Worum es hier geht:
- Da wir selbst immer wieder Einsteiger waren und sind, wollen wir vor allem auch denen helfen, die sich etwas intensiver mit einem bestimmten Thema beschäftigen wollen.
- In diesem Fall geht es darum, wie der Dichter Eichendorff Motive der Natur in seinen Gedichten genutzt hat und wie man sie am besten für die eigene Interpretation nutzt.
- Um all denen zu helfen, die sich in diesem Bereich noch nicht so auskennen, stellen wir hier die wesentlichen Infos und Thesen aus dem Nachwort einer Ausgabe der Gedichte Eichendorffs vor:
Joseph von Eichendorff, Sämtliche Gedichte, Herausgegeben Von Hartwig Schultz, Deutscher Klassiker Verlag, 2. Auflage, 2006, S. 745ff – ISBN: 978-3-618-68012-3
Zunächst ein Schaubild zur Übersicht und als Merkhilfe :
Der Ausgangspunkt:
- Hartwig geht aus von der Rezeption Eichendorffs:
- Schon die Zeitgenossen hoben vor allem „die einfachen Strukturen“ und damit auch die „Schlichtheit“ der Gedichte hervor, die als „erfolgreiche Annäherung an das Volkslied“ verstanden wurde (745).
- Ab den 50er Jahren des 19. Jhdts wurde dann häufiger der Vorwurf der „Monotonie“ erhoben.
- Im 20. Jhdt greift dann die Forschung diese Kritik auf und versucht „zugleich die Komplexität von Eichendorffs Bildern“ nachzuweisen.
- Der Verfasser bezieht sich dann vor allem auf die Forschungen von Richard Alewyn, der für die Wiederholungsmotive den Begriff „Formeln“ (746) vorgeschlagen hat. Außerdem betont er die symbolische Funktion. (747)
Genaueres Eingehen auf das Beispiel des Waldes als Fluchtraum
- Als Beispiel wählt der Verfasser den Wald, um dann die Vielschichtigkeit dieser „symbolischen Formel“ aufzuzeigen.
- Ausgangspunkt ist die Idee des Waldes als Gegenwelt zur Welt der Stadt (748/749), wie sie sich vor allem in dem Gedicht „Abschied“ als Interpretationsbasis anbietet.
- O schöner, grüner Wald,
- Du meiner Lust und Wehen
- Andächt´ger Aufenthalt.
- Da draußen, stets betrogen,
- Saust die geschäft´ge Welt;
- Die Natur wird hier zum Fluchtraum, in dem man der betrügerischen Gesellschaft der Stadtwelt entgehen kann.
- Dazu gehört das Wandern, das der Philisterexistenz städtischer Geschäftigkeit entgegensteht.
Der Wald als Ort der Wiederkehr alter Werte
- Die Gesellschaft hat den ursprünglichen Kontakt zur Natur verloren mit den entsprechenden Konsequenzen für das menschliche Zusammenleben.
- Wichtig ist das Bild des Zeltes
- Schlag noch einmal die Bogen,
- Um mich, du grünes Zelt.
- Das Bild des Waldes gibt es bei vielen Romantikern. Möglicherweise stammt es von Friedrich Schlegel, eine beliebte Wanderlektüre Eichendorffs.
(Friedrich Schlegel, „Im Spessart“, zu finden in: https://www.spessartprojekt.de/spessart/ein-literarischer-streifzug-durch-den-spessart/literarischer-streifzug-friedrich-schlegel/ ) - Für Eichendorff ist der Wald vor allem ein Ort des Zusammenschlusses, wie die folgende Gedichtzeile aus dem Roman „Ahnung und Gegenwart“ zeigt:
https://www.projekt-gutenberg.org/eichndrf/ahnung/ahnu18.html- Gleichwie die Stämme in dem Wald
- Woll’n wir zusammenhalten,
- Ein feste Burg, Trutz der Gewalt,
- Verbleiben treu die alten.
Der Kampf der Tiroler als ein Schritt im geschichtlichen Prozess
- Historischer Bezug – der Freiheitskampf der Tiroler, die sich von ihrem bayerischen Landesherrn im Kampf gegen Napoleon verraten fühlten – für die Romantiker ein Muster eines Freiheitskampfes.
- Der Verfasser verweist dann auf S. 750 darauf, dass der Gedanke der Freiheit mit dem Gedanken des „alten Rechts“ verbunden ist, was Eichendorff auch dem oben genannten Gedicht von Schlegel entnommen habe.
- Der Kampf der Tiroler wurde von den Romantikern übrigens in einem größeren Zusammenhang gesehen: Sie sahen die Gegenwart in einem Kontrast zu einer Zeit, in der Mensch und Natur noch eine Einheit bildeten. Zunächst dachten sie dabei an das Mittelalter, dann gingen sie weiter in eine vorgeschichtliche Vorzeit.
Rolle und Aufgabe der Natur
- Die Natur nun hat die Aufgabe und verfügt über die Fähigkeit, die Menschen an diese goldene „Zeit der Harmonie“ zu erinnern – und dabei spielt der Wald und sein Zelt eine wichtige Rolle.
- In ihm gibt es gewissermaßen Zeugen der Vergangenheit: Ruinen, Brunnen, das Rauschen der Bäche, der Gesang der Nachtigall
- Dazu kommt der Hoffnung spendende Aspekt der „Regenerationsfähigkeite der Natur“, wie sie sich im Tag-Nacht-Tag-Wechsel und in der jährlichen Wiederkehr des Frühlings zeigt.
Die religiöse Dimension
- Großen Wert legt der Verfasser auf die Klarstellung, was Heimat für Eichendorff vor allem bedeutete: Nicht so sehr das Schloss seiner Kindheit, sondern die himmlische Heimat war für den gläubigen Katholiken der eigentliche Sehnsuchtsort. (S.752) Am deutlichsten wird das am Schluss des Gedichtes von den zwei Gesellen.
- Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass in dem berühmten Gedicht „Denkst du des Schlosses nochauf stiller Höh“ am Ende eine Todesahnung, ja fast eine Todessehnsucht zu spüren ist
- Hier verbindet sich die weiter oben angesprochene Paradiesvorstellung mit der christlichen.
Der Doppelcharakter der Natur
- Bezeichnend für die Akzentverhältnisse ist, dass die Naturbegeisterung im Gedicht von den zwei Gesellen am Ende genauso in den Untergang führt wie der Philisterweg des anderen. (753).
- Vor diesem Hintergrund versteht man auch die Gedichte Eichendorffs besser, die ein „verführerisches, heidnisches Naturverständnis“ (754) präsentieren.
https://www.projekt-gutenberg.org/eichndrf/gedichte/chap121.html- Und unterm duftgen Schleier,
- Sooft der Lenz erwacht,
- Webt in geheimer Feier
- Die alte Zaubermacht.
- Der Verfasser fasst den Doppel-Charakter der Natur bei Eichendorff so zusammen:
- „Die Natur bewahrt in ihrem Schosse demnach nicht nur die Relikte jener paradiesischen Uhrzeit,
- sondern zeigt in ihrer wuchernden Wildnis auch eine sündige Un-Ordnung, die sie gefährlich macht.
- Der Wald wird dann zum undurchdringlichen Dickicht, zum Sinnbild erotischer Verlockung, und das Fazit aller Loreley- und Waldfrauendichtungen Eichendorffs fasst die bündige Zeile zusammen: ‚Kommst nimmermehr aus diesem Wald!“ (Schlusszeile aus dem Gedicht „Waldgespräch“.
- Es wird dann noch darauf hingewiesen, dass das die völlige Veränderung einer früheren Vorstellung von der Frau im Wald: Die war nämlich in der Frühromantik eher eine Fee, die die Dichtkunst verkörperte. Aus der Erlöserin wurde also eine potenzielle Verführerin.
Die Bedeutung der richtigen Entscheidung
- Es wird dann deutlich gemacht, dass es vom Bewusstsein eines jeden Menschen abhängt, welche Variante zum Tragen kommt. Damit sind wir wieder bei dem Gedicht „Abschied“, wo es am Ende heißt:
- Da steht im Wald geschrieben,
- Ein stilles, ernstes Wort
- Von rechtem Tun und Lieben,
- Und was des Menschen Hort.
- Das lyrische Ich macht dann klar, dass man dieses Wort auch richtig lesen und beachten muss – und für den Dichter Eichendorff bedeutete das die Orientierung am katholischen Glauben.
Betonung der symbolischen Bedeutung der Bildformeln bei Eichendorff
- Am Ende geht der Herausgeber dann noch auf die Frage ein, diese Bildformeln Eichendorffs mit Emblemen gleichzusetzen sind, wie man sie aus der Barocklyrik kennt. Dort ging es um Eindeutigkeit in der Frage: Was steht für was? Bei Eichendorff hat sich gerade am Bild des Waldes gezeigt, dass er für vieles steht. Vorgeschlagen wird, hier besser von „symbolischen Formeln“ zu sprechen (756).
- Am Ende wird darauf hingewiesen, wie stark es bei Eichendorff auf den Zusammenhang ankommt, in dem sie verwendet werden. Damit stehe auch er für eine Poesie, wie sie Friedrich Schlegel in seiner Idee einer „progressiven Universalpoesie“ vorschwebte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Universalpoesie - Wenn es auch nicht ausdrücklich gesagt wird: Der Herausgeber der Gedichte verweist hier am Ende noch einmal darauf, dass Eichendorffs Gedichte doch durchaus für Komplexität stehen.
Wir setzen das noch fort