Ulla Hahn, „Auf Erden“

Anmerkungen zu Ulla Hahns Gedicht „Auf Erden“

  • Die Überschrift versteht man am besten, wenn man die Formulierung aus dem religiösen Bereich kennt, wo „auf Erden“ dann der Region des Himmels gegenübergestellt wird.
    Vergleiche die Fassung des Vaterunsers auf
    https://de.wikipedia.org/wiki/Vaterunser
    Vater unser im Himmel. / Dein Name werde geheiligt. / Dein Reich komme. / Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“

Strophe 1:

  • Das lyrische Ich bezeichnet sich selbst als „gelassen“, ist also zumindest angeblich in einer entspannten Situation.
  • Was dann kommt, passt aber nicht ganz dazu, weil das lyrische Ich es offensichtlich für nötig hält, das eigene Verhalten gegenüber der Natur zu reflektieren.
  • Anschließend wird ausprobiert, den Eindruck vom Himmel auf eine Art und Weise mit etwas zu vergleichen, wie es zum Beispiel Schriftsteller machen.
    „Natürlich fallen mir Vergleiche ein. Ein Alpenveilchentöpfchen könnt es sein …“

Strophe 2

  • In der nächsten Strophe wird das ganze in einen seltsamen Wirkungszusammenhang bestellt. Offensichtlich gab es den Anspruch beziehungsweise die Erwartung, dass ein poetischer Umgang mit der Natur dort auch eine irgendwie positive Veränderung erzeugt.#
  • Dies findet aber nicht statt, stattdessen wird das Gegenteil von lebendiger Natur präsentiert. Nämlich eine Klima- und Wetter-Situation, die dem Pflanzenwachstum wirklich nicht förderlich ist.
  • Dann haben wir den Eindruck, dass das lyrische Ich sich selbst als Nutzer der Möglichkeiten der Poesie regelrecht auf die Schippe nimmt, sich also über sie lustig macht, wenn jetzt auch noch die Elemente der Poesie („fallen strenge Metaphern“) zu einer zusätzlichen Belastung für die Felder werden.

Strophe 3:

  • Die letzte Strophe wendet sich den Krähen zu, die sich zur Stadt hin wenden, wahrscheinlich, weil dort die Lebensverhältnisse für sie zur Zeit günstiger sind als auf dem platten Land.
  • Am Ende wird noch ein überraschendes Resümee gezogen, weil das lyrische Ich möglicherweise von sich selbst ausgehend feststellt, dass Menschen ohne Heimat sich den Himmel anschauen.
  • Gemeint ist damit natürlich zunächst der normale Himmel mit seinen Wolken und gegebenfalls auch dem Schneefall, wie das Gedicht es ja präsentiert. Möglicherweise ist dieser Himmel dann aber doch auch etwas, was über die Existenz des Menschen hinaus weist.
  • Ansonsten bleibt es bei der Knappheit der Bemerkung dem Leser überlassen, wie er damit umgeht.

Aussage und Bedeutung – bis hin zum Gegengedicht

  • Auf jeden Fall spricht einiges dafür, dass das lyrische Ich da wirklich eine Aussage über sich selbst macht und feststellen muss, dass der Himmel möglicherweise keine Besserung des eigenen Seelenzustandes verspricht, selbst wenn man das mit ein bisschen Literatur versucht.
  • Anregung: Man kann ja selbst mal bei sich nachschauen, wann man versucht, das Leben durch Poesie ein bisschen aufzuhellen. Und dann ist die Frage, ob das nicht doch häufiger gelingt, als die skeptische Ulla Hahn das lyrische Ich in ihrem Gedicht sagen lässt. Man denke an die vielen Songs, die ja nichts anderes sind als Gedichte mit Musik bzw. im Gesang. Sie wirken doch, zumindest kurzzeitig.
  • Oder wie ist das mit originellen Liebeserklärungen – sie werden doch erwartet, warum wohl? Nun ja, weil sich dann eine bestimmte Wirkung einstellt.
  • Von daher „schreit“ das Gedicht von Ulla Hahn doch geradezu nach einem Gegengedicht.

Vielleicht könnte es so beginnen:

Ach, Ulla Hahn,
gelassen las ich dein Gedicht,
natürlich fühlt ich auch ein bisschen mit,
dass kalt dir war und Bilder gar nicht halfen.

Natürlich hättest du den Krähen folgen können,
Sehr klug ist alles, was Natur noch in sich trägt.
Was Heimat angeht,
warst du wohl am falschen Ort.

Such dir ’nen andern,
wo sind deine Freunde?
Zusammen klagen hilft ganz oft
Auch wirken dann Metaphern mehr 😉

Wer noch mehr möchte …