Anders Tivag, „Von einem, der überhaupt nicht auszog und so das Fürchten lernte (Mat4741)

Worum es hier geht:

Die folgende Geschichte ist entstanden, als ein Deutschlehrer es irgendwie leid war, immer nur Ausreden zu hören und selten Ergebnisse zu sehen, mit denen er zufrieden sein konnte.

So beschloss er einfach, seinen Frust in einer Geschichte zu verarbeiten – natürlich unter einem Pseudonym – denn ihm ging es um die Sache, nicht so sehr darum, ob die Geschichte gut war.

Und wenn an der Geschichte herumkritisiert wurde, dann sollte das offen geschehen, ohne irgendwelche Rücksichtnahme auf ihn.

Nun kann sich jeder selbst ein Urteil darüber bilden,

  1. inwieweit die Geschichte in sich stimmig ist,
  2. ob sie tatsächlich deutlich macht, was der Unterschied ist zwischen Schule und Berufswelt
  3. und wie so ein Coaching aussehen könnte, das Eddy vielleicht helfen könnte, sich besser zu präsentieren.

Natürlich kann man diese Geschichte auch vergleichen mit dem Märchen, auf das sich der Titel bezieht. Es ist zum Beispiel hier zu finden.  Dort wird allerdings ganz anders mit mangelndem Engagement umgegangen, es scheint sogar zum Erfolg zu führen – aber warum?

Anders Tivag,

Von einem, der überhaupt nicht auszog und so das Fürchten lernte.

Eddy hatte es geschafft, das Abitur zwar nur mit knapper Not, aber immerhin.  Und dann kam auch noch das überraschende Angebot seines Vaters, er könne bei einem Freund in dessen Firma ein Praktikum machen. Das würde die Zeit bis zum BWL-Studium gut überbrücken und er hätte schon mal einen Fuß in einem möglichen späteren Job

Eddy war davon nicht in gleicher Weise begeistert wie sein Vater. Er wollte eigentlich erst mal mit Freunden was von der Welt sehen. aber dann ließ er sich doch breitschlagen. Er würde dann die Weltreise einfach später antreten und den Beginn des Studiums um ein Semester verschieben.

Der erste Tag in der Firma begann dann auch ganz gut. Der Chef schien viel Vertrauen zu ihm zu haben. Jedenfalls bekam er gleich einen recht aufwändigen Recherchejob und jede Menge Tipps

Als er nach etwa nach einer halbe Stunde das Zimmer des Chefs verließ, fragte er sich, warum das so lange hatte dauern müssen. Das war doch alles recht einfach, was er da rauskriegen sollte.

Deshalb fing er auch gar nicht erst mal damit an ab, sondern schaute sich in Ruhe die Abteilung an, in der er eingesetzt war. Das mit der Recherche verschob sich noch ein bisschen mehr, da sein Freund Harry sich per WhatsApp meldete.

Zwei Stunden vor dem Abgabetermin fing er dann doch mal mit der Recherche an. Er kam aber irgendwie nicht so richtig weiter. Und als er nur noch eine Stunde hatte, dachte er: Am besten ist es, ich kopiere hier einfach ein paar Informationen zusammen, die ich nachher dem Chef vorlegen kann.

Er war dann  ganz erstaunt, als der Chef nach kurzer Durchsicht der Unterlagen fragte, wieso er die fünf Punkte offensichtlich überhaupt nicht beachtet hatte. Er habe sich doch extra Mühe gegeben, ihm den Einstieg zu erleichtern. Irgendwie hatte Eddy das nicht mehr so richtig im Gedächtnis – und so war es kein Wunder, dass davon auch in seinen Ergebnissen nichts zu sehen war.

Während Eddy noch darüber nachdachte, wie er aus der Nummer rauskommen konnte, klappte sein Chef die Unterlagen zu und meinte: „Herr Thalheimer, gut, dass wir beide den Praktikumsvertrag noch nicht unterschrieben haben. Unsere Vorstellungen scheinen doch sehr unterschiedlich zu sein. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Sie finden bestimmt noch eine Praktikumsstelle, die besser zu Ihnen passt,  und viele Grüße an ihren Vater.“

Etwas bedröppelt packte Eddy seine Sachen und verließ die Firma.
Auf dem nach Hause traf er seinen Freund Harry, mit dem er erst mal ihre Lieblingskneipe aufsuchte. Dessen Reaktion:
Wie? Du hast an deinem ersten Praktikumstag zwei Stunden mit mir gechattet, statt deine Arbeit zu machen? Ich muss schon sagen: starke Leistung.

Eddy meinte nur, inzwischen leicht am Boden zerstört: Was hätte ich denn anders machen sollen? Ich konnte doch nicht wissen, dass der gleich am ersten Tag so viel von mir verlangt. Wie hast du das eigentlich geschafft, dass du in deiner Firma inzwischen ständig den Chef begleitest, irgendwie als Assistent oder so.

Die überraschende Antwort: Vielleicht erinnerst du dich daran, dass ich ein Jahr vor dem Abitur fast die Zulassung nicht bekommen hätte. Aber dann hat mein Vater ein brutales System mit mir besprochen. Taschengeld auf null und auch sonst nichts außer wohnen und essen. Ich musste mir alles verdienen. Alles, was ich Richtung Abitur und Wissen und Fähigkeiten brauchte, wurde in kleine Bausteine zerlegt. Und immer wieder gab es keine Prüfung, bei der mein Vater feststellte, wie viel Prozent des Ergebnisses ich erreicht hatte. Unter 50 % gab es gar nichts. Darüber wurde es dann immer besser und nach zwei Monaten hatte ich mehr Taschengeld als vorher.

Eddy hatte für seine Verhältnisse erstaunlich gut zugehört und fragte: Und was hat es mit mir zu tun?
„Nun, ich musste doch einfach lernen, mich auf die jeweiligen Aufgaben einzustellen und sie möglichst optimal abzuarbeiten. Das war am Anfang nicht einfach, aber ich habe es erstaunlicherweise schnell gelernt. Ich musste es nur wollen. Und das Wollen, das kann ich dir sagen, das kam mit meinem leeren Portmonee.“

Während Eddy noch nachdachte und hörbar schluckte, legte ihm Harry die Hand auf die Schulter und meinte nur: Ich will mich übrigens später mal selbstständig machen und Leuten beibringen, wie man sein Portmonee füllen kann. Du könntest doch jetzt mein erster Kunde werden. Du bekommst auch einen guten Einführungspreis, den kannst du dann Tag für Tag abarbeiten. Je nachdem, wie gut du voran kommst.

Eddie stöhnte auf: Ich glaub, ich fürcht mich. Und sowas nennt sich Freund. Harry dazu nur cool, schon voll in der Rolle des Coaches: „Ein guter Freund ist da, wo es wehtut.“

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