Friedrich Nietzsche, „Der neue Columbus“ (Mat1725)

Allgemeines

Wir beschäftigen uns vor allem mit dem Inhalt von Gedichten – mit dem Ziel, ihre Aussage(n) feststellen zu können. Damit ist nicht gemeint, was der „Dichter mit dem Gedicht sagen wollte“, denn er kann auch was ganz anderes gemeint haben, aber es kam nicht richtig rüber.

Vielmehr geht es um die Zielrichtung  des Gedichtes.

Und die ermitteln wir, indem wir uns die einzelnen Aussagen des Lyrischen Ichs ansehen und dabei vor allem auf Signale achten, die sich wiederholen und damit gegenseitig verstärken.

Das heißt:

  1. Wir gehen erst die Details des Gedichtes durch …
  2. und formulieren am Ende auf dieser Basis die „Aussagen“ des Textes .

Zunächst das Gedicht von Nietzsche mit Kommentaren

Friedrich Nietzsche

Der neue Columbus

01 Freundin! – sprach Columbus – traue
02 keinem Genueser mehr!
03 Immer starrt er in das Blaue –
04 Fernstes lockt ihn allzusehr!

  • 👉 Kurz-Info zur 1. Strophe
    Columbus warnt vor den Genuesern – und damit indirekt vor sich selbst. Ihr Blick ins Blaue steht für Fernweh und die Sehnsucht nach dem Unbekannten. Das lyrische Ich deutet so an, dass Columbus’ Drang in die Ferne ihn überhaupt erst zur Entdeckung Amerikas brachte.
  • Ausführlicher:
    Das lyrische Ich berichtet hier von einem angeblichen Gespräch des Columbus mit einer Freundin, in dem er ihr rät, keinem Genueser mehr zu trauen – er selbst stammt ja als historische Person aus diesem Ort.
    Also ein etwas seltsamer Humor, aber er ist ja auch in einer Art Glücksrausch.
  • In der zweiten Hälfte der Strophe wird das dann begründet:
    Er starre immer in das Blaue, sein Blick sei also in die Ferne, das Meer oder den Himmel gerichtet.
    In der letzten Zeile wird dann erklärt, was mit diesem Blick verbunden ist, nämlich die Verlockung der fernsten Dinge.
  • Das lässt sich natürlich leicht beziehen auf einen neuen Seeweg nach Indien, der ihn dann an die Küste des damals in Europa noch nicht bekannten Amerika verschlagen hat.

05 Fremdestes ist nun mir teuer!
06 Genua, das sank, das schwand –
07 Herz, bleib kalt! Hand, halt das Steuer!
08 Vor mir Meer – und Land? – und Land? —

  • 👉 Kurz-Info zur 2. Strophe
    Das „Fremdeste“ wird zum Ziel, die Heimat ist Vergangenheit. Columbus muss Herz und Gefühle zurückstellen, um den Kurs zu halten. Die Spannung zwischen unendlichem Meer und erhofftem Land steigert die Dramatik dieser Etappe.
  • Ausführlicher:
  • Hier beschreibt das lyrische Ich seine aktuelle Situation mit der klaren Orientierung hin auf das „Fremdeste“, das Äußerste, was ein Mensch ansteuern kann.
  • Die zweite Zeile verdeutlicht, wie sehr er sich entfernt von seiner Heimat.
  • Die dritte Zeile dann präsentiert Appelle an sich selbst, kaltblütig zu bleiben und sich voll auf das Steuer zu konzentrieren, also alle möglicherweise ablenkenden Gedanken und Gefühle beiseite zu schieben.
  • Die letzte Zeile macht dann die Spannung, den Gegensatz deutlich, zwischen dem aktuell ihn umgebenden Meer und der Hoffnung auf Land.

09 Stehen fest wir auf den Füßen!
10 Nimmer können wir zurück!
11 Schaun hinaus: von fernher grüßen
12 Uns Ein Tod, Ein Ruhm, Ein Glück!

