Karoline von Günderrode, „Die eine Klage“ – Klausurbeispiel (Mat1815)

Worum es hier geht:

Wir präsentieren hier eine Klausuraufgabe zu einem Gedicht aus der Zeit der Romantik.

Zunächst die Aufgabenstellung:

Aufgabenstellung:
  1. Analysieren Sie den vorgelegten Text entsprechend dem im Unterricht
    besprochenen und geübten Verfahren.
  2. Inwieweit passt der Text in die Epoche der Romantik und entspricht der
    aus anderen Gedichten bekannten Liebesvorstellung?

Text des Gedichtes

Karoline von Günderrode

Die eine Klage
  1. Wer die tiefste aller Wunden
  2. Hat in Geist und Sinn empfunden
  3. Bittrer Trennung Schmerz;
  4. Wer geliebt, was er verloren,
  5. Lassen muss. was er erkohren,
  6. Das geliebte Herz,
  7. Der versteht in Lust die Tränen
  8. Und der Liebe ewig Sehnen
  9. Eins in Zwei zu sein,
  10. Eins im Andern sich zu finden,
  11. Dass der Zweiheit Grenzen schwinden
  12. Und des Daseins Pein.
  13. Wer so ganz in Herz und Sinnen
  14. Konnt‘ ein Wesen liebgewinnen
  15. O! den tröstet’s nicht
  16. Dass für Freuden, die verloren,
  17. Neue werden neu geboren:
  18. Jene sind’s doch nicht.
  19. Das geliebte, süße Leben,
  20. Dieses Nehmen und dies Geben,
  21. Wort und Sinn und Blick,
  22. Dieses Suchen und dies Finden,
  23. Dieses Denken und Empfinden
  24. Gibt kein Gott zurück.

Einleitungssatz

  • Einleitungssatz mit Vorstellung des Gegenstands und Nennung des Themas
    • Gedicht aus der Zeit der Romantik, eher frühe Phase
    • Nicht so bekannte Dichterin, aber immerhin eine Frau, was für die damalige Zeit eher ungewöhnlich war.
    • Thema = das Leid, wenn eine ideale Liebe verloren hat
      • unklar, ob durch das Ende der Liebe
      • oder den Verlust des/der Geliebten
      • Evtl. Interessant ist der Umgang mit der Religion

Untersuchungsaspekt Form:

  • 4 Strophen a 6 Verse
  • Paarreim, gefolgt von einem umarmenden Reim
  • In der Regel Vierhebige Trochäen
  • Nur in der 3. und 6. Verszeile jeweils dreihebig, dort auch männlicher Versschluss, ansonsten weibliche Versschlüsse

Untersuchungsaspekt inhaltlicher Aufbau:

Das Folgende könnte man auch für eine Beschreibung des Inhalts verwenden

  • Strophe 1:
    Vorstellung eines Menschen in einer besonders schmerzlichen Situation des Verlustes der Liebe
  • Strophe 2:
    genaue Beschreibung des Glückszustands der Liebe
  • Strophe 3:
    Hinweis auf die Nichtmöglichkeit des Trostes, wobei geklärt werden müsste, ob sich die ersten beiden Zeilen auf die verlorene Liebe rückblickend beziehen oder auf eine angenommene neue Beziehung, wofür der Konjunktiv sprechen würde.
  • Strophe 4:Erweiterung der Nichtmöglichkeit in Richtung auf Gott, dabei noch einmal genau aus eingehen auf das Phänomen der intensiven Liebe

Untersuchungsaspekt struktureller Aufbau:

  • Strophe eins und Strophe zwei gehören zusammen.
    • Die erste Strophe beschreibt Menschen in ihrer Verlustsituation,
    • die zweite beschreibt dann genauer, was verloren worden ist.
  • Die dritte und vierte Strophe prüfen mögliche Problemlösungen:
    • Eine erneute Liebe,
    • gewissermaßen als Ersatz,
    • kann nicht den Schmerz über den Verlust beseitigen,
    • nicht einmal Gott kann helfen.

