Karl Krolow, “Vorbereitung einer Reise“

  1. Karl Krolows Gedicht „Vorbereitung einer Reise“ gehört zu denen, bei denen man als Leser möglicherweise schnell aufgibt, vielleicht sogar auf den Autor sauer ist. Denn der Text ist schon sehr irritierend.
  2. Deshalb beschreiben wir hier einfach mal unsere Erfahrungen beim Versuch, das Gedicht zu verstehen. Vor allem zeigen wir, wie man trotz Irritation und vielleicht auch Ärger weiter die Augen offen halten soll, um am Ende vielleicht doch noch rechtzeitig „die Kurve zu kriegen“.
  3. Die Überschrift liest sich recht praxisnah und man ist gespannt, wie der Dichter diesem Alltagsthema noch etwas Besonderes hat abgewinnen können.
  4. Der Anfang des Gedichtes ist sehr rätselhaft, denn was hat das Wechseln eines Hemdes oder das Verhängen eines Kalenders mit einer Reise zu tun.
    1. Allenfalls könnte man das so verstehen, dass man ein frisches Hemd anzieht, aber das sollte man ja wohl immer tun, wenn man morgens aufsteht.
    2. Das Verhängen des Kalenders hat mit einer Reise überhaupt keine Funktion, denn man selbst sieht ihn ja nicht.
    3. Allenfalls könnte hier eine übertragene Bedeutung vorliegen, die deutlich macht, dass mit dem Antritt einer Reise der normale Kalender zu Hause gewissermaßen stoppt beziehungsweise unterbrochen wird.
  5. Das Herausnehmen der Blumen
    1. kann natürlich sinnvoll sein, aber natürlich nur dann, wenn man sie in den Mülleimer wirft oder sonstwie entsorgt, weil man sie bei der Rückkehr von einer längeren Reise nicht verfault vorfinden möchte.
    2. Die Idee, die leeren Vasen dann mit abgelegten Handschuhen zu füllen, hört sich nach irgendeiner skurrilen Marotte an, wie sie früher den Engländern als angebliche Nationaleigenschaft angehängt wurde.
  6. Auf jedenfall ist man gespannt, wie dieses Gedicht weitergeht, ob es sich noch auf irgendeinen Sinn hinarbeitet oder hinwendet.
  7. Die Zahlen 7-9 setzen die skurrile Handlung fort. Offensichtlich hat dieses lyrische Ich das Bedürfnis, von jemandem verabschiedet zu werden und wenn es sich auch nur um diese abgelegten Handschuhe handelt.
  8. Ab Zeile 10
    1. wird wird das Thema komplett gewechselt oder aber die Reise bekommt eine neue Richtung .
    2. Dass die Trauer „unbekleidet“ ist, ist ein schöner Gedanke, der aber in den nachfolgenden Zeilen nicht näher erklärt wird.
    3. Immer mehr verstärkt sich der Eindruck, dass dieser Autor mit Textelementen spielt, die geheimnisvoll wirken, aber keinen rechten Zusammenhang ergeben.
    4. Zumindest ist ein Zusammenhang für einen Leser, der sich nicht ständig mit Gedichten von Karl Kronos beschäftigt, nicht recht einsichtig.
  9. Der Schlussteil des Gedichtes
    1. beginnt erfreulicherweise mit einer Doppelzeile, die man unterschreiben kann, wenn man glaubt, dass Tisch und Stuhl ein besonderes Verhältnis zu einander haben und für einen Reisenden von Bedeutung sind.
    2. Dass Wände flüstern ist ebenfalls eine sehr originelle Sicht auf die Wirklichkeit. Am einfachsten erklärt sich die Passage, wenn dieser Autor normalerweise Wände laut reden hört, wenn er mit ihnen spricht. Dann ist es natürlich nachvollziehbar, dass diese Wände enttäuscht nur noch einer der Flüstern, wenn der Hausherr das Haus verlassen hat.
    3. Dass die letzte Mahlzeit vergeht, wahrscheinlich vergammelt, hängt damit zusammen, dass der Autor sich nur mit dem Abschied von seinen Vasen beschäftigt hat und vergessen wurde, nun auch die letzte Mahlzeit noch abzuräumen.
    4. Dass die Südfrüchte aus unerfindlichen Grunde im Unterschied zu den Wänden nichts mehr zu sagen haben, ist bedauerlich, aber genauso unverständlich, wie ein Großteil des Textes.
  10. Wer hat diesen Versuch, das Gedicht zu verstehen, aufmerksam gefolgt ist,
    1. hat sicherlich mitbekommen, dass wir dem Produkt dieses Autos genau so offen und unvoreingenommen gegenüber getreten sind wie allen anderen lyrischen Texten auch.
    2. Wir müssen allerdings zugeben, dass wir schon andere Gedichte von Karl Krolow gelesen haben und dort auch das Gefühl hatten, dass da mehr vorgegeben wurde, als wirklich drin war.
    3. Ebenso dürfte aber auch klar geworden sein, dass sich im Laufe der Zeit Verstimmung und schließlich sogar Zorn aufbaut, wenn jemand ein solches Spiel treibt mit einem unbedarften Leser.
    4. So kamen wir denn auch zu dem Schluss, dass solche Gedichte in der Schule überhaupt nichts zu suchen haben, es sei denn, ihre Besprechung dient genau der Erkenntnis, die wir selbst ja auch gewonnen haben. Da meinen wir, das Leben ist zu kurz und Gedichte können zu schön sein, um sich mit manchen Exemplaren abzuquälen, bei denen man am Ende keinen Gewinn für sich sieht.
    5. Dann kamen bei uns natürlich auch alte Vor-Urteile durch:
      „Es gibt Autoren, die offensichtlich nicht das geringste Interesse daran haben, dass sie von jedem verstanden werden. Warum werden ihre Texte denn dann veröffentlicht und nicht per Mail oder per Brief früher nur an Freunde und Verehrer ihres Werkes verschickt?“
    6. Aber dann dachten wir, wir fassen trotzdem alles zu Aussagen zusammen – und dabei wurden wir dann angenehm überrascht.

Das Gedicht zeigt,

  1. dass dieses lyrische Ich ganz eigene Vorstellungen hat von dem, was zur Vorbereitung einer Reise gehört, um den Titel noch einmal aufzunehmen.
  2. Ebenso zeigt dieses Gedicht, dass das lyrische Ich seltsame Vorstellungen hat von dem Treiben der Dinge, nachdem es die Wohnung verlassen hat.
  3. Schließlich präsentiert das lyrische ich noch einige Gedanken zum Thema Trauer, denen man mit einiger Mühe durchaus folgen kann:
    1. Natürlich kann man Trauer als „unbekleidet“ empfinden, weil die Kleidung der Normalität mit ihrer Schutzfunktion  verloren gegangen ist.
    2. Nachvollziehbar ist auch, dass man Trauer nicht einfach mit einem Kopfnicken hinter sich lassen kann, so wie man es bei jemandem, der nicht so wichtig ist, durchaus als kurzes Begrüßungsritual vollziehen kann.
    3. Vor diesem Hintergrund kann man dann doch auch verstehen, dass die Gegenstände, die man bisher gemeinsam benutzt hat, nun unter sich bleiben.
    4. Ebenso wird jetzt deutlich, dass der Verlust eines Menschen auch verstanden werden kann als Reisenotwendigkeit für die Hinterbliebenen.
    5. Und wenn man das Ganze noch weiter von hinten aufrollt, dann wird auch das Wechseln des Hemdes letztlich mit Sinn gefühlt, weil man sich jetzt ein neues Outfit verschafft.
    6. Ebenso kann man dann auch das Verhängen des Kalenders verstehen, denn der spielt im Hinblick auf einen Verstorbenen keine Rolle mehr, wenn dessen Todeszeitpunkt feststeht.
    7. Die Aktion mit den Handschuhen kann dann verstanden werden als sicherlich kaum gelingender Versuch, dem Inhalt der Vase als Symbol für das verflossene gemeinsame Leben noch etwas mehr Haltbarkeit zu geben.
    8. So stellen wir am Ende fest, dass die induktive Interpretation nicht von vornherein richtige Erkenntnisse produziert, sie aber am Ende doch eher ermöglicht, wenn man im hermeneutischen Prozess bleibt. Der verlangt ja gerade, dass man jede sich aufbauende Variante des Verständnisses immer wieder am Text überprüft und gegebenenfalls auch korrigiert beziehungsweise verbessert.

Mat1753  © Helmut Tornsdorf – www.schnell-durchblicken.de – Tipps und Tricks für das Überleben im Schulalltag

Weiterführende Hinweise