Fontane, „Unterwegs und wieder daheim“
Allgemeines
Wir beschäftigen uns vor allem mit dem Inhalt von Gedichten – mit dem Ziel, ihre Aussage(n) feststellen zu können. Damit ist nicht gemeint, was der „Dichter mit dem Gedicht sagen wollte“, denn er kann auch was ganz anderes gemeint haben, aber es kam nicht richtig rüber.
Vielmehr geht es um die Zielrichtung des Gedichtes.
Und die ermitteln wir, indem wir uns die einzelnen Aussagen des Lyrischen Ichs ansehen und dabei vor allem auf Signale achten, die sich wiederholen und damit gegenseitig verstärken.
Das heißt:
- Wir gehen erst die Details des Gedichtes durch …
- und formulieren am Ende auf dieser Basis die „Aussagen“ des Textes .
Das Besondere an diesem Gedicht
Das folgende Gedicht besteht aus vier separaten Teilen, bei denen man am Ende den Zusammenhang ein bisschen suchen muss.
Wir versuchen das hier mal, damit am Ende die „Textaussage“, um die wir uns ja immer bemühen, auch deutlich wird.
Wie immer stellen wir alle biografischen Bezüge zurück und nehmen den Text so, wie er eben da ist.
Allerdings gibt es statt dieses Gesamtgedichtes auch Varianten, die nur den vierten Teil präsentieren.
Der Titel und der erste Block des Gedichtes
Theodor Fontane,
Unterwegs und wieder daheim
- Der Titel enthält bereits eine Spannung von „unterwegs“ und „daheim“.
- Offen bleibt vor der Lektüre erst mal die Frage, welche Bedeutung dieses „wieder“ hat, nur eine rein auf die Zeit bezogene oder aber eine, die auch eine Wertung enthält – im Sinne von „endlich wieder“
Erst Münchner Bräu aus vollen Krügen,
Die Deckel klappten wie ein Reim,‘
Dann Neckarwein in vollen Zügen
Und endlich Rot von Ingelheim.
- Das Gedicht beginnt mit Impressionen, wie man sie eben haben kann, wenn man von einem Ort schöner Getränke zum nächsten bewegt.
Und all die Zeit kein regentrüber
Verlorner Tag, kein nasser Schuh,
Die Bilder zögen uns vorüber,
Wir taten nichts als schauten zu.
- Die zweite Strophe erweitert den Blick auf gutes Wetter
- und eine Konzentration auf das zwar passive, aber vielleicht intensive Schauen.
Und graue Dome, bunte Fresken,
Und Marmor reichten sich die Hand,
Und weinblattdunkle Arabesken
Zog drum das Rhein- und Schwabenland.
- Die dritte Strophe konzentriert sich auf das, was Bildungsbürger auf ihren Reisen so machen,
- sie schauen sich berühmte Bauwerke mit ihren Kunstwerken an
- und konzentrieren sich in diesem Falle auf die Rheinschiene und benachbarte süddeutsche Regionen, die ja besonders viele Kulturgüter im Angebot haben.
Der 2. Block des Gedichtes
2.
Mit achtzehn Jahr und roten Wangen,
Da sei’s, da wandre nach Paris,
Wenn noch kein tieferes Verlangen
Sich dir ins Herze niederließ;
- Der zweite Block verändert die Perspektive ins Zeitliche und Lebensbiografische.
- Für das Lyrische Ich gehört zur Jugend auch ein Sehnsuchtsort (zur Zeit Fontanes) wie Paris.
- Die zweite Hälfte aber betont die Distanz: Das Alter schafft andere Bedürfnisse, ein „tieferes Verlangen“, dessen Inhalt erst mal offen bleibt.
Wenn unser Bestes: Lieb‘ und Treue,
Du nicht begehrst und nicht vermisst,
Und all das wechselvolle Neue
Noch deine höchste Gottheit ist.
- Hier wird das Verlangen etwas gefüllt, bleibt aber doch noch unbestimmt: „Lieb‘ und Treue“, das kann viel sein, auch wenn das schon als Gegenstück zu so etwas wie Paris gesehen werden kann und sich gut auf Heimat beziehen könnte.
- Diesmal gehört die zweite Hälfte der Klärung dessen, was die Jugend umtreibt.
- Auch wenn wir uns hier auf inhaltliche Dinge beschränken, sei doch darauf hingewiesen, dass diese und die Strophe davor in einem Kreuz-Verhältnis stehen, das an den Chiasmus erinnert: Zunächst Jugend, dann zweimal Alter und dann wieder Jugend.
Mir sind dahin die leichten Zeiten,
Es lässt mich nüchtern, lässt mich kalt,
Ich bin für diese Herrlichkeiten
Vielleicht zu deutsch, gewiß – zu alt.
- Diese Strophe beschreibt die Haltung des sich durchaus „alt“ fühlenden lyrischen Ichs.
