Heine, „Lebensfahrt“ als Reisegedicht
Der Titel “ Lebensfahrt.“ deutet schon an, dass hier das Leben insgesamt als Fahrt gesehen wird. Spannend ist sicherlich, welchen besonderen Akzent dieser Dichter zwischen Romantik und Vormärz hier setzt.
(1) Ein Lachen und Singen! Es blitzen und gaukeln
Die Sonnenlichter. Die Wellen schaukeln
Den lustigen Kahn. Ich saß darin
Mit lieben Freunden und leichtem Sinn.
- Die erste Strophe präsentiert einen Rückblick („saß“) auf eine lustige Kahnfahrt mit Freunden.
- Das lyrische Ich hebt hervor, dass alles mit „leichtem Sinn“ vonstatten ging, dass man sich also keine Sorgen und auch keine schweren Gedanken machte.
(2) Der Kahn zerbrach in eitel Trümmer,
Die Freunde waren schlechte Schwimmer,
Sie gingen unter, im Vaterland;
Mich warf der Sturm an den Seinestrand.
- Die zweite Strophe schildert dann eine Art Schiffbruch, die aber wohl im übertragenen Sinne zu verstehen ist,
- denn es ist kaum anzunehmen, dass das lyrische Ich von irgendwoher von einem „Sturm an den Seinestrand“, also nach Frankreich verschlagen wurde.
- Hier spielt Heine offensichtlich auf seine eigene Emigrantensituation an.
- Wichtig ist, dass die Freunde als „schlechte Schwimmer“ bezeichnet werden, also nicht so klug oder geschickt waren und deshalb „im Vaterland“ untergingen.
(3) Ich hab’ ein neues Schiff bestiegen,
Mit neuen Genossen; es wogen und wiegen
Die fremden Fluten mich hin und her –
Wie fern die Heimat! mein Herz wie schwer!
- Jetzt geht das lyrische Ich genauer auf seine neue Situation ein, die es als „ein neues Schiff“ bezeichnet, was den metaphorischen Charakter des Schiffsmotivs endgültig deutlich macht.
- Hervorgehoben wird, dass das lyrische Ich jetzt „mit neuen Genossen“ lebt
- und dass die „fremden Fluten“ doch eine gewisse Herausforderung darstellen, man keinen rechten Grund bekommt.
- Am Ende wird deutlich, wie sehr das lyrische Ich seine Heimat vermisst.
- Eine Erfahrung, die sicher viele Emigranten machen.
(4) Und das ist wieder ein Singen und Lachen –
Es pfeift der Wind, die Planken krachen –
Am Himmel erlischt der letzte Stern –
Wie schwer mein Herz! die Heimat wie fern!
- Am Schluss wird deutlich gemacht, dass bald eine ähnliche Situation vorliegt wie am Anfang,
- mit dem Unterschied, dass zwar der Weg in einen möglichen zweiten Schiffbruch schon beschrieben wird,
- dieser aber noch nicht eindeutig eingetreten ist.
- Was aber eindeutig geblieben ist, ist die Sehnsucht nach der Heimat.
- Interessant ist dabei die Überkreuzstellung an zwei wichtigen Stellen:
- 1,1: „Ein Lachen und Singen! „
- 4,1: „Und das ist wieder ein Singen und Lachen –“
- 3,4: „Wie fern die Heimat! mein Herz wie schwer!“
- 4,4: „Wie schwer mein Herz! die Heimat wie fern!“
Aussage und Bedeutung
Das Gedicht zeigt
- die Situation eines Emigranten, der zwar in gewisser Weise gerettet ist, aber doch die Heimat vermisst,
- dass der Emigrant sich sich zumindest ansatzweise über seine alten Freunde als „schlechte Schwimmer“ erhebt,
- dass auch im Umfeld der neuen Freunde sich bald eine ähnliche Situation wieder einstellt
- sowohl, was die Atmosphäre angeht,
- als auch in grundsätzlicher Hinsicht (Gefahr eines erneuten Schiffbruchs)
- dass am Ende das Heimweh das vorherrschende Gefühl ist.
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