Gedichtvergleich: Georg Heym, Die Stadt und Joseph von Eichendorff, In Danzig (Mat7017)

Worum geht es hier:

Auf dieser Seite geht es um einen Gedichtvergleich – und zwar zwischen Georg Heyms „Die Stadt“ und Eichendorffs „In Danzig“.

Spannend ist das insofern, als man etwas am besten versteht, wenn man es in seiner Unterschiedlichkeit zu etwas anderem betrachtet.

Wie immer werden wir versuchen, uns den beiden Texten auch grafisch zu nähern und dabei Verständnis aufzubauen.

Aktueller Nachtrag: Übrigens kann man an diesem Eichendorff-Gedicht sehr schön sehen, was „romantisieren“ heißt 🙂 -> siehe unten

Die drei Farben haben hier die folgende Bedeutung:

Grün steht für zumindest scheinbar Positives.

Gelb steht für den Bereich der Störung des Positiven – bis hin zum Negativen.

Rot markiert die Stellen, in denen es für den Menschen und seine Welt um Tod und Untergang geht. Das ist auch der Unterschied zu der Zeile 2, denn dort geht nur um ein eher negatives Wort – aber das Verschwinden des Mondes ist natürlich an sich nicht negativ. Dieser Mond kommt wieder – der gestorbene Mensch nicht, das unterscheidet die beiden Untergangs-Varianten.

Anregungen: So versteht man die Gedichte Schritt für Schritt:

Teil 1: Georg Heym, Die Stadt

  1. Wir fangen mit dem Gedicht von Heym an, weil es uns ja vor allem um expressionistische Gedichte geht. Wichtig ist immer erst mal der Titel: Man merkt gleich, die Stadt, das ist ein typisches Thema für die Dichter der Zeit.
  2. Zugleich sollte man festhalten, dass nichts Genaues gesagt wird, es wird gewissermaßen nur ein Thema angesprochen.
  3. Allerdings sollte man auch auf die „Musik“ der Sprache achten. Was „empfindet“ man, wenn man diese beiden Wörter hört. Man nennt so etwas „Konnotationen“, das sind „mitschwingende“ Bedeutungen, die bei verschiedenen Menschen unterschiedlich wirken.
  4. Auf jeden Fall ist es nicht „meine Stadt“, es ist auch nicht „Heidelberg“ – man spürt eine gewisse Distanz, ein wenig klingt es auch wissenschaftlich.
  5. Dann geht es in den ersten beiden Zeilen fast romantisch los, allerdings stört doch sehr das „zerreißet“ in Verbindung mit „Untergang“. Die Idylle scheint gestört.
  6. Die Zeilen 3 und 4 scheinen dann wieder zur Idylle zurückzukehren – vor allem das „blinzeln“ erinnert einen an eher freundliche Umstände.
  7. Als nächstes wird sehr nüchtern, beschreibend auf die Straßen eingegangen, sie als „Aderwerk“ verstanden – also als wichtig für das Leben. Eine Metapher, die den Menschen mit der ganzen Stadt verbindet.
  8. In Zeile 6 wird es dann wieder ein bisschen unangenehm: „Unzählig Menschen“ bedeutet so viel wie eine riesige Menge, die man nicht mehr zählen kann, die sich dem menschlichen Zugriff entzieht. Und dann ‚“schwemmen“ sie auch noch „aus und ein“. Das erinnert einen eher an Ebbe und Flut, also eine Art Meer.
  9. Die Zeilen 7-10 gehen dann genauer auf das menschliche Leben ein, es ist vor allem durch seine Stumpfheit gekennzeichnet, seine Eintönigkeit, wozu auch eine gewisse Mattheit gehört. Im zweiten Teil wird dann darauf hingewiesen, dass dieses Einerlei das ganze menschliche Leben von der Geburt bis zum Tod kennzeichnet. Am Ende steht ein „langer Sterbeschrei“ – darauf läuft alles zu – und dafür der ganze Aufwand? Diese kritische Frage bildet sich beim Leser zwangsläufig heraus.
  10. Zeile 11 fasst das dann alles zusammen. Ein bisschen wird man an die Barockzeit erinnert, wo man feststellte: „Es ist alles eitel“ – also sinnlos. Und so sieht es hier auch aus.
  11. Die drei Schlusszeilen gehören dann düsteren Zukunftsvisionen, wie man sie bei Heym öfter findet, man denke etwa an den „Gott der Stadt“.

Kreativer Impuls zu dem Gedicht von Heym:

Aufgabe:
Überlege dir, wie eine heutige Großstadt mit ihren Menschen in zwei Strophen eines modernen Gedichts präsentiert werden könnte.

Tipps:
Achte darauf, dass es dabei möglichst unterschiedliche Akzente gibt. Zum Beispiel könnte man ein modernes Wochenend-Event nehmen, bei dem Menschen eher als Individuen in kleinen Gruppen ein Bühnengeschehen o.ä. genießen.
Zwei folgende Strophen könnten dann aber auch ähnliche Art und Weise das (in diesem Falle) idyllische Bild stören.

