Anstoßtext: „30 Sekunden reichen nur für Heiratsschwindler oder: Warum wir Menschen nicht gleich in eine Schublade stecken sollten“ (Mat279)

  • Im Unterricht braucht man als Lehrer immer wieder Texte, die Nachdenklichkeit erzeugen und Diskussionen „anstoßen“. In diesem Falle geht es um die Frage, ob es wirklich stimmt, dass die ersten 30 sec bei der ersten Begegnung mit einem Menschen entscheidend sind.
  • Das Material macht deutlich, dass daran einiges richtig, aber auch einiges falsch ist – und man sich nicht gleich entmutigen lassen sollte.
  • Eine fiktive Mail eines Schülers an seine Freunde, in der er erklärt, warum er nicht aufgibt, wenn er nicht gleich beim ersten Treffen mit jemandem Erfolg hatte.

Der Text

Max Sahlberg,

30 Sekunden reichen nur für Heiratsschwindler“

Heute habe ich im Internet eine Regel gefunden, dass man bei einem Mädchen keine Chance mehr hat, wenn man in den ersten 30 Sekunden keinen Blickkontakt erreicht hat. Wough – da war ich erst mal baff. Dann bin ich die letzten drei Tage durchgegangen – und mir ist tatsächlich aufgefallen, dass einige nette Girls, die ich mir etwas genauer angesehen habe, starr geradeaus ge5 guckt haben – im Bus zum Beispiel. Außer in einem Falle – da hatte ich einer aus Versehen auf den Fuß getreten – die hat sofort geguckt und sogar ziemlich heftig.
Aber ich wollte jetzt eigentlich gar nicht mit euch über mein Liebesleben sprechen, das ist schon ziemlich in Ordnung. Für mich ist das wirklich eine  spannende Frage. Man hört ja auch sonst so, dass die ersten 30 Sekunden darüber entscheiden sollen, was man beim ersten Treffen mit jemandem für einen Eindruck hinterlässt.
Tatsächlich – mir fallen da schnell einige Beispiele ein: Unser neuer Mathelehrer war beim ersten Auftritt trocken wie der innere Kern der Sahara – und genauso war er, als er mir meine erste Fünf wiedergab. Und Lara, die neue Mitschülerin in unserem Deutschkurs, guckte mich schon komisch an, als sie sich neben mich setzen musste – so gleich mit wegrücken – und so ist es auch geblieben.
Andererseits habe ich letztens einen scharfen Film gesehen, bei dem eine Frau ihrer Freundin nach der Trennung zu einem neuen Mann verhelfen wollte. Sie also ab für eine Woche nach Spanien – und schon am zweiten Tag kam es zum großen Showdown am Swimmingpool. Sie sieht nicht nur einen bärenstarken Typen mit einer Mordsfigur – nein, der kommt auch noch gleich rübergeschwommen und zeigt echtes Mega-Interesse. Das heißt: In den ersten 30 Sekunden stimmt einfach alles – bis, ja bis der Typ den Mund aufmacht und mit Piepsstimme sagt: „Sag mal, wo hast du denn deinen Bikini her – ich suche noch einen als Geschenk für meine Frau.“ Tja, die nächsten 10 Millionen Sekunden verbrachten die beiden dann weit voneinander entfernt.
Dann ist mir eingefallen, wie viele Leute sich heute scheiden lassen oder einfach trennen, nachdem sie lange zusammen waren. Die müssen doch alle ihre 30 Traum-Sekunden gehabt haben, sonst wären sie ja nicht zusammen gewesen. Aber sie haben sich doch wohl nicht so gut verstanden, dass es für ein ganzes Leben gereicht hat.
Am schönsten fand ich dann aber einen Bericht in der Zeitung, in dem es um einen „Heiratsschwindler“ ging (nicht gerade ein Wort, das ich täglich verwende). Bei dem stimmten sowohl die ersten 30 Sekunden als auch die paar Tage oder bestenfalls Wochen, bis er den Damen die Konten leer geräumt hatte. Die eine soll ihm sogar noch vor Gericht um den Hals gefallen sein – mit den Worten: „Martin, wo warst du die ganze Zeit?“ Tja, die Gefühle waren noch da – allerdings wohl die falschen.
Also – wir sollten uns nichts einreden lassen – die Erfinder der 30-Sekunden-Regel wollen wohl nur, dass wir ihnen alle interessanten Leute überlassen, wenn es mit dem ersten Blick nicht gleich geklappt hat. Aber da haben die sich geschnitten – wir bleiben dran – und: Bei Lara versuche ich es morgen gleich noch mal 😉

Aufgaben:

  1. Wieso sind die ersten 30 Sekunden bei der ersten Begegnung von Menschen so wichtig?
  2. Wieso können sie aber auch nicht entscheidend sein, um einen Menschen endgültig beurteilen
    zu können?
  3. Wie könnte jemand wie Max bei einer solchen Lara beim zweiten Mal erfolgreicher sein?