- Deutlich wird wieder die Distanz zur Umtriebigkeit der Jugend, bei ihr sieht man die „leichten Zeiten“, was wohl in Richtung „leichtfertig“, vielleicht auch „leichtsinnig“ geht.
- Dann kommen zwei Gründe für die Distanz: Vom Alter war schon die Rede, dazu kommt aber jetzt auch noch „deutsch“, was wohl im Sinne von Heimat verstanden werden darf.
- Was genau damit gemeint ist, bleibt offen, es sei denn, man nimmt die zentralen Elemente des ersten Blocks: Bier bzw. Wein, kulturelle Orte und Werke.
Der 3. Block des Gedichtes
3.
Und wieder hier draußen ein neues Jahr –
Was werden die Tage bringen?!
Wird’s werden, wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?
- Der dritte Block knüpft an den ersten an, indem das lyrische Ich sich zum einen die Wiederholung wünscht,
- zum anderen aber doch unsicher geworden ist, ob alles wieder so sein kann, wie man es als schön empfunden hat.
Wird’s fördern das, worauf ich gebaut,
Oder vollends es verderben?
Gleichviel, was es im Kessel braut,
Nur wünsch‘ ich nicht zu sterben.
- Diese Strophe fasst die Sorge etwas enger und konzentriert sich auf etwas, was man Lebenswerk nennen könnte.
- Letztlich will sich das lyrische Ich nicht auf den heiklen Maßstab des Gelingens festlegen, sondern einfach noch zu Ende bringen dürfen, was „im Kessel braut“.
- Es hilft sicher beim Verständnis, wenn man hier an den Dichter Fontane denkt, der ja später mit dem literarischen Schreiben begonnen hat und jetzt noch einiges zu Wege bringen möchte.
Ich möchte noch wieder im Vaterland
Die Gläser klingen lassen
Und wieder noch des Freundes Hand
Im Einverständnis fassen.
- Diese Strophe kehrt von den großen Zielen zurück zu den kleinen,
- nämlich dem gemeinsamen Genuss zusammen mit Freunden.
- Wichtig sind ihm das „Einverständnis“ und die menschliche Nähe.
Ich möchte noch wirken und schaffen und tun
Und atmen eine Weile,
Denn um im Grabe auszuruhn,
Hat’s nimmer Not noch Eile.
- Diese Strophe greift auf die mit dem „Kessel“ zurück
- und ergeht sich vor allem in Verben der Tätigkeit: „wirken“, „schaffen“, „tun“.
- Dazu kommt eben die entscheidende Voraussetzung, im Alter nicht mehr so selbstverständlich, nämlich das „atmen“.
- Die zweite Hälfte der Strophe ist vor dem Hintergrund eine deutliche Absage an die nicht zu umgehende, aber doch erst mal noch vermeidliche Zeit „im Grabe“
Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rücklässt einen leuchtenden Funken
Und nicht vergeht wie die Flamm‘ im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.
- In dieser Strophe verbindet das lyrische Ich seine Hoffnung, noch einige Zeit „atmen“ und eben auch „schaffen“ zu können, mit einer ungefähren Vorstellung von dem, was dabei herauskommen soll:
- All das innere „Glühn“, das zum Beispiel zum Dichter gehört, soll „einen leuchtenden Funken“ zurücklassen, der „nicht vergeht wie die Flamm‘ im Kamin“.
- Das ist etwas seltsam, aber gemeint ist wohl, dass eine Art Flamme möglichst erhalten bleibt. Man denkt hier schnell an so etwas wie eine „ewige Flamme“, wie sie bei Olympischen Spielen durch die Welt getragen wird oder in bestimmten Momumenten am Leben gehalten wird.
- Ganz offensichtlich möchte das lyrische Ich etwas Dauerhaftes hinterlassen.
Der 4. Block des Gedichtes
4.
Ich bin hinauf, hinab gezogen
Und suchte Glück und sucht‘ es weit,
Es hat mein Suchen mich betrogen,
Und was ich fand, war Einsamkeit.
- Kommen wir nun zum 4. Block, der ja gerne auch für sich präsentiert wird.
- Das hängt wohl damit zusammen, dass hier eine Bilanz gezogen wird, die man auch ohne die Strophen davor verstehen kann.
- Es geht um einen Rückblick auf viel Unterwegssein,
- das zu keinem Glück geführt hat,
- sondern zu Einsamkeit.
- Das wird nicht näher erklärt: Hier ist es wie bei vielen Gedichten: Man kann sich als Leser hineindenken. Vielleicht hat das lyrische Ich nicht den richtigen Partner gefunden oder liebe Menschen sind vor ihm gestorben und haben ihn allein zurückgelassen.
- Das passt aber nicht so ganz zu der Vorfreude auf eine erneute Reise wie am Anfang.
- Dann ist es vielleicht eine innere Einsamkeit, die eben nur durch gelegentliche Treffen mit Freunden aufgehoben werden kann.
Ich hörte, wie das Leben lärmte,
Ich sah sein tausendfarbig Licht,
Es war kein Licht, das mich erwärmte,
Und echtes Leben war es nicht.
- In dieser Strophe wird das negative Urteil noch radikaler,
- es umfasst das ganze Leben,
- das das Lyrische Ich anscheinend enttäuscht hat.
- Als Leser kann man hier schnell das Gefühl haben, dass das ein typisches Urteil eines zunehmend traurigen Lebens im Alter ist,
- das frühere Freuden angesichts möglicher aktueller Beschränkungen und Beschwerden nicht mehr so recht sehen kann.
Und endlich bin ich heimgegangen
Zu alter Stell‘ und alter Lieb‘,
Und von mir ab fiel das Verlangen,
Das einst mich in die Ferne trieb.
- Dann wird es aber plötzlich positiver,
- werden Elemente aufgenommen, bei denen es um Heimat und Vertrautheit und sogar Liebe geht.
- Daraus entsteht eine in früheren Strophen schon angedachte Befreiung von all dem, was die Jugend noch glaubt tun und vor allem in der „Ferne“ erleben zu müssen.
Die Welt, die fremde, lohnt mit Kränkung,
Was sich, umwerbend, ihr gesellt;
Das Haus, die Heimat, die Beschränkung,
Die sind das Glück und sind die Welt.
- Am Ende geht es nicht mehr um Jugend und Alter,
- sondern es wird ein Gegensatz aufgebaut,
- der typisch romantisch ist,
- auch wenn Fontane einer späteren Zeit angehört.
- Die Fremde hat ihre berechtigten Verlockungen,
- aber sie bringt eben auch Enttäuschen,
- so dass man sich am Ende gerne auf „Heimat“ und „Beschränkung“ konzentriert
- und zwar in einer sehr hochgestimmten Weise,
- wird dem doch das „Glück“ und die „Welt“ zugeordnet, also alles, was froh macht und womit man sich beschäftigen mag.
Aussagen des Gedichtes – Intentionalität
Das Gedicht zeigt,
- die Bedeutung der Freundschaft
- gerade auch beim Unterwegssein
- die Bedeutung der Heimat und ihrer Kultur, deren man sich mit zunehmendem Alter stärker bewusst wird,
- während die Jugend stärker auf die Fremde mit ihren Verlockungen steht,
- was das Gedicht aber als eher „leicht“ gewichtet.
- Vor allem aber zeigt das Gedicht die Sorgen des Alters und besonders des Künstlers, hier wohl des Dichters, noch genügend Zeit zu haben, um das fertig werden zu lassen, was „im Kessel braut“.
- Das soll dann möglichst zu einem dauerhaften „Funken“ werden, also nachhaltig wirksam bleiben.
Vergleichsmöglichkeiten
- Wer sich ein bisschen in Reisegedichten auskennt, dem fällt hier sicherlich Gottfried Benns „Reisen“ ein, das wesentlich kürzer und prägnanter ist, aber am Ende auch den Rückzug empfiehlt. Dieser geht aber noch weiter, nämlich bis hin zum „Ich“, während bei Fontane eben auch Heimat und Liebe dazugehören.
Hier ein Lesetipp, bei dem auch noch Hermann Hesse ins Spiel kommt.
https://www.schnell-durchblicken2.de/unt-hesse-resignation-benn-reisen - Außerdem fallen einem auch Gedichte der Romantik ein, in denen am Ende die vertraute Heimat wichtiger ist und mehr Sinn stiftet und Leben ermöglicht als die Fremde
Frage der Epochenzugehörigkeit
- Natürlich gehört das Gedicht in erster Linie zum sog. „poetischen Realismus“, der sich im Unterschied zum Idealismus und der Romantik stärker der Wirklichkeit zuwendet, aber eben doch „dichterisch“ bleibt, also nach damaligem Verständnis versucht, das Schöne in den Dingen zu sehen und festzuhalten.
- Aber es gibt auch Züge, die zur Romantik gehören, zum einen die Liebe zur Heimat und ihrer Kultur und wohl auch Geschichte, aber auch Freundschaft, vor allem eine Konzentration auf tiefere Dinge, die über die „leichten“ Verlockungen der Ferne hinausgehen,
- vor allem aber doch auch eine Sehnsucht nach Fertigstellung dessen, was noch unfertig ist.
Wer noch mehr möchte …
- Fragen und Anregungen können auf dieser Seite abgelegt werden:
https://textaussage.de/schnelle-hilfe-bei-aufgaben-im-deutschunterricht - 5-Extra-Tipps für die sichere Analyse und Interpretation, bsd. Auch von Gedichten – die Summe unserer Erfahrung: https://textaussage.de/5-extra-tipps-zur-sicheren-interpretation-bsd-von-gedichten
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