Das Gedicht muss keinen Reim haben, möglichst aber einen Rhythmus und auch das eine oder andere sprachliche Mittel.

Diskussionsanregungen:

1. Gibt es auch heute Phänomene, in denen Menschen einem wie eine Masse vorkommen?
2. Wie könnte heute „stumpfes“ Leben aussehen?
3. Welche besonderen Momente des Lebens gibt es noch neben Geburt und Tod?
4. Was sind heute Dinge, vor denen die Einwohner einer ganzen Stadt oder vielleicht sogar die ganze Menschheit Angst haben können oder sogar müssen?
5. Was kann man der insgesamt traurig-düsteren Stimmung des Gedichtes entgegensetzen?

Anregungen: So versteht man Gedicht 2 Schritt für Schritt:

Teil 2: Eichendorff, In Danzig

  1. .Die Überschrift ist sehr viel konkreter als die des ersten Gedichtes: Hier wird der Name einer Stadt genannt –  und das lyrische Ich bezieht sich selbst mit ein.
  2. Die erste Strophe vermittelt erste Eindrücke von der Stadt. Insgesamt entsteht der Eindruck von Nacht, Nebel, bleichem Licht und Lautlosigkeit.
  3. Die zweite Strophe nimmt dann einen zweiten Bereich in den Blick, nämlich den Mond und seine „Beziehung“ bzw. seine Sicht auf die Stadt. Er wird dabei personifiziert und die Beziehung ist die des Gefallens. Dazu kommt eine spezielle Sichtweise, eine Art Brille, die der Mond verwendet: Die Stadt wird mit Zauber und Märchen verbunden und erscheint „versteint“, also versteinert, was aber wohl positiv gesehen wird. Auf jeden Fall wird deutlich, dass es eine Welt ohne Leben, ohne Menschen ist, was aber mit der Nacht-Situation zu erklären ist und wohl keine darüber hinausgehende Bedeutung hat, zumal am Ende ja noch der Türmer auftaucht.
  4. Die dritte Strophe weitet den Blick in Richtung Umgebung, wobei wohl das lyrische Ich eine lauschende Position einnimmt. Von ferne ist für ihn das Meer zu hören – und alles zusammen kommt ihm die Szenerie wie eine „Wunderbare Einsamkeit“ vor. Damit sind zwei zentrale romantische Motive miteinander verbunden, zum einen das Wunder bzw. Wunderbare – und daneben die Einsamkeit.
  5. Die letzte Strophe hat dann eine Sonderrolle: Überraschenderweise taucht doch noch ein Mensch auf – sogar jemand mit einem Amt und zwar einem Wächteramt. Zu seiner Rolle gehört es wohl, dass er ein „uraltes Lied“ sind, womit ein weiteres romantisches Element, nämlich das von Geschichte mit einfließt.
  6. Den Schluss bildet dann der Wunsch des lyrischen Ichs, der das ferne Meer und die Menschen, die dort unterwegs sind, in eine Art Gebet einbezieht. Offensichtlich soll das Gedicht deutlich machen, dass zumindest die Nacht eine Zeit der Bedrohung ist, in der man Gottes „Bewahrung“ (das iste mit „wahren“ gemeint) benötigt. Damit ist als weiteres Element der Romantik auch noch die Religion einbezogen worden.

Ergänzung: Eichendorffs Gedicht als Beispiel für „Romantisierung“

Gerade bei einem solchen Epochenvergleich könnte die Frage auftauchen, ob der Anfang des Eichendorff-Gedichtes nicht auch expressionistische Züge trägt: „dunkel“, „Nebel“, „bleich“, „Gespenster“.
Die Antwort gibt die zweite Strophe, denn die Ausgangswelt ist nicht von vornherein romantisch-schön, sie wird das erst durch die Wirkung des Mondlichtes. Das personifizierte Himmelsgestirn zeigt die Veränderung der Wahrnehmung: Es wird „träumerisch“ vorgegangen, das „Versteinte“ wird als „zauberhaft“ verstanden und mit einer „Märchenwelt“ verglichen. Diesen Vorgang hat Novalis mit „romantisieren“ bezeichnet.

 

„Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. […] Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“

(Novalis, Aphorismen)

Hilfe zum Vergleich von Gedichten des Expressionismus und der Romantik

Die folgende Gegenüberstellung hilft bei der Konzentration auf das Wesentliche und lässt sich auch gut einprägen.

Wer mehr will:

Inzwischen gibt es für wenig Geld ein E-Book, in dem nicht nur dieses Gedicht, sondern ca. 50 weitere Gedichte vorgestellt werden – auch im Hinblick auf ihre Klausurbedeutung.

Für Lehrer zudem sehr interessant: Viele Tipps zum Einsatz im Unterricht in Richtung Kreativität und Diskussionsmöglichkeiten.

Bekommen kann man das E-Book zum Beispiel hier.

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos