Worum geht es hier?
Hier wollen wir am Beispiel einer Ballade mal zeigen, wie man ein solches Gedicht „interpretieren“ kann.
Die Vorarbeiten – mit Stift, Textmarker und leerem Blatt
Wie auch sonst immer:
- Man überfliegt das Gedicht erst einmal.
- Dann schaut man es sich genauer an und arbeitet dabei mit Markierungen und Anmerkungen.
- Ggf. schon mal auf einem freien Blatt Gedanken notieren, die einem später beim Ausformulieren der Lösung helfen können.
Sonderfall Klassenarbeit: Konkrete Aufgabenstellung und Zeitplanung
- Bei einer Klassenarbeit: Auf die konkrete Aufgabenstellung achten
- die kann vom allgemeinen Analysemodell abweichen
- indem Dinge besonders hervorgehoben
- andere vielleicht auch weggelassen worden sind.
- Wichtig ist dann eine Zeitplanung
- Für jede Teilaufgabe sollte man sich die Minuten aufschreiben
- Dann so aufteilen, dass man am Schluss noch fünf oder 10 Minuten übrig hat – für abschließende Kontrolle
- Zwischendurch immer wieder auf die Zeit achten.
- Und wenn man nach der Hälfte der Zeit feststellt, dass man erste ein Drittel geschafft hat, entsprechend umsteuern.
Kleiner Exkurs: „Hermeneutik“ – oder: Wie man Irrwege vermeidet
- An dieser Stelle müssen wir noch einen kleinen Exkurs einschalten, der sich mit dem geheimnisvollen Begriff der Hermeneutik beschäftigt. Damit ist etwa gemeint, was jeder kennt, der abends zu einer Fete geht: Man macht die Tür auf, schaut sich um und hat einen ersten Eindruck. Die Hermeneutiker, also diejenigen, die sich besonders mit der Frage des Verstehens beschäftigen, sprechen hier vom so genannten Vorverständnis. Konkret könnte das bedeuten, dass man feststellt, dass man kaum jemanden von den Anwesenden kennt und man sich deshalb auf eine langweilige oder stressige Zeit einrichtet.
- Typisch für das Verstehen ist nun, dass unsere Sinnesorgane ständig neue Eindrücke bekommen und das Gehirn sie zu einem neuen, besseren Verständnis verarbeitet. Im konkreten Beispiel könnte das bedeuten, dass man im Hintergrund schöne Dinge zum Essen und Trinken entdeckt oder vielleicht auch irgendjemanden, der oder die interessant aussieht. Und so geht es immer weiter, je öfter man hinschaut, desto mehr entdeckt man und desto besser wird gewissermaßen das Bild, das man sich selbst von einem Objekt macht. Das kann – wie in unserem Beispiel – eine Veranstaltung oder eine Gruppe von Menschen sein, das kann aber eben auch ein Text sein.
Die wichtigste Regel: Immer kritisch bleiben und das aktuelle Verständnis prüfen
- Wichtig ist es nur, dass man offen bleibt für das, was wirklich zu sehen ist, und möglichst gute Schlüsse daraus zieht.
- In unserem Fall notiert man sich als erstes was man als Thema des Gedichtes und als seine Intentionalität vermutet, vielleicht fällt einem auch schon etwas ein, womit man es in Beziehung setzen oder ob man es anwenden kann. Alles das sind ganz vorläufige Überlegungen, die man immer wieder auf den Prüfstand stellen sollte, nichts ist schlimmer bei einer Analyse, als wenn man bei einem Vorurteil bleibt. Man denke nur an einen Arzt, der beim ersten Anblick des Patienten bereits glaubt, zu wissen, was er hat, und auf keine anderen Symptome achtet. Das kann schrecklich für den Patienten ausgehen und schrecklich wird es auch bei einer Interpretation, wenn man sich von vornherein auf einen Weg begibt.
- Die Grundregel muss also sein: immer erstmal schauen, was der Text sagt. Wenn der unklar ist oder Lücken aufweist – und das wird gerade bei Gedichten häufig der Fall sein – muss man die eben mit eigenen Erfahrungen und entsprechenden Hypothesen füllen.
Arbeitsschritt 1: Der Einleitungssatz mit der Angabe des Themas
- Nachdem man sich den Text des Gedichtes und die Angaben zum Autor und zur Zeit angeschaut hat, kann man einen Einleitungssatz formulieren, bei dem man sinnvollerweise das Thema allerdings erst mal freilässt – denn das kann man am besten am Ende formulieren, wenn man das Gedicht optimal verstanden hat.
- Es bietet sich für den ersten Satz das folgende „Formular“ an:
- Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um Gedicht von … mit dem Titel …, das im Jahre … veröffentlicht wurde/entstanden ist … [und der Epoche der Romantik angehört].
- Diesen letzten Halbsatz lässt man ggf. auch erst mal weg und fügt ihn ein, wenn das endgültig geklärt ist.
Arbeitsschritt 2: Die Beschreibung der äußeren Form des Gedichtes
- Anschließend beschreibt man den formalen Aufbau des Gedichtes:
- Das Gedicht besteht aus x Strophen mit jeweils y Verszeilen, die durch einen z-Reim verbunden sind. Das Versmaß ist ein x-hebiger Jambus/Trochäus o.ä.
- Wenn man seinem Lehrer eine besondere Freude machen oder später Germanistik studieren will, kann man auch noch auf die Versschlüsse eingehen. Wenn die letzte Silbe in einer Zeile betont ist, spricht man von einem männlichen, ansonsten von einem weiblichen Versschluss. Da das in der Praxis aber kaum eine Rolle für die Interpretation spielt, gehen wir hier nicht näher drauf ein.
- Viel wichtiger ist es, irgendwann sich den Rhythmus genauer anzuschauen, am besten im Zusammenhang mit den künstlerischen Mitteln, weil Dichter dazu neigen, besonders interessante Stellen auch rhythmisch etwas in Unordnung zu bringen. Wenn also ein durchgehender Jambus plötzlich mal unterbrochen ist, dann könnte das zu dem Inhalt passen, bei dem auch gerade eine „Störung“ auftritt.
- Ein berühmtes Beispiel ist Heines Ballade „Belsazar“:
- Die Mitternacht zog näher schon;
- In stummer Ruh lag Babylon.
- Nur oben in des Königs Schloss,
- Da flackert’s, da lärmt des Königs Tross.
- Die ersten drei Zeilen sind vierhebige Jamben, die letzte Zeile, aber wo die Ruhe gestört wird, da geht auch der einfache Wechsel-Rhythmus kaputt:
- Da flackert’s, da lärmt des Königs Tross.
- s H s s H s H s H
- Auf die erste Hebung folgen also zwei Senkungen.
- Wenn vom König die Rede ist, geht es dann auch schön „normal“ wieder weiter, also in vierhebigen Jamben.
- Dort oben in dem Königssaal
- Belsazar hielt sein Königsmahl.
- Bei den Knechten geht die schöne Ordnung aber wieder verloren, da haben wir plötzlich wieder doppelte Senkungen, also eine Störung, wie es auch zum Inhalt passt.
- Die Knechte saßen in schimmernden Reihn
- Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
- s H s s H s s H s s H
- Hier ist die Unordnung aber auch schon wieder ein bisschen geordnet, weil wir es hier nur noch nach dem Anfang mit Doppel-Senkungen zu tun haben, also mit Daktylen (Plural von Daktylus). Das wiederum ist dann weniger eine Störung als ein Wechsel ins Schunkelnd-Lustige, wie es eben für die Knechte wohl typisch ist, während der König einigermaßen (noch) die Haltung bewahrt.
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