Untersuchungsaspekt Sprache und Gestaltung:

  • Insgesamt lohnt sich hier eine Einzelverfolgung der künstlerischen Mittel, bevor am Ende zusammengefasst wird:
  • Schon gleich am Anfang: Unpersönlicher Ansatz -> in Richtung Sentenz
  • Kontrastierung durch Elemente eher persönlicher Erfahrung:
    • Bild der Wunde (2), Schmerz (3)
    • Lakonische Kürze = Verdichtung in Vers 3, wirkt wie Hammerschläge
    • Chiasmus in 4 und 5
    • Schluss-Stellung des Objekts der Liebe
  • Beginn Strophe 2 = Ineinander von Gegensätzen, typisch romantisch
  • Dann in Form einer Inversion Schlussstellung der Sehnsucht, verstärkt durch Personifikation
  • Dann dreifache Reihung bei der Beschreibung des Einsseins in der Liebe (Steigerung, Klimax), zugleich typisch romantisches Bild der Verschmelzung
  • Inversion am Ende, wo „Pein“ die wichtige Schluss-Stellung bekommt; hier indirekt auch Fluchtgedanke, negative Sicht des Lebens
  • Korrespondenz von 3,1 und 1,2: Aus „Geist und Sinn“ wird „Herz und Sinnen“ = Intensivierung in Richtung Gefühle, verstärkt durch die Interjektion „O“ (15)
  • „Könnt’“ zeigt die Nicht-Selbstverständlichkeit der Liebe (Hinweis von Caroline)
  • Wiederholung des Wortes „neu“ in 17: macht deutlich, dass Quantität nicht Qualität ersetzen kann.
  • Beginn Strophe 4 = noch mal Reihung, interessant, dass hier nicht eine Person, sondern das Phänomen der Liebe in den Blick genommen wird.
  • 21 dreifache Nennung, hier taucht auch wieder „Wort“ auf, was „Geist“ in V2 entspricht, „Sinn“ verknüpft den Geist mit dem „Blick“ und könnte isch auf 12 beziehen, d.h. die Liebe gibt dem Leben Sinn.
  • Am Ende Parallelismus (wieder Kombination von ‚“Denken“ und „Empfinden“ wie in Zeile 2) als letzter Punkt der Steigerung vor dem Höhepunkt, der Feststellung der Unwiederbringlichkeit.

Zusammenfassung:

  • Reizvolle Kombination von senzenzartiger Distanz und trauernder bis quälender Nähe der authentischen Beschreibung (Betroffenheit) (Spannung)
  • Wer – der – Konstruktion, die ebenfalls Spannung mit sich bringt.
  • Dazu passt die besondere Klimaxstruktur der letzten Strophe
  • Reihung von Beschreibungen des Phänomens der Liebe, bsd. Betonung des Einsseins
  • Spiel mit Begriffen zwischen den Polen „Geist“ und „Sinn“
  • Wiederholungen (1,4; 9/10; 22/23) zur Betonung
  • Zum Teil auch Betonung durch Reduktion (3+21)

Schluss

  • Intentionaler Schwerpunkt = besondere Liebesvorstellung, sehr menschlich, modern, ohne Jenseitshoffnung
  • Sehr geschickt unterstützt durch zwei Elemente, die langen Spannungsbögen und die intensiven Reihungen.
    Beides passt zum Titel, aber nicht unbedingt zu dem, was man zunächst erwartet hat.
  • Damit besteht die Chance für eine Überleitung zur Erörterungsaufgabe.

Einordnung des Gedichtes

Inwieweit passt der Text in die Epoche der Romantik und entspricht der aus anderen Gedichten bekannten Liebesvorstellung?

  • Zunächst die Frage nach der Romantik:
    • Gefühl statt Verstand
    • Poetisierung
    • Verwandlung der Alltagswelt ins Wunderbare
    • Sehnsucht
    • Ganzheitliche Erfassung
  • Dann der Vergleich mit anderen Liebesgedichten
    • Novalis, An Julien: Ähnlich intensive Liebeserfahrung, aber Bezug auf Gott im Hier und im Später
    • Eichendorff, Der Schiffer:
      • süßer Schauer,
      • Abgrund,
      • unklarer Schluss:
        • Ewige Treue gegenüber dem Zauber,
        • Hoffnung auf schöneres Leben aus solchem Tod

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