Wofür ist Deutsch (als Schulfach) eigentlich gut? (Mat6073)

„Deutsch“ in einer deutschen Schule scheint erst mal Zeitverschwendung zu sein

Das Fach „Deutsch“ scheint wie Englisch in Großbritannien und den USA oder Französisch in Frankreich zunächst einmal kein besonderes Fach zu sein, denn was soll man da lernen? Im Normalfall beherrschen die Schüler die Sprache – zumindest mehr oder weniger. Es geht auch nicht in erster Linie darum, ggf. noch vorhandene Defizite in der Grammatik und im Wortschatz auszugleichen. Damit hat man eher in besonderen Fächervarianten wie „Deutsch für Ausländer“ u. ä. zu tun.

Vielmehr gibt es drei zentrale Bereiche, denen man sich im Fach Deutsch zuwendet – und wir wollen im Folgenden zeigen, dass sie viel mit dem praktischen Leben und natürlich besonders beruflichen Herausforderungen zu tun haben.

Bereich 1: In „Deutsch“ kann man „Kommunikation“ lernen

Da ist zum einen der Bereich der Kommunikation – sowohl im mündlichen wie auch im schriftlichen Bereich. Hier lernt man Modelle kennen, die einem helfen, besser zu verstehen, was eigentlich passiert, wenn Menschen sprachlich miteinander umgehen. Ein berühmter Fall ist der Ausruf des Beifahrers an einer Ampelkreuzung: „Du, es ist grün“ und die genervte Antwort des Fahrers „Du, ich bin nicht blind.“

Hier spielt sich viel mehr als Informationsübermittlung zwischen den beiden Sprechern ab: Die erste Hälfte des Kurzdialogs kann ein freundlich gemeinter sachlicher Hinweis sein, genauso gut aber auch herablassende Kritik, die dann eine Antwort hervorruft, die eigentlich sagen will: „Ich kann schon alleine fahren, wenn du nicht da wärst, würde ich es irgendwann schon merken. Also halt dich doch einfach raus, wenn ich schon so freundlich bin und dich mitnehme.“

Nicht ganz so bekannt ist der Fall, bei dem ein Vater, der der spät abends heimkehrenden Tochter meint mitteilen zu müssen: „Du könntest auch mal wieder dein Zimmer aufräumen“ – und dann die Antwort bekommt, „Ach, Papa, ich lieb dich auch.“ Hier schwingt noch viel mehr mit – zwischen der positiven Reaktion: „Schön, dass du dich um mich kümmerst und für mich mitdenkst, ich nehme das mal als Zeichen von Liebe und will dir gleich sagen, dass ich dich auch liebhabe.“ Es kann aber auch soviel bedeuten wie „Ich weiß, dass du immer noch glaubst, dich um mich kümmern zu müssen, aber ich regle meine Angelegenheiten lieber selbst, bin dir aber nicht böse, würde mich aber freuen, wenn du mir deine Liebe anders zeigen würdest.“

Es ist klar, dass es im Unterricht beim theoretischen Bereich nicht bleibt, sondern man sich den Möglichkeiten zuwendet, wie man besser und erfolgreicher kommunizieren kann, wozu vor allem auch der Bereich der Rhetorik, der Redekunst gehört.

Situationen, die im mündlichen Bereich eine Herausforderung darstellen können, sind zum Beispiel:

Situation 1: Zustimmung erreichen bzw. Negatives vermeiden (Mündliches Statement)

Wie erreicht man am besten ein Ziel, zum Beispiel die Zustimmung zu einem Vorschlag oder auch die Abwendung eines Nachteils, indem man sich erfolgreich verteidigt oder den eigenen Kopf aus der Schlinge zieht. In der Schule erlebt man das zum Beispiel, wenn jemand zu spät kommt: Manche schaffen es, unauffällig und ohne Sanktionen gewissermaßen in die schon angelaufene Stunde „reinzurutschen“ – andere produzieren noch im Halbschlaf einen immer stärker eskalierenden Eklat.

Situation 2: Einen Konflikt aus der Welt schaffen

Neben solchen Spontan-Problemsituationen kann es natürlich auch größere Konflikte geben, bei denen man sich gut überlegen muss, wie man zum Beispiel Arbeitskollegen dazu bringt, bestimmte unangenehme Verhaltensweisen abzustellen, ohne sich gleich Feinde zu machen. Es ist ein großer Unterschied, ob man im Winter bei weit geöffnetem Fenster gleich lospoltert: „Musst du hier einen auf Grönland machen?“ Oder ob man eine Ich-Botschaft folgender Art losschickt: „Du, sei mir nicht böse, aber ich bin ein bisschen erkältet, könnten wir das Fenster zumachen?“ Ggf. kann es auf einen Kompromiss mit klaren Zeitregelungen hinauslaufen.

Situation 3: Scheinbare „Relevanz-Pausen“ sprachlich geschickt füllen

Ein anderer Bereich ist der des Small Talk: Wie gelingt es, in bestimmten Situationen, bevor es „ernst wird“ schon mal Kontakt zu anderen Beteiligten aufzunehmen, bei dem eine gute Atmosphäre entsteht. Das kann zum Beispiel bei einer Bewerbungssituation wichtig sein – oder aber in den vielen „Nebensituationen“ des beruflichen Alltags, etwa bei einer gemeinsamen Autofahrt mit dem Chef zu einem Kundentermin.

Hier muss man lernen, was „small“ in diesem Zusammenhang heißt: Verzicht auf Politik – und Sport erst, wenn man weiß, dass der andere auch Dortmund- oder Schalke-Fan ist.

Situation 4: In einem Vortrag o. ä. etwas an den Mann bzw. die Frau bringen

Wenn man die Small-Talk-Phase gut genutzt hat, um ein entspanntes, verständnisvolles Gesprächsklima aufzubauen, kommt man irgendwann natürlich auch zum „ernsten Teil“: Es geht zum Beispiel darum, einem anderen ein Produkt zu verkaufen oder bestimmte Vorstellungen durchzusetzen. Da ist ein optimal vorbereiteter Vortrag gefragt, unterstützt mit entsprechenden Materialien und Medien. Wichtig ist, sich auf mögliche Einwände einzustellen und ihnen mit geeigneten Argumenten oder auch Beispielen begegnen zu können.

Situation 5: Ein guter Unterhalter sein

Abends sitzt man dann vielleicht noch bei einem Auswärtstermin in gemütlicher Runde zusammen und man kommt unweigerlich ins Erzählen. Im Deutschunterricht hat man hoffentlich gelernt, wie man ein Erlebnis so präsentiert, dass andere gerne zuhören und man anschließend noch über bestimmte Aspekte in ein vertieftes Gespräch kommt.

Situation 6: Schriftlich ein Ziel erreichen – vgl. Situation 1

Dann gibt es natürlich auch die schriftliche Kommunikation: Hier muss man wissen, dass man sehr viel vorsichtiger vorgehen muss, weil man ja keine Möglichkeit hat, entsprechend der spontanen Reaktion des anderen die eigene Vorgehensweise zu verändern. Ein typisches Beispiel wäre ein Bewerbungsschreiben, mit dem man versucht, aus einer möglichen Flut von Konkurrenten so positiv aufzufallen, dass man zu einem Gespräch eingeladen wird. Ein anderes Beispiel wäre die Klärung eines Problems oder sogar eines Fehlers, den man selbst gemacht hat. Auch dort muss man die richtige Balance finden zwischen Selbstkritik und „Vorwärtsverteidigung“.

Bereich 2: In „Deutsch“ kann man lernen, mit Texten umzugehen

Hier geht es im Wesentlichen um zwei Unterbereiche. Zum einen braucht man ein Fach, in dem systematisch gelernt wird, wie man mit sogenannten Sachtexten umgeht. In der Schule wird man zum Beispiel mit Zeitungstexten konfrontiert, zwischen Berichten und Kommentaren. Darüber hinaus geht es darum, sich mit den Gedanken anderer Menschen zu beschäftigen, die sie in Büchern oder zum Beispiel Essays formuliert haben.

Wichtig ist dabei, einmal den „Kontext“ dieser Texte zu erkennen, wer hat wann mit welchem Ziel etwas geschrieben? Dann spielt natürlich der Inhalt eine Rolle, den man sich klarmachen muss – und am Ende steht die Auseinandersetzung mit den Gedanken. Das kann schließlich darin münden, dass man einen weiterführenden oder sogar einen Gegentext verfasst.

Während Sachtexte sich also immer auf eine bestimmte Situation beziehen (zum Beispiel ein Kommentar zu einem politischen Ereignis) und in ihr mehr oder weniger eine Funktion haben, sind literarische Texte „fiktiv“, d.h. sie bestehen aus Elementen der Wirklichkeit, setzen sie aber zu einer neuen Realität zusammen. Am besten kann man das an einem Roman sehen – etwa an einem, in dem es um die heutige Schulwirklichkeit geht. Da geht man von seinen Erfahrungen aus, bezieht aber auch das ein, was man gehört oder gelesen hat, und muss sich dann noch Personen und Situationen sowie Entwicklungen ausdenken, die am Ende eine eigene Wirklichkeit präsentieren, obwohl sie aus lauter kleinen mehr oder weniger ausgedachten Elementen bestehen.

Jemand hat das mal zu dem schönen Bild eines „Schleppnetzes“ verarbeitet, mit dem man den Grund des Meeres absucht und vieles „abgrast“, woraus man etwas Schönes machen kann.

Natürlich muss man keinen Roman schreiben, man kann sich auch in einem Gedicht seinen Frust über die heutige Schulwelt von der Seele schreiben – oder man bereitet sogar ein satirisches Theaterstück vor, das bei den Abiturfeierlichkeiten auf die Bühne kommt. Immer geht es darum, dass die vielen Wirklichkeiten der Welt genutzt werden, um eine neue entstehen zu lassen.

Bereich 3: In „Deutsch“ kann man tatsächlich auch etwas über „Sprache“ lernen

Neben der Kommunikation und dem Umgang mit Texten kann es aber auch im Deutschunterricht wirklich um Sprache gehen. Wenn man sich fragt, wo man das im Leben denn überhaupt brauchen könnte, muss man sich nur mal den Erfolg von Bastian Sick anschauen, der sich bei der Betreuung von Autoren in einem Verlag so lange und intensiv mit sprachlichen Phänomenen auseinandergesetzt hat, dass er schließlich seine Erfahrungen und Überlegungen zu schwierigen sprachlichen Fällen in einer Zeitschriftenkolumne (kleiner Kommentar immer an der gleichen Stelle) und schließlich in Büchern und Vorträgen untergebracht hat. Bekannt geworden ist der Reihentitel: „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod.“

In der Schule wird man mit dem Problem, sich über Sprache Gedanken machen zu müssen, zum Beispiel konfrontiert, wenn Lehrer gereizt auf die Schülerbitte vor dem Lehrerzimmer reagieren: „Können Sie mal Herr Meier herausrufen.“ Warum da etwas noch falsch und vielleicht demnächst aber auch richtig sein will, kann man nur klären, wenn man die Grundstrukturen der Sprache durchschaut.

Hier muss man sich dann auch damit abfinden, dass man ein gewisses Vorratswissen braucht, das heißt, man lernt systematisch und umfassend ganz viel Grammatik, um im Falle des Falles dann die richtige Diagnose stellen zu können – es ist tatsächlich wie bei einem Arzt, der auch alle möglichen Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten kennen muss, um genau den Patienten helfen zu können, die an einem bestimmten Tag in seiner Praxis auftauchen. Wir werden allerdings noch sehen, dass es in der Sprache glücklicherweise meistens weniger um Leben und Tod, sondern mehr um Entwicklungen geht. Und wer sich gut in Grammatik und sprachlichen Gesetzmäßigkeiten auskennt, wird auch dem Lehrer an der Tür die richtige Antwort geben können, wenn der sich wieder mal über einen scheinbaren Noch-Fehler aufregt.

Kreative Idee:

Man muss sich jetzt nur mal einen Menschen vorstellen, der sich nie um diese Qualifikationen gekümmert hat – und den lässt man dann nach dem Abitur o.ä. einfach in entsprechende Situationen stolpern – und schreibt dann dazu einen lustigen Kommentar.

Zum Beispiel: Er bekommt den Heiratsantrag nicht hin, weil er nicht gelernt hat, so was sprachlich schön rüberzubringen.

Oder er bekommt ein Werbeschreiben und denkt nicht dran, dass der Verfasser nur an sich denkt und den Empfänger einfach nur über den Tisch ziehen will.

Oder aber man kann einem anderen den berühmten Spruch „Hier werden Sie geholfen“ nicht erklären – in dem Sinne: Was ist daran eigentlich falsch?

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