Bertolt Brecht, An die Nachgeborenen – zwischen Fatalismus und Optimismus ((Mat4977)

Worum es hier geht:

In dem Gedicht „An die Nachgeborenen“ von Bertolt Brecht zeigt sich zum einen eine sehr resignative Betrachtung der Möglichkeiten des Widerstands in „finsteren Zeiten“. Zum anderen wird – passend zum marxistischen Geschichtsoptimismus – eine bessere Lösung für die Zukunft erwartet und für die eigene Zeit um Nachsicht gebeten.

Zu finden ist das Gedicht u.a. hier.

Anmerkungen zum Titel

  • Das Gedicht richtet sich, wie der Titel schon ausdrückt, an die Nachgeborenen- also zunächst einmal an die nächste Generation
  • Im Text selbst wird dann begründet, warum hier etwas weitergegeben wird.
  • Das hängt damit zusammen, dass das lyrische Ich die schlimmen Zeiten seiner Gegenwart beschreibt
  • Vor allem macht es aber auch deutlich, dass es sich selbst außerstande sieht, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern.

Anmerkungen zu Strophe 1

  • Am Anfang versichert das lyrische Ich, dass es in finsteren Zeiten lebt. Das wird dann an einem Beispiel erläutert:
    • Das arglose, also nicht böse gemeinte Wort ist “töricht”, also: Man kann es sich nicht mehr leisten.
    • Es folgt ein zweites Beispiel: Eine glatte, also nicht von Sorgen zerfurchte Stirn hat man nur noch, wenn man unempfindlich ist.
  • Am Ende der Höhepunkt dieser Aneinanderreihung: Wer noch lacht, hat eine schlimme Nachricht “nur noch nicht empfangen” – er muss also jederzeit mit ihr rechnen..

Anmerkungen zu Strophe 2, Teil 1

  • Die erste Hälfte der zweiten Strophe beschäftigt sich dann mit den Themen, über die Menschen noch reden können oder eben auch nicht.
  • Etwas ganz Normales, vielleicht auch Schönes, nämlich ein Gespräch über die Bäume wird fast als Verbrechen bezeichnet.
  • Das wird dann genauer erklärt mit dem Hinweis darauf, dass ein solches Gespräch das außer Acht lässt, was eigentlich notwendig ist. Es wird hier also unterstellt, dass man sich damit in gewisser Weise schuldig macht

Anmerkungen zu Strophe 2, Teil 2

  • In der zweiten Hälfte gibt es zusammenfassend ein Bild für diejenigen, die noch ruhig sind. Die kann man nicht mehr erreichen. Von denen ist auch keine Hilfe zu erwarten.

 Anmerkungen zu Strophe 3

  • In dieser Strophe erfolgt eine gewisse Einschränkung, was die Klagen über die Verhältnisse angeht.
  • Das lyrische Ich gibt zu, dass es selbst zumindest noch genügend verdient, um damit überleben zu können
  • Das wird aber nur dem Zufall zugeordnet. Nur ihm verdankt man es.
  • Selbstkritisch nimmt das lyrische Ich für sich als Aufgabe an, sich nicht einmal satt zu essen. Dahinter steht die Vorstellung, dass andere einen Teil des Essens nötiger haben als man selbst.
  • Am Ende der Strophe wird noch einmal der Zufall betont.
  • Das wird dann skeptisch in Richtung Zukunft weitergedacht:
    Das lyrische Ich beklagt die Abhängigkeit vom Glück und geht sogar soweit, sich bei seinem Verlust als verloren zu bezeichnen.

 Anmerkungen zu Strophe 4

  • In dieser Strophe setzt das lyrische Ich sich mit denen auseinander, die ihm einfach einen gewissen Egoismus empfehlen.
  • Erneut aufgenommen wird der Gedanke, dass das, was man sich selbst über die unmittelbaren Lebensbedürfnisse hinaus gönnt, anderen eigentlich geraubt wird.
  • Am Ende, dann ein neuer Aspekt, nämlich die klare Kritik am eigenen Verhalten:
    Das lyrische Ich gibt zu, sich an seine eigenen moralischen Maximen nicht zu halten
  • Wer sich bei Bertolt Brecht ein bisschen auskennt, erwartet hier, dass auf die Bedeutung der allgemeinen sozialen Verhältnisse angespielt wird. Die müssen geändert werden, das Verhalten des Einzelnen kann nur ein Tropfen auf dem heißen Stein bedeuten.

