Das Geheimnis der „romantischen Ironie“ und der Versuch, es romantisch, also kreativ, zu lüften
Eins der schwierigsten Elemente der Romantik ist die mit ihr verbundene spezielle Ironie. Wir versuchen hier, ihr zumindest ansatzweise beizukommen, ohne uns in den Tiefen der Germanistik und Philosophie zu verlieren. Am meisten Spaß hatten wir an einer kreativen Bewältigung der Definitionsproblematik.
6. Romantische Ironie: Keine endgültigen Festlegungen
Wer Schwierigkeiten hat, eine gute Definition der viel zitierten „romantischen Ironie“ zu finden, darf sich nicht wundern. Denn so etwas würde ja der Grundidee des „In-der-Schwebe-Lassens“ widersprechen.
Immerhin gibt es von Friedrich Schlegel, dessen Name sich mit der Idee maßgeblich verbindet, zumindest ein schönes Zitat.
„Ironie ist klares Bewusstsein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos.“
Friedrich Schlegel
http://www.zeno.org/Literatur/M/Schlegel,+Friedrich/Fragmentensammlungen/Ideen
Es macht deutlich, dass es vor allem darum geht, sich klar zu machen, dass alles ewig in Bewegung ist – und wo freie Bewegung ist, da ist das Chaos nicht weit.
Noch schwieriger als eine Definition zu finden, ist es, ein lyrisches Beispiel präsentiert zu bekommen. Meist wird auf Heine verwiesen – und tatsächlich gibt es von ihm ein Gedicht, das Ironie pur enthält.
Jede Menge romantische Motive, aber auch inhaltliche Brüche wie zum Beispiel bei den „Ochsen“, die nicht so recht in dieses Bild passen. Das gilt zum einen für die Vorstellung von diesen Tieren, dann aber auch die Voraussetzung dafür, immerhin handelt es sich um ihrer Männlichkeit beraubte Stiere.
Am Ende dann fast schon ein Gag – zumindest wirkt es auf den Leser möglicherweise so. Aber das wäre wiederum ganz unromantisch, weil es ja eindeutig wäre. In Wirklichkeit ist es eine trotzig-spielerische Variante des „traurig“ aus der ersten Zeile.
Also – man kann dieses Gedicht schon im Sinne der „romantischen Ironie“ verstehen – aber Heine bewegte sich schon weg von der eindeutigen Zuordnung zu der entsprechenden Epoche.
Übrigens wird selbst in Germanistenkreisen beklagt, dass Friedrich Schlegel zwar die Idee der „romantischen Idee“ in die Welt gesetzt hat – aber er hat es versäumt, ein passendes Gedicht zu schreiben.
Hier haben wir etwas nachgeholfen – und tatsächlich ist es jemandem aus unserer Gegenwart gelungen, zumindest ein entsprechendes Gedicht fertigzustellen. Wie es sonst so mit dem „Gelungen-Sein“ aussieht, das zu beantworten, würde im Hinblick auf die romantische Ironie nichts bringen. Wir lassen es also offen und freuen uns, dass es jetzt ein Beispiel gibt. Sollte jemand künstlerisch zu mehr fähig sein oder aus dem Schatz der echten Romantiker doch noch etwas Passendes heben, freuen wir uns über eine kurze Nachricht. Hinweise zur Kontaktaufnahme gibt es am Schluss dieses E-Books.
Nun aber zu dem angekündigten kreativen Sprung ins Ungewisse:
Die blau markierten Textstellen stehen hier für die Romantik und zwar genau für die Vorstellung, die sich mit romantischer Ironie verbindet. Nämlich den Verzicht auf letzte Wahrheiten, die Infragestellung alles dessen, was man sich erarbeitet oder gar erkämpft hat.
Am Ende bleibt einem nur übrig, „still“ zu werden und sich mit „einer höh’ren Hand“ abzufinden oder sie auch gerne anzunehmen, wie viele Romantiker in ihrer Glaubenssehnsucht es taten.
Noch eine Anmerkung zum Schlussteil:
Feststellung von Unstimmigkeiten in der letzten Strophe
Wer das Gedicht aufmerksam und besonders im Hinblick auf den Rhythmus gelesen hat, war möglicherweise irritiert wegen der Unstimmigkeiten am Schluss.
Schauen wir sie uns noch mal genauer an:
Wir sind in einer höh’ren Hand
die einst aus Chaos eine Welt uns schuf
die zu verstehen reicht nicht mal Kant
Brüche und Wandel ein ew’ger Beruf.
Die ersten beiden Zeilen sind problemlose vierhebige Jamben.
In der dritten Zeile sieht das Betonungsmuster aber so aus:
die zu verstehen reicht nicht mal Kant
xXxXxXxxX
Hier gibt es als vor „Kant“ das Problem, dass dort eine Silbe zu viel ist oder fehlt.
Am einfachsten lässt sich das lösen, indem man statt „mal“ „einmal“ einsetzt.
die zu verstehen reicht nicht einmal Kant
xXxXxXxXxX
In der letzten Zeile ist das Problem noch größer, sie beginnt nämlich ganz eindeutig mit einer betonten Silbe.
Brüche und Wandel ein ew’ger Beruf.
XxxXxxXxxX
Hier haben wir plötzlich einen Dakytlus, den man nicht so einfach reparieren kann und vielleicht auch gar nicht sollte.
Mögliche Rechtfertigung der Rhythmusbrüche am Ende
Damit sind wir bei der alten Erklärungsmöglichkeit für Rhythmus-Unstimmigkeiten: Wenn sie etwas mit dem Inhalt zu tun haben, können sie sogar Funktion haben.
Hier haben wir folgende Situation:
Die vorletzte Zeile enthält ganz einfach eine Störung – und die passt zum Inhalt.
Die letzte Zeile würde im Daktylus dann tänzerisch-locker enden – und das entspricht ja durchaus der ironischen oder eigentlich humorvollen Gelassenheit, die auch zur romantischen Idee gehört – zumindest in diesem Gedicht.