Abiturwissen zur Erzählung „Sommerhaus, später“

Besonders für das mündliche Abitur ist es zum einen wichtig, sicheres Wissen so abzuspeichern, dass man es im Falle des Falles auch wirklich abrufen kann. Hier helfen Übersichten, die systematisch angelegt sind – und sich dann auch gut optisch im Kopf abspeichern lassen.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass das, was da zusammengefasst worden ist, auch wirklich verstanden wurde.
Wir präsentieren hier man ein Beispiel zu Judith Hermanns Erzählung „Sommerhaus, später“ – und zwar zunächst einmal einen zweiten Teil, der sich vor allem mit dem Umfeld der Erzählung beschäftigt.
Zunächst erst mal ein Bild, wie eine entsprechende Seite aussehen kann – darunter werden die einzelnen Aspekte gut lesbar behandelt. Außerdem ist unter dem Screenshot ein Link zum Download als PDF-Datei eingefügt.
Abiturkonzentrat Deutsch 2019

 

1.    Traditionelles und modernes Erzählen

  • Veränderung im 20. Jhdt: Erzähler Tendenz 1: fast unbeschränkte Freiheit zum Beispiel bei den Bausteinen des Erzählens (erlebte Rede – Innerer Monolog, szenische Darstellung, Erzählerbericht, Kommentar usw.)
  • „Sommerhaus, später“: Fragmentarische und kommentierende Ich-Perspektive der Erzählerin, über die deshalb nicht hinausgeblickt werden kann; Migner spricht hier vom „völligen Aufgehen in einer Figur, aus deren Perspektive die Welt gesehen wird“, Sommerhaus: Spiel mit den Zeitebenen am Anfang; Beschränkung auf Andeutungen in den Dialogen
  • Erzähler Tendenz 2: Bemühen um möglichst unmittelbare Darstellung der komplexen „Wahrheit“im Hinblick auf Mensch und Welt, dabei Verzicht auf Realitätstreue, Sommerhaus: Es geht tatsächlich stark um die Figurenperspektive von IE und Stein
  • Anm: Das entspricht dem Expressionismus, dem es auch eher um die gefühlte, erfahrene Realität geht, weniger um die scheinbar echte, die man vor Augen hat.
  • Rückblick: Verzicht auf den souveränen Erzähler des 19. Jhdts, der alles weiß und auch kommentiert. Vgl. Kleist in „Die Marquise von O“, Sommerhaus: siehe oben IE-Perspektive
  • Helden- und Menschenbild: Interesse an der menschlichen Substanz der Figuren, in der Abhängigkeit von Gesellschaft bzw. Außenwelt: Das trifft besonders für die Ich-Erzählerin zu, Stein setzt eher eigene Akzente
  • Konzentration auf das Innenleben: spielt in „Sommerhaus, später“ bei der Ich-Erzählerin eine große Rolle, bei Stein bekommen wir es nur indirekt, z.T. über Körpersprache mit
  • Eher ein Scheiternder, also negativer Held (wie etwa in Büchners Woyzeck), hier bei Stein ansatzweise gegeben, bei der Ich-Erzählerin möglicherweise viel mehr, aber nicht so sichtbar (Brand des Hauses)
  • Nicht mehr wie früher eine Vorbildfigur, keine statische Figur mehr, keine Berechenbarkeit, stattdessen psychologisierend, es geht mehr um Möglichkeiten; in Sommerhaus: Figuren verhalten sich überraschend, lassen sich treibend, wie man besonders am Anfang am Verhalten der Ich-Erzählerin sieht; Innenleben zumindest bei der IE im Vordergrund, bei Stein indirekt
  • Aufbau/Struktur: Freiere Konstruktion und Montage: spielt in Sommerhaus weniger eine Rolle
  • Mischung der zeitlichen Ebenen: Sommerhaus: am Anfang gegeben
  • Weniger Interesse an einer erzählenswerten geschlossenen Handlung (vgl. Novelle), also Offenheit der Handlung
  • vgl. Büchners Woyzeck
  • Zuständlichkeit wichtiger als Abläufe, in Sommerhaus weniger gegeben, da Zuständlichkeit und Abläufe zusammenfallen
  • Unsicherheit größer, weniger Berechenbarkeit (als etwa in Goethes Faust): Sommerhaus: gegeben, das bedeutet auch eine gewisse Spannung, wie es weitergeht
  • –    An die Stelle der Kontinuität tritt Intensität: Sommerhaus, nur gefiltert durch die Ich-Erzählerin spürbar