  • 👉 Kurz-Info zur 3. Strophe
    Die Mannschaft kann nicht mehr zurück – jetzt geht es nur noch nach vorn. Der Weg birgt Lebensgefahr, aber auch Ruhm und Glück. Das lyrische Ich zeigt die Haltung, das Schicksal anzunehmen, egal ob Tod oder Triumph.
  • Ausführlicher:
  • Die letzte Strophe enthält noch einmal einen Appell an sich selbst, fest auf den Füßen zu stehen, also standhaft zu bleiben.
  • Die zweite Zeile macht deutlich, dass das eine Notwendigkeit ist, weil man nicht mehr zurück kann. Das mag historisch gesehen daran gelegen haben, dass man die Linie überschritten hatte, bei der die Vorräte noch für den Rückweg gereicht hätten.
  • Zu dem Zeitpunkt musste sowohl der historische Kolumbus weiter segeln, weil nur dort noch Hoffnung auf Wasser, Lebensmittel, ggf. auch Reparatur der Schiffe gegeben war.
  • Dies spielt wohl auch beim lyrischen Ich des Gedichtes eine Rolle.
  • Der Schluss beschäftigt sich mit der Perspektive: Es wird nur noch nach vorne geschaut – und das, was bevorsteht, wird trotz einer großen Spannweite zwischen Ruhm und Tod als ein Gruß empfunden, d.h. das lyrische Ich nimmt sein Schicksal an.

Beispiel für eine intelligente Nachfrage

Mich ärgert, wie der Typ mit seiner Freundin umspringt.
Könnte man dem nicht etwas entgegensetzen?

Und hier nun eine Idee

Es muss ja nicht gleich auch ein Gedicht sein – es könnte auch ein Brief sein, der „Columbus“ noch rechtzeitig erreicht.
Zum Beispiel – auch als Gedicht geeignet.

Mein lieber Ex,
das ist eine gute Idee von dir.
Ich wünsch dir Glück
und suche meines
jetzt endgültig
in den Armen eines anderen,
den ich lange vertrösten musste.

Kleiner Tipp für eilige Leser 😉
Der Witz liegt natürlich in der letzten Zeile – auch wenn es vielleicht gar nicht stimmt.
Aber wie sagt der Volksmund: „Rache ist süß“ – wenn auch nur ein Pflaster auf der aktuellen Wunde – wenn sie sich das nur ausgedacht hat, um ihre Verletztheit zurückzugeben.

Vergleich mit einem Gedicht von Schiller

Vergleichen kann man dieses Gedicht mit einem von Schiller:

Friedrich Schiller,

Kolumbus

Steure, mutiger Segler! Es mag der Witz dich verhöhnen,
Und der Schiffer am Steur senken die lässige Hand.
Immer, immer nach West! Dort muss die Küste sich zeigen,
Liegt sie doch deutlich und liegt schimmernd vor deinem Verstand.
Traue dem leitenden Gott und folge dem schweigenden Weltmeer,
Wär sie noch nicht, sie stieg‘ jetzt aus den Fluten empor.
Mit dem Genius steht die Natur in ewigem Bunde,
Was der eine verspricht, leistet die andre gewiß.

  • 👉 Kurz-Info zur Auswertung
    Während Schiller den Columbus als Helden mit göttlicher Rückendeckung stilisiert, bleibt Nietzsche nüchterner und existenzieller: Tod und Ruhm stehen gleichwertig nebeneinander. Damit lenkt Nietzsche die Deutung stärker auf die Grenzen menschlicher Kontrolle und die Annahme des Schicksals.
    Ausführlicher:
  • Hier ist die Kommunikationssituation verändert, es spricht das lyrische Ich zu dem tapferen Seefahrer.
  • Hervorgehoben werden nicht nur sein Mut, sondern auch die Notwendigkeit eines glücklichen Endes.
  • Hier wird doch tatsächlich behauptet, dass das, was der „Genius“ wünscht, auch von der Natur, also der Wirklichkeit bereitgestellt wird.
  • Das kann man natürlich gut sagen, wenn das Glück, das dieser historische Held gehabt hat, schon für Schiller etwa 300 Jahre zurückliegt und Realität ist.
  • Der „Columbus“ Nietzsches ist da vorsichtiger und auch bereit, den Tod als Entscheidung des Schicksals anzunehmen.
  • Ansonsten ist das sicher ein schönes Thema für eine Diskussion, inwieweit man als Mensch sein Glück beeinflussen kann.
  • Spannend ist sicher auch die Frage, ob es zum Konzept der Weimarer Klassik gehört, solch einen Zusammenhang anzunehmen.

Näheres dazu findet sich hier:
https://schnell-durchblicken.de/schiller-kolumbus

Weitere Vergleichsmöglichkeit

Friedrich Nietzsche, „Der neue Columbus“ im Vergleich zu Georg Heym, „Columbus“
https://schnell-durchblicken.de/friedrich-nietzsche-der-neue-columbus-im-vergleich-zu-georg-heym-columbus

Weiterführende Hinweise