Friedrich Nietzsche, „Im Süden“

Allgemeines

Wir beschäftigen uns vor allem mit dem Inhalt von Gedichten – mit dem Ziel, ihre Aussage(n) feststellen zu können. Damit ist nicht gemeint, was der „Dichter mit dem Gedicht sagen wollte“, denn er kann auch was ganz anderes gemeint haben, aber es kam nicht richtig rüber.

Vielmehr geht es um die Zielrichtung  des Gedichtes.

Und die ermitteln wir, indem wir uns die einzelnen Aussagen des Lyrischen Ichs ansehen und dabei vor allem auf Signale achten, die sich wiederholen und damit gegenseitig verstärken.

 

Friedich Nietzsche, „Im Süden“: Was sagt das Gedicht aus?

Friedrich Nietzsche,

Im Süden

01 So häng’ ich denn auf krummem Aste
02 Und schaukle meine Müdigkeit.
03 Ein Vogel lud mich her zu Gaste,
04 Ein Vogelnest ist’s, drin ich raste.
05 Wo bin ich doch? Ach, weit! Ach, weit!

  • Die Überschrift ist relativ allgemein gehalten, löst aber nördlich der Alpen in Europa bei vielen Menschen ganz bestimmte Hoffnungen oder sogar Träume aus.
  • Das Gedicht beginnt mit einer Situationsbeschreibung, die gleich zwei negative Elemente enthält, nämlich einmal ist von einem „krummen Ast“ die Rede, was man sicher auch auf das lyrische Ich selbst beziehen kann. Und dann ist da noch die Müdigkeit.
  • Der zweite Akzent, der gesetzt, ist das Motiv des Vogels.
  • Von einem solchen ist das lyrische Ich als Gast eingeladen worden
  • und es behauptet auch,  jetzt in einem Vogelnest zu sein, was sicherlich nur im übertragenen Sinne zu verstehen ist.
  • Möglicherweise verbindet das lyrische Ich den Vogel mit Freiheit bzw. Freizügigkeit.
  • Das Gedicht endet mit der Frage „Wo bin ich doch?“ Diese Frage wird sehr gefühlsbetont durch die Wiederholung im Hinblick auf das Weite beantwortet. Das passt zur Überschrift.
  • Insgesamt hat man den Eindruck, dass hier ein krankes Wesen Linderung bzw. Heilung erhofft.

 

06 Das weiße Meer liegt eingeschlafen,
07 Und purpurn steht ein Segel drauf.
08 Fels, Feigenbäume, Thurm und Hafen,
09 Idylle rings, Geblök von Schafen, –
10 Unschuld des Südens, nimm mich auf!

  • Die zweite Strophe beschreibt die Idylle, die das lyrische Ich um sich herum sieht
  • und die mit „Unschuld“ verbunden wird, was nicht näher erläutert wird.
  • Man könnte an Natürlichkeit, Urspünglichkeit denken.

 

11 Nur Schritt für Schritt – das ist kein Leben,
12 Stets Bein vor Bein macht deutsch und schwer.
13 Ich hieß den Wind mich aufwärts heben,
14 Ich lernte mit den Vögeln Schweben, –
15 Nach Süden flog ich über’s Meer.

  • Die ersten beiden Zeilen beschreiben dann, was das lyrische Ich im Leben störte.
  • Es sind vor allen Dingen wie Ordnung und Regelmäßigkeit gewesen, die es niedergedrückt haben, was erklärt, warum das lyrische Ich jetzt so auf Vögel und Fliegen steht.
  •  Interessant ist die Verbindung von „deutsch“ und „schwer“.G emeint ist hier wohl so etwas Disziplin, Gründlichkeit, Ordnungssinn und ähnliches, was mit der Vorstellung von der Lebensweise in Deutschland damals verbunden wurde.

16 Vernunft! Verdrießliches Geschäfte!
17 Das bringt uns allzubald an’s Ziel!
18 Im Fliegen lernt’ ich, was mich äffte, –
19 Schon fühl’ ich Mut und Blut und Säfte
20 Zu neuem Leben, neuem Spiel?
21 Einsam zu denken nenn’ ich weise,

  • In dieser Strophe klagt das lyrische Ich vor allem über die Herrschaft der Vernunft und damit verbundene unangenehme „Geschäfte“, also Aufgaben.
  • Interessant die Vorstellung, dass man auf diese Weise „allzubald an’s Ziel“ kommt. Gemeint sein könnte, dass man zu sehr auf ein Ziel ausgerichtet ist und anderes unterwegs gar nicht mehr wahrnimmt.
  • Dem entgegengesetzt wird das „Fliegen“, das ja eigentlich Menschen noch schneller zum Ziel bringt – aber natürlich nicht im 19. Jahrhundert, in dem Nietzsche lebte.
  • Gemeint ist hier wohl eher die schon angesprochene Freiheit der Vögel, die aus der Höhe einen anderen Blick auf die „Geschäfte“ der Menschen werfen können.
  • In der zweiten Hälfte der Strophe geht es dann um die wohltuenden Folgen dieses Lebens im Süden.
  • Die „Müdigkeit“ „auf krummem Aste“ ist ganz offensichtlich vorbei.
  • In der letzten Zeile kommt als neues Motiv die Einsamkeit hinzu, die offensichtlich positiv gesehen ist, vielleicht weil man zu sich selbst kommt.

 

22 Doch einsam singen – wäre dumm!
23 So hört ein Lied zu eurem Preise
24 Und setzt euch still um mich im Kreise,
25 Ihr schlimmen Vögelchen, herum!
26 So jung, so falsch, so umgetrieben

  • Diese Strophe bringt dann eine kleine Wende, was die Einsamkeit angeht.
  • Einsam zu „denken“ wird als positiv empfunden, hier geht es allerdings um „singen“ und das wird als Gemeinschaftsangelegenheit angesehen.
  • So gibt es auch gleich einen Appell an die fiktive Zuhörergemeinschaft,
  • zu deren „Preise“ erstaunlicherweise das lyrische Ich singen will.
  • Das wird dann verständlich, wenn anschließend deutlich wird, dass es um die Vögel geht, von denen das lyrische Ich sich umgeben fühlt.
  • Dass sie als die „schlimmen Vögelchen“ angeredet werden, soll wohl nur bedeuten, dass sie einen unordentlichen Weg der Freiheit und Selbstständigkeit gehen.
  • So sind dann wohl auch die Attribute „jung“, „falsch“, „umgetrieben“ zu verstehen.

 

27 Scheint ganz ihr mir gemacht zum Lieben
28 Und jedem schönen Zeitvertreib?
29 Im Norden – ich gesteh’s mit Zaudern –
30 Liebt’ ich ein Weibchen, alt zum Schaudern:
31 “Die Wahrheit” hieß dies alte Weib?

  • Das Gedicht endet mit der Frage an die Vogel-Zuhörer, ob sie „zum Lieben“ gemacht sind und zu „jedem schönen Zeitvertreib“. Damit will das lyrische Ich wohl nur ausdrücken, dass diese Dinge in diesem Umfeld jetzt möglich sind.
  • Die zweite Hälfte macht noch einmal deutlich, was den Süden vom Norden unterscheidet. Dort ging es vor allem um „Wahrheit“ – und das steht hier wohl für das schrittweise, konsequente Verstandesdenken, wovon vorher schon die Rede gewesen ist. Hier im Süden geht es für das lyrische Ich jetzt um eine ganz andere Art von Freiheit und Lebendigkeit.

Mat1724 © Helmut Tornsdorf – www.schnell-durchblicken.de – Tipps und Tricks für das Überleben im Schulalltag

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