Worum es hier geht:
Vorgestellt wird Alfred Lichtensteins Gedicht “Sonntagnachmittag”, in dem auf typisch expressionistische Art und Weise die Umwelt nur verwendet wird, um offensichtlich eigene Gefühle rauszuhauen.
Das Phänomen wird in diesem Video genauer beschrieben:
Anmerkungen zu Strophe 1
Auf faulen Straßen lagern Häuserrudel,
Um deren Buckel graue Sonne hellt.
Ein parfümierter, halbverrückter kleiner Pudel
Wirft wüste Augen in die große Welt.
- Die erste Strophe zeigt ein Bild der städtischen Umgebung.
- Deutlich wird, dass das lyrische Ich das, was es sieht, mit Assoziationen verbindet. Das geschieht zum einen auf metaphorische Art, indem eine Häuserreihe zum Beispiel als Rudel bezeichnet wird.
- Beim Attribut „faul“ im Hinblick auf die Straßen kommt noch eine Bewertung hinzu. Gemeint ist wahrscheinlich, dass die Straßen leer sind, wenig Bewegung zeigen. Die Verbindung mit der Vorstellung der Faulheit ist aber sehr speziell. Die Leute können auch alle in der Kirche sein und dort kräftig singen.
- Die zum Teil auch wertende Sicht auf die Umgebung zeigt sich dann auch im Hinblick auf einen kleinen Pudel. Der ist anscheinend das Accessoire – nach damaligen Vorstellungen: möglicherweise einer Frau, die ihr Parfüm auf auf den Hund verteilt hat. Was mit „halb verrückt“ genau gemeint ist, wird ist nicht ganz klar, wahrscheinlich bewegt das Tier sich nur sehr schnell und hektisch.
- Sehr speziell ist auch die Vorstellung, dass dieser Hund „wüste Augen“ „in die große Welt“ wirft. Es ist kaum vorstellbar, dass das lyrische Ich wirklich dem Hund in die Augen geblickt hat. Auch das wird wohl assoziiert mit der schnellen Bewegung.
- Insgesamt hat man den Eindruck, dass mit der äußeren Welt ganz eigene Bilder und Vorstellungen verbunden werden.
Anmerkungen zu Strophe 2
In einem Fenster fängt ein Junge Fliegen.
Ein arg beschmiertes Baby ärgert sich.
Am Himmel fährt ein Zug, wo windge Wiesen liegen;
Malt langsam einen langen dicken Strich.
- Die erste Zeile der zweiten Strophe wirkt ziemlich realistisch. Ab Zeile 2 weiß mal wieder nicht, ob das lyrische Ich das wirklich sieht oder nur sich zurecht.fantasiert.
- Den Blick in den Himmel kann man dann wieder ganz gut nachvollziehen. Allerdings ist es etwas seltsam, dass hier von Wiesen ausgegangen wird, deren in der Regel grüne Farbe passt nicht so recht zum Himmel..
- Die letzte Zeile ist denn auch wieder recht gut nachvollziehbar, vor allem weil das Wort „langsam“ auftaucht, das zum Zug der Wolken ganz gut passt.
- Beim Vergleich der beiden Strophen könnte die Frage auftauchen, ob die zweite mit dem Blick in den Himmel eher etwas Positives, Ruhiges enthält im Vergleich zur ersten Strophe. Solche Vermutungen sollte man sich ruhig notieren, aber nicht gleich als sichere Feststellung verstehen.
Anmerkungen zu Strophe 3
Wie Schreibmaschinen klappen Droschkenhufe.
Und lärmend kommt ein staubger Turnverein.
Aus Kutscherkneipen stürzen sich brutale Rufe.
Doch feine Glocken dringen auf sie ein.
- Die dritte Strophe scheint die Vermutung zu unterstützen, weil jetzt doch wieder Elemente aufgeführt werden, die eher nach Lärm und Unruhe aussehen.
- Interessant, dass dem gegenüber Glockenhier wieder zumindest teilweise einen Gegenakzent setzen. Denn sie haben zumindest eine religiöse Beziehung zum Himmel.
Anmerkungen zu Strophe 4
In Rummelplätzen, wo Athleten ringen,
Wird alles dunkler schon und ungenau.
Ein Leierkasten heult und Küchenmädchen singen.
Ein Mann zertrümmert eine morsche Frau.
- Die letzte Strophe beschreibt wohl abnehmende Tageshelligkeit. Beim Leierkasten hat man auch wieder ein negativee Attribut.
- Das Singen von Küchenmädchen scheint dem gegenüber positiv zu sein.
- Das wird aber durch den brutalen Schlussakt völlig zerstört, wenn ohne weiteren Kommentar davon die Rede ist, dass ein Mann eine „morsche Frau“ „zertrümmert.“
- In der Realität könnte es einen Streit gegeben haben und das lyrische Ich fantasiert sich da wieder etwas zurecht, was nur seinem Kopf stattfindet. Das würde auf jeden Fall zu dem Grundverfahren dieses Gedichts passen.
Anmerkungen zur Aussage des Gedichtes
- Insgesamt hat man den Eindruck, dass hier jemand nur Ansätze der Wirklichkeit wahrnimmt und die dann gleich mit eigenen Gefühlen und Assoziationen verbindet.
- Diese sind vorwiegend negativ.
- Daraus kann man zumindest den hypothetischen Schluss ziehen, dass hier jemand seine schlechte Laune raushaut. Fast alles, was ihm vor die Augen kommt, ist nicht in der Lage, diese schlechte Laune zu vermindern.
Anmerkungen zum kreativen Umgang mit dem Gedicht
- Natürlich könnte es sein, dass dieser kleine Wut- oder Hassausbruch letztlich die negativen Gefühle im lyrischen Ich vermindert.
- Als Leser, mit dessen Unterstützung das Kunstwerk und damit auch so ein Gedicht erst komplett wird, könnte man ja eine Zusatzstrophe erfinden, die etwa beginnt mit:
(Wir verzichten hier auf den Reim, präsentieren nur Inhalt und einen gleichmäßigen jambischen Rhythmus, wie er auch im Gedicht selbst zu finden ist.- Ich glaub, es reicht mir jetzt.
- Ich habe rausgehauen
- was in mir brütete
- Entlastung hat’s gebracht.
- Ich fahre jetzt ein Stückchen weiter,
- wo ich wohl ewas Schönres find‘.