Beispiel für die Interpretation einer Romanepisode: Juli Zeh, Corpus Delicti, Kapitel: „Durch Plexiglas“ (Mat5030)

Worum es hier geht:

Im Folgenden soll mal eine bestimmte Interpretationsmethode durchgespielt werde, die an vielen Schulen genutzt wird.

Es geht um die Analyse eines Kapitels aus dem Roman „Corpus Delicti“ von Juli Zeh, das die Überschrift trägt „Durch Plexiglas“ (S. 30/31)

Einleitungssatz mit Angabe des Themas:

  • Das ist erst mal recht einfach – man kann sogar eine Art Formel verwenden:
  • Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Kapitel „Durch Plexiglas“ des Romans „Corpus Delicti“ von Juli Zeh.
  • Das Thema lässt man erst mal offen, weil man das erst am Ende der Interpretationsbemühungen sicher benennen kann.
  • Wenn das gefordert ist, sollte man hier auch eine Deutungshypothese bringen, die man dann im Rahmen der Analyse überprüft und ggf. optimiert.  Wir lassen das auch erst mal offen, weil wir uns lieber erst mal den Text anschauen und schon mal was schreiben.
  • Nachträgliche Eintragung des Themas – das ist immer eine Frage- oder Problemstellung. Die Deutungshypothese ist dann ein erster Versuch, die Frage zu beantworten.
  • Thema des Kapitels ist die Frage, wie Moritz und Mia mit der Situation umgehen, dass sie ihn nur im Gefängnis und unter Aufsicht besuchen kann.
  • Die Deutungshypothese könnte sein:
    Moritz und Mia finden ganz eigene, originelle Wege, um trotz der Gefangenschaft von Moritz verbunden zu bleiben und sich gegenseitig zu helfen.

Dann Klärung der Voraussetzungen

Dann muss man erst mal klären, was man von der Vorgeschichte wissen muss, um dieses Kapitel zu verstehen.

Hier kann man auf drei Dinge hinweisen:

  1. Das Phänomen der Gesundheitsdiktatur
  2. Mias Situation
  3. Situation von Moritz
  4. Und dann ist man nämlich beim Anfang des Plexiglas-Kapitels

„Inhaltliche Wiedergabe“

  • Heutzutage wird bei Interpretationen meistens auch eine inhaltliche Wiedergabe verlangt.
    • Rein theoretisch könnte man hier einfach eine Inhaltsangabe schreiben, so wie man das auch bei einer Kurzgeschichte machen würde.
    • Wenn man sich aber die Checklisten anschaut, die Schülis heutzutage abarbeiten müssen, gibt es dann meistens so etwas nicht mehr, was früher Inhaltserläuterung genannt wurde. Das war nämlich keine platte Inhaltsangabe, sondern es wurde eigentlich untersucht und beschrieben, was der Erzähler dem Leser auf welche Art und Weise präsentiert.
  • D.h. für die Schülis, dass sie doch bei dieser inhaltlichen Wiedergabe mehr leisten müssen als bei einer Inhaltsangabe. Dann freuen sie sich wahrscheinlich, wenn ihnen die Lehrkraft zumindest ein paar Hilfsfragen an die Hand gibt:
    • Wie ist der Text aufgebaut? (Gliederung)?
    • Gibt es besonders interessante/wichtige Stellen?
    • Wie sieht es mit Höhe und Wendepunkten aus.

Das probieren wir jetzt mal aus:

  • Das Kapitel beginnt mit einer Äußerung von Mia, die – wie sich dann herausstellt – ihren Bruder Moritz im Gefängnis besucht.
    • Ein wichtiges literarisches Mittel ist ein seltsamer Vermittlungshinweis des Erzählers, in dem er – mehr auktoriales Erzählen ist kaum möglich – den Leser einfach mal in eine Situation mitnimmt, in der er „durch das Gewebe der Zeit“ hindurchschaut und mitbekommt, was vier Wochen früher zwischen den Geschwistern abgelaufen ist.
    • Anschließend wird die Äußerung Mias inhaltlich gefüllt: Sie hätte nämlich gerne gesehen, wenn sie für Moritz noch hätten eine Frau suchen können. Was diesen Wunsch hervorbringt, bleibt offen.
    • Stattdessen kontert ihr Bruder das mit dem Hinweis, er habe sich eine erfunden, eine „ideale Geliebte“. Sie sei ein „bisschen launisch“, aber er komme mit ihr aus und sei deshalb nicht einsam.
  • Einschub: Versuch körperlicher Kommunikation
    • An dieser Stelle beschreibt der Erzähler, was die Geschwister sich haben einfallen lassen, um sich trotz der Plexiglas-Scheibe möglichst nahezukommen.
  • Leihgabe:
    • Anschließend erfährt der Leser, dass Moritz bereit ist, diese fiktive Gestalt seiner Schwester zu leihen, sie werde sie zu ihm zurückführen.
  • Es folgt eine kleine Auseinandersetzung über diesen Vorschlag:
    • Mia ist erst mal nicht begeistert, hält sie für „Spielchen“, für die ihr die „Einbildungskraft“ fehle.
    • Das kontert Moritz mit dem Hinweis auf frühere gemeinsame Begegnungen „im Reich der Phantasie“.
    • Mia leistet noch Widerstand, indem sie dieses Reich nur bei ihrem Bruder sieht.
    • Das sieht Moritz anders.
  • An dieser Stelle wieder eine Erläuterung des Erzählers zur Metakommunikation:
    • Kurzzeitig betrachten sich die beiden „wie Feinde“ und deutlich wird „ein kurzer Kampf“.
    • Deutlich wird aber auch, dass Mia hier nicht auf vollen Widerstand setzt.
  • Mias Kapitulation:
    • Es ist dann wohl sein Hinweis darauf, dass dieses Reich „für immer unser gemeinsames Zuhause“ sein wird, der Mia kapitulieren lässt. Die letzte Verteidigungslinie ist die Herabwürdigung dieser Figur als „weibliches Hirngespinst.“
    • Moritz reicht das aber. Der Erzähler betont, er sei „gewöhnt“ seinen Willen zu bekommen.
    • Am Ende der Hinweis, diese Figure werde als Geschenk zu Hause auf Mia warten.
  • Es folgt eine Phase, in der es um eine „Gegenleistung“ Mias geht. Es geht um das Einschmuggeln einer durchsichtigen Schnur, deren Bedeutung erst später klar wird.
  • Der Abschied ist dann geprägt von Moritz‘ Hinweis auf die maximal mögliche Autonomie im Hinblick auf das eigene Leben, den Suizid. Er versteckt das in der Andeutung, das Leben sei ein Angebot, „das man auch ablehnen kann.“
  • Es folgt ein letzter Versuch, sich auf eine einigermaßen menschliche Art und Weise, von einander zu verabschieden.

Hier kann man dann noch zentrale Zitate herausstellen und nach Höhe- und Wendepunkten suchen. Einer ist sicher die Übergabe dieser besonderen Geliebten, die ja noch eine wichtige Rolle spielen wird.

Wir setzen das hier noch fort

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