Kafka, „Die Verwandlung“ – Abschnitt 8:

Inhalt des 8. Abschnittes: Regelung der Mahlzeiten – eingeschränkte Kommunikation

Mahlzeiten und Kommunikation
Gregor will immer noch Rücksicht nehmen auf seine Familie – um sich selbst kümmert er sich weniger. Seine Schwester kümmert sich jetzt um artgerechtes Essen für ihn, er kann sich aber nicht mit ihr unterhalten. Allerdings versteht er, wie sie sein Essverhalten mitfühlend kommentiert.

https://www.projekt-gutenberg.org/kafka/verwandl/verwa008.html

  1. [Halbschlaf – Hunger – und Bemühen um Rücksichtnahme auf die Familie]
    Erstaunlich, was Gregor sich hier als Ziel setzt: „dass er sich vorläufig ruhig verhalten und durch Geduld und größte Rücksichtnahme der Familie die Unannehmlichkeiten erträglich machen müsse, die er ihr in seinem gegenwärtigen Zustand nun einmal zu verursachen gezwungen war.“
  2. [Rücksichtnahme der Schwester auf Gregors Situation und seine Essgewohnheiten]
    „Ob sie wohl bemerken würde, dass er die Milch stehen gelassen hatte, und zwar keineswegs aus Mangel an Hunger, und ob sie eine andere Speise hereinbringen würde, die ihm besser entsprach? Täte sie es nicht von selbst, er wollte lieber verhungern, als sie darauf aufmerksam machen, trotzdem es ihn eigentlich ungeheuer drängte, unterm Kanapee vorzuschießen, sich der Schwester zu Füßen zu werfen und sie um irgendetwas Gutes zum Essen zu bitten.“
    Hier merkt man wieder, wie zurückhaltend defensiv Gregors Einstellung ist.
  3. „Aber die Schwester bemerkte sofort mit Verwunderung den noch vollen Napf, aus dem nur ein wenig Milch ringsherum verschüttet war, sie hob ihn gleich auf, zwar nicht mit den bloßen Händen, sondern mit einem Fetzen, und trug ihn hinaus. Gregor war äußerst neugierig, was sie zum Ersatz bringen würde, und er machte sich die verschiedensten Gedanken darüber. Niemals aber hätte er erraten können, was die Schwester in ihrer Güte wirklich tat. Sie brachte ihm, um seinen Geschmack zu prüfen, eine ganze Auswahl, alles auf einer alten Zeitung ausgebreitet. Da war altes halbverfaultes Gemüse; Knochen vom Nachtmahl her, die von festgewordener weißer Sauce umgeben waren; ein paar Rosinen und Mandeln; ein Käse, den Gregor vor zwei Tagen für ungenießbar erklärt hatte; ein trockenes Brot, ein mit Butter beschmiertes und gesalzenes Brot. Außerdem stellte sie zu dem allen noch den wahrscheinlich ein für allemal für Gregor bestimmten Napf, in den sie Wasser gegossen hatte. Und aus Zartgefühl, da sie wußte, daß Gregor vor ihr nicht essen würde, entfernte sich eiligst und drehte sogar den Schlüssel um, damit nur Gregor merken könne, daß er es so behaglich machen dürfe, wie er wolle.“
    • Am Anfang wird die Distanz deutlich, mit der die Schwester mit dem „Ungeziefer“-Bruder umgeht.
    • Deutlich wird auch, wie sie sich auf ihn und seine neuen Bedürfnisse einstellt. Infragegestellt werden sie nicht. Das lässt die Hilfe problematisch erscheinen.
  4. „Gregors Beinchen schwirrten, als es jetzt zum Essen ging. Seine Wunden mussten übrigens auch schon vollständig geheilt sein, er fühlte keine Behinderung mehr, er staunte darüber und dachte daran, wie er vor mehr als einem Monat sich mit dem Messer ganz wenig in den Finger geschnitten, und wie ihm diese Wunde noch vorgestern genug weh getan hatte.“
    • Hier wird deutlich, wie sehr Gregor sich verwandelt hat – und dass das nicht nur negativ ist. Offensichtlich reagiert sein Körper positiv auf die Veränderung.
  5. [Gregors „Feingefühl“ im Gegenzug]
    • „»Sollte ich jetzt weniger Feingefühl haben?«, dachte er und saugte schon gierig an dem Käse, zu dem es ihn vor allen anderen Speisen sofort und nachdrücklich gezogen hatte. Rasch hintereinander und mit vor Befriedigung tränenden Augen verzehrte er den Käse“.
      Man sieht hier deutlich, wie Gregor zwischen Tier- und Menschenexistenz steht.
    • „Er war schon längst mit allem fertig und lag nun faul auf der gleichen Stelle, als die Schwester zum Zeichen, dass er sich zurückziehen solle, langsam den Schlüssel umdrehte. Das schreckte ihn sofort auf, trotzdem er schon fast schlummerte, und er eilte wieder unter das Kanapee. Aber es kostete ihn große Selbstüberwindung, auch nur die kurze Zeit, während welcher die Schwester im Zimmer war, unter dem Kanapee zu bleiben, denn von dem reichlichen Essen hatte sich sein Leib ein wenig gerundet und er konnte dort in der Enge kaum atmen.“
    • Unter kleinen Erstickungsanfällen sah er mit etwas hervorgequollenen Augen zu, wie die nichtsahnende Schwester mit einem Besen nicht nur die Überbleibsel zusammenkehrte, sondern selbst die von Gregor gar nicht berührten Speisen, als seien also auch diese nicht mehr zu gebrauchen, und wie sie alles hastig in einen Kübel schüttete, den sie mit einem Holzdeckel schloß, worauf sie alles hinaustrug. Kaum hatte sie sich umgedreht, zog sich schon Gregor unter dem Kanapee hervor und streckte und blähte sich.“
      Auch hier wird deutlich, wie ungesund die Situation und das Verhalten der beiden Personen ist.
  6. [Mahlzeiten-Routine  – der Familie wird eine jede „Trauer“ erspart.]
    • „Auf diese Weise bekam nun Gregor täglich sein Essen, einmal am Morgen, wenn die Eltern und das Dienstmädchen noch schliefen, das zweitemal nach dem allgemeinen Mittagessen, denn dann schliefen die Eltern gleichfalls noch ein Weilchen, und das Dienstmädchen wurde von der Schwester mit irgendeiner Besorgung weggeschickt.
      Man sieht hier deutlich, wie der Rest der Familie es sich bequem macht in der neuen Situation.
    • „Gewiss wollten auch sie nicht, dass Gregor verhungere, aber vielleicht hätten sie es nicht ertragen können, von seinem Essen mehr als durch Hörensagen zu erfahren, vielleicht wollte die Schwester ihnen auch eine möglicherweise nur kleine Trauer ersparen, denn tatsächlich litten sie ja gerade genug.
      Viel an Empathie und Fürsorge scheint nicht da zu sein.

  7. [Eingeschränkte Kommunikation zwischen Gregor und seiner Schwester]
    • Mit welchen Ausreden man an jenem ersten Vormittag den Arzt und den Schlosser wieder aus der Wohnung geschafft hatte, konnte Gregor gar nicht erfahren, denn da er nicht verstanden wurde, dachte niemand daran, auch die Schwester nicht, dass er die anderen verstehen könne, und so musste er sich, wenn die Schwester in seinem Zimmer war, damit begnügen, nur hier und da ihre Seufzer und Anrufe der Heiligen zu hören.“
      Deutlich wird hier, wie sehr die Familie sich um Verschleierung bemüht und doch zumindest die Schwester darunter leidet.
    • Erst später, als sie sich ein wenig an alles gewöhnt hatte – von vollständiger Gewöhnung konnte natürlich niemals die Rede sein – , erhaschte Gregor manchmal eine Bemerkung, die freundlich gemeint war oder so gedeutet werden konnte. »Heute hat es ihm aber geschmeckt«, sagte sie, wenn Gregor unter dem Essen tüchtig aufgeräumt hatte, während sie im gegenteiligen Fall, der sich allmählich immer häufiger wiederholte, fast traurig zu sagen pflegte: »Nun ist wieder alles stehengeblieben.«
      Interessant, dass der Erzähler dies nicht eindeutig positiv wertet, was es wohl auch nicht ist.

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