2.    Literaturgeschichtliche Einordnung

  • Unterscheidung zwischen „Stilbegriff und Epochenbezeichnung“: Judith Hermanns Erzählung entspricht einem gewissen Stil, der im Zusammenhang des sog. „literarischen Fräuleinwunders“ thematisiert wird, gilt nicht für alle Autorinnen
  • „Rückkehr zum Realismus“ und „Wiederentdeckung des Erzählens“ im Unterschied  zu den „Selbstreflexionen“ und „Formspielereien“ der 70er und 80er Jahre; die waren verbunden mit einem resignierenden Rückzug aus der Politisierung der Literatur der 60er Jahre
  • „Sommerhaus, später“: Novellenansätze sprechen für „erzählen“, Stein sorgt schon für so was wie eine „unerhörte Neuigkeit“, dazu das entsprechende Dingsymbol (Sommerhaus), hat auch eine gewisse Dramatik, außerdem viele Leser: (250.000 Exemplare), was auch als Gegenteil zu dem Vorwurf passt, die Literatur der 70er und 80er sei vor allem von „Lektoren und Rezensenten“ gelesen worden.
  • bleibt aber stark dem Innenraum der Figuren bzw. einer gewissen Innerlichkeit verpflichtet, was sich noch an Tendenzen der 70er und 80er Jahre anlehnt.
  • Besonders groß ist der Kontrast zur Resignation der 70er und 80er Jahre bei den Popliteraten, die sich optimistisch geben
  • wollten die Welt nicht mehr verändern
  • sondern von einer Welt erzählen
  • in der man kaum zur Ruhe kommt, jede Menge Entertainment bzw. Events
  • dazu eine Welt der Sub- und Jugendkulturen mit dem Zwang zum perfekten Styling, immer auf dem Trip, eine Show abziehen zu müssen.
  • „Sommerhaus, später“: „Elemente der Pop-Literatur: häufige Nennung von Markennamen; Bezugnahme auf Popmusik; Beschreibung der Langeweile.“


3.    Kurzgeschichte und Novelle

  • Kurzgeschichte: „bedeutungsvoller Ausriss aus dem Leben“
  • Direkter Einstieg: „Sommerhaus, später“: erst mal gegeben, Vorgeschichte wird dann aber nachgeholt
  • Offenes Ende: „Sommerhaus, später“: nur sehr eingeschränkt, da alles dafür spricht, dass es für die „Ich-Erzählerin beim ’später‘ bleibt und Stein möglicherweise neue Möglichkeiten findet und nutzt.
  • Konzentration auf einen Moment aus dem Alltag, der allerdings Bedeutung hat für das gesamte Leben – sei es als Kennzeichnung oder auch als Wendepunkt – vgl. „Ausriss aus dem Leben“: „Sommerhaus, später“: Gilt voll und ganz, ein wirklich bedeutungsvoller Moment, vielleicht die einzige und letzte Chance für die Ich-Erzählerin
  • Vorliebe für Außenseiter und Alltagsprobleme: „Sommerhaus, später“: Kann man sagen
  • Novelle: wörtlich: eine Neuigkeit – und möglichst auch wirklich neu, also so noch nicht gehört, häufig mit einem Dingsymbol verbunden
  • „Sommerhaus, später“: Der Fall mit diesem Haus ist schon etwas Besonderes, darum gibt es ja auch dieses Dingsymbol, das bis in den Titel hineinwirkt.
  • Umfang zwischen Kurzgeschichte und Roman, zum Teil Rahmenerzählungen
  • „Sommerhaus, später“: Für eine Novelle doch recht kurz, aber es gibt kein offenes Ende.
  • Handlung:
  • Konzentration auf eine einzige Handlung: „Sommerhaus, später“: Kann man sagen:
  • die zügig durchgeführt wird – wie in einem Drama: „Sommerhaus, später“: Eine gewisse Dramatik mit Auf und Ab ist gegeben.
  • insgesamt eher geschlossene Form, d.h. mit dem Ende ist der Fall abgeschlossen, abgerundet: „Sommerhaus, später“: Geschlossene Form ist eher gegeben.
  • Figuren eher originell, keine Typen, entspricht dem Besonderen des Falls
  • „Sommerhaus, später“: Vor allem für Stein gilt das, weniger für die Ich-Erzählerin.
  • Traditionelle Erzähltechnik, geordnete Wirklichkeit, Figuren aus der Gesellschaft: gilt bei Kleist alles nur eingeschränkt
  • „Sommerhaus, später“: Gilt auch nur eingeschränkt.

4.    „Fräuleinwunder“ und Biografisches

  • 1998 = Zeitpunkt der Veröffentlichung, gleichzeitig mehrere andere junge Schriftstellerinnen -> „literarisches Fräuleinwunder“ = Anspielung auf die Veränderung des Frauenbildes nach der NS-Zeit
  • „Spaß an guten Geschichten“, keine „Angst vor Klischees und großen Gefühlen“
  • Problem: bald nicht mehr akzeptable „Fräulein“ statt Frau – Vorstellung sowie Konzentration auch auf Äußerlichkeiten – mit entsprechendem Vermarktungseffekt
  • Judith Hermann hat später selbst versucht, davon wegzukommen
  • Autorin. Abgebrochenes Germanistik- und Musikstudium, Band-Engagement, dazu Journalistenschule
  • 1998 Glück eines Stipendiums, das sie für den ersten Band mit Erzählungen (gleicher Titel wie unsere Erzählung) nutzt
  • Dazu das Glück, im Literarischen Quartett (TV-Sendung) von dem Literaturpapst Reich-Ranicki positiv besprochen zu werden, weil sie ein ganz bestimmtes Lebensgefühl in Berlin, den „Sound einer neuen Generation“ verewigt hat
  • Daraus wurde eine regelrechte Renaissance der Kurzgeschichte in Deutschland
  • Großer Erfolg: Mehr als 250.000 Exemplare, normal sind wenige Tausend
  • Später weitere Erzählbände, schon mit Erfolgsdruck verbunden
  • 2014 Roman „Aller Liebe Anfang“ – hier musste sie schon gegen den Vorwurf verteidigt werden, doch nicht gut schreiben zu können

https://www.berliner-zeitung.de/kultur/literaturdebatte-um-judith-hermanns–aller-liebe-anfang–kritiker-ohne-distanz-226310