Bertolt Brecht, „Das Schiff“

  1. Das Gedicht „Das Schiff“ von Bertolt Brecht ist 1927 entstanden und thematisiert die Auflösung einer individuellen Existenz im „klaren Wasser […] vieler Meere“ (1).
  2. In der ersten Strophe ist vom Aufbruch die Rede, der aber schnell von der Feststellung begleitet wird „mein Holz fault und die Segel schlissen“ (4). Und „die Seile modern, die am Strand mich rissen“ (5).
  3. So kann er am Schluss dieser Strophe nur noch feststellen: „Ist entfernter mir und bleicher auch mein Horizont“.
  4. Als Leser erfährt man nichts von den Hintergründen und Ursachen und auch nichts von den näheren Umständen einer Reise.
  5. In der 2. Strophe folgt dann auch die Erkenntnis, ‚“daß ich vergehen soll“ (9) – und zwar „ohne mich zu wehren“ und „ohne Groll“ – ein sehr ungewöhnliches Verhalten für einen Menschen, der normalerweise weiterleben möchte und darum auch kämpft.
    Halt, Vorsicht: Wir lassen das hier mal bewusst stehen, weil uns tatsächlich gerade erst eingefallen ist, dass – vom Titel ausgehend – hier wohl das Schiff selbst als lyrisches Ich spricht.
    Aber es bleibt der Eindruck einer starken Vermenschlichung.
  6. Die 3. Strophe beschreibt dann auf etwas drastische Weise, wie das offensichtlich untergegangene Schiff gewissermaßen in die Tierwelt eingeht – mit positivem Ergebnis: „und in fremden Wänden freundeten sich Tier und Tier“ (15).
    Hier könnte sich eine Deutungshypothese herausbilden, dass der Untergang des von Menschen gebauten Schiffes der natürlichen Welt der Tiere wieder mehr Raum zum Leben gibt.
  7. Die vierte Strophe erweitert das nur zeitlich und betont dabei noch einmal – sehr menschlich gedacht – „ohne viel zu leiden“ (23)
  8. Die fünfte Strophe widmet sich dann vor allem dem Motiv der „Ruhestätte“. Das lyrische Ich bietet sie den Tieren und möchte auch selbst, „daß es enden soll“ (30).
  9. Die sechste Strophe bringt dann eine Außenperspektive. „Fremde Fischer“ haben das gesehen, was von diesem Schiff und seinem Anhang noch übrig geblieben ist. Es hat seine Konturen verloren, sieht auch nicht schön aus, aber es fährt „auf den erbleichten Himmel los“ (36).
  10. Insgesamt präsentiert
    1. das Gedicht das Ende und auch den Untergang eines Schiffes,
    2. der in jeder Hinsicht in einem natürlichen Umfeld stattfindet:
    3. Das Schiff selbst hat ihn nötig,
    4. was übrig bleibt, wird von anderen Lebewesen genutzt –
    5. und am Ende zieht man einem „erbleichten  Himmel“ zu, in dem man genauso verlöschen kann.
    6. Auf jeden Fall kehrt hier etwas von Menschen Gemachtes, das die Natur vielleicht häufig gestört oder gar verletzt hat, in sie zurück und wird ein Teil von ihr.
    7. Inwieweit sich das auf den Menschen übertragen lässt, der ja an vielen Stellen zumindest indirekt präsent zu sein scheint, bleibt offen.

Man kann das Gedicht von Brecht mit „Hinter dem Horizont“ von Loerke vergleichen:
http://textaussage.de/loerke-hinter-dem-horizont

Dabei fällt auf, dass es dort wohl eindeutig um einen Menschen geht, der für sich jede Zeit der äußeren Aktivität als vergangen ansieht und darüber hinaus das Vergehen ganzer Völker feststellt. Aber für dieses lyrische Ich gibt es noch etwas „was da gilt“ – und zwar das, was „in der Einsamkeit“ geschaffen wird.

Wenn man Brechts Gedicht als Gleichnis für das Leben eines Menschen ansieht, so geht es dort nicht mehr um Aktivitäten, um das Schaffen. Diese Zeit ist nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich vorbei. Es gibt nur noch die großen Zusammenhänge der Natur, auf die man sich „ohne Groll“ einlässt und in denen man am Ende aufgeht.

Wer noch mehr möchte …