 Anmerkungen zu Strophe 5, Teil 1 (Zeile 1-2)

  • In der letzten Strophe geht es vor diesem Hintergrund um die Frage der Weisheit.
  • Die versucht ja gerade, für Problemfälle eine angemessene Lösung zu finden.
  • Das lyrische Ich kündigt jetzt Weisheiten aus alten Büchern an:

Anmerkungen zu Strophe 5, Teil 2 (Zeile 3-7)

  • Die erste Weisheit schlägt den Rückzug aus den Streitigkeiten der Welt vor.
  • Und verbindet das mit der Abwesenheit von Gewalt und Furcht.
  • Etwas seltsam ist in diesem Zusammenhang der Ratschlag, Böses mit Gutem zu vergelten.
    Gemeint ist damit möglicherweise, dass man auf diese Art und Weise eher zur Deeskalation beiträgt und damit unnötigen Streit vermeidet..
  • Am Ende dann der Vorschlag in Richtung maximale Selbstreduktion: Man soll seine Wünsche vergessen. Das ist natürlich in dieser Allgemeinheit ein ganz problematischer Vorschlag.

Anmerkungen zu Strophe 5, Teil 3

  • Am Ende der Strophe dann noch einmal der Hinweis zum einen auf die Unfähigkeit, sich aus all den üblichen Dingen herauszuhalten, und dann noch mal die Feststellung, dass man in finsteren Zeiten lebt.
  • In gewisser Weise verwirklicht Brecht hier Ansätze des epischen Theaters, wie er sie zum Beispiel im Theaterstück “Der gute Mensch von Sezuan” auf der Bühne verwirklicht hat.

Vorläufe Zusammenfassung des 1. Strophenblocks

  1. Die Verhältnisse in der Welt werden deutlich als schlimm dargestellt.
  2. Auch wird deutlich gemacht, dass moralische Anstrengungen des Einzelnen nicht in ausreichendem Maße möglich sind.
  3. Letztlich läuft es auf das hinaus, was Brecht in dem genannten Drama „Der gute Mensch von Sezuan“ am Ende gefordert hat: Die Zuschauer und hier die Leser müssen selbst eine Lösung finden
  4. Und deren Richtung wird ja dadurch angedeutet, dass das lyrische Ich andeutet, dass es sich aus den Streitigkeiten nicht heraus halten kann und auch nicht so einfach Böses mit Gutem vergelten.
  5. An dieser Stelle muss man natürlich den Titel des Gedichtes einbeziehen:
    1. Offensichtlich richtet sich dieses Gedicht eher an die nächste Generation.
    2. Das kann zum einen bedeuten, dass ihr eine Mahnung mit auf den Weg gegeben wird.
    3. Es kann natürlich auch bedeuten, dass das lyrische Ich für seine Generation und seine Zeit keine Abhilfe erwartet.

 Anmerkungen zu Strophe II, 1

  • Hier blickt das lyrische Ich zurück
  • In die „Zeit der Unordnung“ und des Hungers.
  • Es ist durchaus auch eine Zeit des „Aufruhrs“ und der Empörung.
  • Über den Erfolg wird aber nichts gesagt, stattdessen fast nebensächlich auf die vergehende Zeit eingegangen.

Anmerkungen zu Strophe II, 2

  • In dieser Strophe verstärkt sich der Eindruck einer gewissen Abgehobenheit.

Anmerkungen zu Strophe II, 3

  • Hier wird auch deutlich eine gewisse Erfolglosigkeit angesprochen.
  • Als einziges hofft das lyrische Ich, dass seine Aktivitäten die Herrschenden etwas unsicherer gemacht haben.

 Anmerkungen zu Strophe II, 4

  • Auch hier wieder ein sehr negativer Rückblick.

Zusammenfassung, Teil II

  • Nach der Beschreibung der „finsteren“ Zeiten
  • Geht es um die Kämpfe, die man geführt hat
  • Und die wenig gebracht haben.

