des Lebens
    2. Schwach: Ablehnung eines übergesetzlichen Notstandes.
  8. Plädoyer des Verteidigers
    1. Missverhältnis von Prinzipien und realen Fällen
    2. Lösung des Dilemmas: Eigenverantwortung und dann ggf. mildernde Umstände
    3. These: Terror ist Krieg -> anderes „Handeln“ nötig als BVG