 Anmerkungen zu Strophe III, 1

  • In dieser Strophe dann wieder ein deutlicher Appell „an die Nachgeborenen“.
  • Angedeutet wird die mögliche Weiterführung der Kämpfe,
  • Vor allem aber die Bitte um Nachricht mit den „Schwächen“ der Zeit des lyrischen Ichs.

Anmerkungen zu Strophe III, 2

  • Hier wird auf die geringe Aufstandsbereitschaft in den verschiedenen Ländern hingewiesen.

 Anmerkungen zu Strophe III, 3

  • In dieser Strophe dann eine gewisse Zurückhaltung, was das Ausmaß des Kampfes angeht.
  • Zumindest war man nicht übermäßig „freundlich“.
  • Anmerkung: Ein seltsam resignativer Ton, über den die Mächtigen sicher nur lachen.

 Anmerkungen zu Strophe III, 4

  • Hier nun zum Schluss eine wenig begründete Hoffnung
  • Und nur noch die Bitte um Nachsicht für die eigene Zeit.

Auswertung des gesamten Gedichtes

  1. Insgesamt eine ziemlich deutliche Beschreibung der Situation des Lebens „in finsteren Zeiten“
  2. Aber schon im ersten Teil ein resignativer, wenig kämpferischer Ton.
  3. Das verstärkt sich noch im zweiten Teil – nur die kleine, kaum begründete Hoffnung, dass die „Herrschenden“ allein nur wegen der Existenz solchen Widerstands ein wenig unruhiger schlafen.
  4. Am Ende dann die genauso oder noch weniger begründete Hoffnung auf die „Nachgeboren“.
  5. Verbunden mit Reflexionen über die Frage, inwieweit man der Gewalt auch mit eigenem „Haß“ begegnen sollte – nämlich wohl eher nicht. Dann nur noch der Jammer darüber, dass man nicht freundlicher sein konnte.
  6. Am Ende dann ein nur mit marxistischem Geschichtsoptimismus erklärliche Erwartung einer besseren Zukunft.
    • Dies ist keine Kritik an Brecht, sondern nur der Hinweis darauf, dass er neben der Bibel stark von Grundgedanken des Marxismus geprägt war – und der ging ja davon aus, dass die Gesetze der Geschichte mehr oder weniger automatisch zu einer Revolution und damit Umkehrung der negativen Verhältnisse führen werden.
    • Ansonsten sei nur darauf verwiesen, dass Brecht auf den Aufstand von 1953 in der DDR sehr regimekritisch in einem Gedicht reagiert hat:
      Das Gedicht ist z.B. hier zu finden:
      https://www.deutschelyrik.de/die-loesung.html
    • Auch sei verwiesen auf die Parabel „Maßnahmen gegen die Gewalt“, in der sich ein ähnlicher Optimismus nach erzwungener Untätigkeit im Widerstand zeigt:
      https://www.einfach-gezeigt.de/brecht-ma%C3%9Fnahmen-gegen-die-gewalt
  7. Interessant ist, dass es in diesem Gedicht nur um die persönliche Sicht des lyrischen Ichs geht und seine Möglichkeiten.
  8. Völlig außen vor bleiben Überlegungen, was man gegebenenfalls durch Zusammenschluss erreichen könnte und wie und wo der Urheber dieser negativen Verhältnisse sitzt.
  9. Am besten versteht man das wohl, wenn man dieses Gedicht im Zusammenhang mit dem Theaterstück, “Der gute Mensch von Sezuan” sieht. Denn auch dort werden nur negative Verhältnisse beschrieben, denen gegenüber der Einzelne machtlos ist. Und so, wie es hier dem Leser überlassen wird, muss dort auch der Zuschauer die Aufgabe für sich akzeptieren, selbst eine Lösung zu finden.
  10. Man könnte genauer recherchieren, wie und wo Brecht in seinem Leben und in seiner politischen Tätigkeit Lösungsmöglichkeiten gesehen hat.
    In diesem Gedicht und in dem  genannten Theaterstück hält er sich jedenfalls sehr zurück und verzichtet auf jede Art von Belehrung.

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos