Georg Trakl, „Die schöne Stadt“ (Mat4606a)

Im Folgenden wird gezeigt, wie man bei einem Gedicht den Inhalt präsentieren kann, ohne ihn einfach nur mit eigenen Worten wiederzugeben.
Georg Trakl
Die schöne Stadt

Alte Plätze sonnig schweigen.
Tief in Blau und Gold versponnen
Traumhaft hasten ernste Nonnen
Unter schwüler Buchen Schweigen.

  • In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich zunächst einmal seine Sicht auf alte Plätze, die im Sonnenlicht liegen und auf denen es  eher still ist.
  • Als Nächstes geht es um Lichteffekte, bei denen die Farben Blau und Gold eine Rolle spielen. Durch das Wort „versponnen“ wird die Harmonie der Erscheinung betont.
  • Im zweiten Teil der Strophe wird dem etwas Negatives gegenübergestellt, denn es geht um Nonnen, die über die Plätze hasten und ernst wirken und wie im Traum.
  • Mit Ihnen wird eine Atmosphäre verbunden, die von bestimmten Bäumen ausgeht und bestimmt ist durch Schwüle und Schweigen. Man kann den Eindruck haben, dass hier etwas nicht in Ordnung ist.
  • Eine vorläufige Deutungshypothese als  Zwischenfazit: In diesem Gedicht könnte es um den Gegensatz gehen zwischen Natur und einer bestimmten Art von Zivilisation, zum Beispiel der Welt der Kirche.
(2) Aus den braun erhellten Kirchen
Schaun des Todes reine Bilder,
Großer Fürsten schöne Schilder.
Kronen schimmern in den Kirchen.
  • Die zweite Strophe beschäftigt sich nach den Plätzen mit den Kirchen.
  • Sie werden zumindest ansatzweise als „erhellt“ bezeichnet, aber in der Farbe „braun“, was eine Einschränkung sein kann.
  • Dann wird die Kirche zum einen mit dem Tod verbunden, zum anderen mit früheren Herrschern.
  • Die Deutungshypothese könnte sich verstärken, dass es hier um Kritik an der Kirche bzw. der von ihr bevorzugten Welt- und Lebenshaltung geht – nach dem Motto: Die Kirche und ihre enge Verbindung zu den Mächtigen, die vielleicht in einem doppelten Sinne tot sind, nämlich real und zweitens im Hinblick auf ihre Bedeutung.
  • Aber das ist nur eine Vermutung, die sich im weiteren Verlauf des Gedichtes bestätigen wird oder nicht.
(3) Rösser tauchen aus dem Brunnen.
Blütenkrallen drohn aus Bäumen.
Knaben spielen wirr von Träumen
Abends leise dort am Brunnen.
  • In dieser Strophe wendet sich das lyrische ich wohl irgendwelchen Brunnenfiguren zu, die aus dem Wasser hervor zu kommen scheinen, wenn man sich ihnen nähert.
  • Die zweite Zeile wirkt dann ein bisschen bedrohlich, wenn der plötzlich von Blütenkrallen die Rede ist, wie aus Bäumen kommen. Damit sind wahrscheinlich einfach Blüten gemeint, die nach unten fallen. Das lyrische ich sieht darin aber aus irgendeinem Grunde etwas Bedrohliches. Das kommt aber aus seiner Fantasie.
  • In den letzten Zeilen geht die Fantasie dann schon richtig mit dem lyrischen ich durch, wenn es sich vorstellt, dass spielende Knaben das “wirr  aus Träumen“ tun.
  • Das ist typisch für die Zeit des Expressionismus, dass das lyrische ich eigene Vorstellungen auf Dinge in seiner Umgebung projiziert.
(4) Mädchen stehen an den Toren,
Schauen scheu ins farbige Leben.
Ihre feuchten Lippen beben
Und sie warten an den Toren.
  • auch die vierte Strophe ist ganz von dem bestimmt, was das lyrische ich sich da so zurecht denkt, wenn es irgendwelche Mädchen an irgendwelchen Toren stehen sieht. Seiner Meinung nach schauen sie „scheu“ in ein farbiges “ Leben“.
  • Das lyrische Ich scheint das so durcheinander zu bringen, dass es sogar eine Rhythmusstörung verursacht. Statt des ansonsten durchgehenden Trochäus mit seiner  ständigen Abfolge von betonten und und unbetonten Silben hat man bei „farbige“ plötzlich zwei unbetonte Silben.
  • die letzten beiden Zeilen deuten dann sexuelle Begehrlichkeiten an, auf die glücklicherweise nicht näher eingegangen wird.
 (5) Zitternd flattern Glockenklange,
Marschtakt hallt und Wacherufen.
Fremde lauschen auf den Stufen.
Hoch im Blau sind Orgelklänge.
  • Die fünfte Strophe bringt dann wieder kirchliche Elemente in die Beschreibung der Umgebung. Wieso dabei die Glocken zittern, während man irgendeinen Marschtakt hört und entsprechende rufe von Soldaten, bleibt unklar.
  • die fünfte Strophe bringt dann wieder kirchliche Elemente in die Beschreibung der Umgebung. Wieso dabei die Glocken zittern, während man irgendeinen Marschtakt hört und entsprechende Rufe von Soldaten, bleibt unklar.
  • Natürlich kann man darin die Niedergang einer friedlichen christlichen Religiosität sehen, während überall Kriegsvorbereitungen stattfinden, aber das ist reine Spekulation.
  • aber die ist natürlich gerechtfertigt, wenn man so einem Gedicht wie diesen irgendeinen Sinn unterschieben will.
  • Die letzten beiden Zeilen stellen dann eine Parallele zu den beiden Mädchen Zeilen dar, allerdings ohne die sexuellen Anspielungen.
(6) Helle Instrumente singen.
Durch der Garten Blätterrahmen
Schwirrt das Lachen schöner Damen.
Leise junge Mütter singen.
  • Die sechste Strophe setzt dann die beliebig wirkende Beschreibung von Eindrücken aus der Umgebung fort.
  • Es mag schon einen gewissen Reiz haben, selbst mal so eine Aneinanderreihung von sehr subjektiven Beschreibungen zu versuchen.
  • Aber besonders sinnstiftend wirkt das alles nicht.
Heimlich haucht an blumigen Fenstern
Duft von Weihrauch, Teer und Flieder.
Silbern flimmern müde Lider
Durch die Blumen an den Fenstern.
  • Das Gedicht endeten auch ohne irgendeinen Höhepunkt, indem einfach ein paar letzte Beobachtungen und Eindrücke wieder aneinander gereiht werden.
  • Wie allerdings der Duft durch die Fenster hindurch zu riechen ist, kann man sich nur erklären, dass sie offensichtlich geöffnet sind.
  • Es passt zu diesem Gedicht, dass das lyrische Ich wirklich glaubt, dass Augen, die durch Fenster blicken, müde sind.
    Der gesunde Menschenverstand lässt einen allerdings annehmen, dass solche Augen eher nach innen gerichtet sind als nach außen, wo dieses lyrische ich möglicherweise die einzig interessante Abwechslung liefert.

Zusammenfassung

  1. Insgesamt ein Gedicht, dass an Beliebigkeit kaum zu überbieten ist.
  2. Es  ist eine zusammenhanglos wirkende Aneinanderreihung von Momenteindrücken mit Ansätzen subjektiver Konnotationen.
  3. eine größere Bedeutung  kann man vermuten, wenn es zum einen um tote Reste der Vergangenheit geht, zum anderen um eine anscheinend ängstliche Christlichkeit, vielleicht angesichts potentieller Kriegsgefahr, und schließlich Mädchen, die sich offensichtlich nach neuen Erfahrungen im farbigen Leben sehnen.
  4. In diesem Zusammenhang relativiert sich dann auch die Überschrift. Sie würde dann bedeuten, dass diese Stadt nicht nur einfach schön ist, sondern vielleicht auch in ihrer Bedrohtheit.
  5. Künstlerisch ist  sicherlich interessant, dass es da die einzige Rhythmusstörung im Gedicht gibt. Wer weiß, was angesichts dieser Mädchen dem lyrischen Ich durch die Glieder gefahren ist.
  6. am Ende noch einmal die Idee, diesen lockeren Ansatz der Gedicht Produktion einfach mal auf die eigene Umgebung zu übertragen, zum Beispiel das, was man in einer Pause auf dem Schulhof zu sehen bekommt. Da kann man dann auch genauso frei assoziieren, wie das in diesem Gedicht geschieht.

Versuch, die Aussage, die Message des Gedichtes zu bestimmen:

Man findet sie, wenn man die Signale des Textes sammelt und möglichst zu Aussagen bündelt:

Die kann man dann formulieren, indem man den Satzanfang:

Das Gedicht zeigt …

fortsetzt.

Möglichst in mehreren Varianten.

Dazu gehen wir die Strophen noch mal durch, arbeiten die Signale heraus und versuchen sie durch Nummern zu bündeln:

Alte Plätze sonnig schweigen.
Tief in Blau und Gold versponnen
Traumhaft hasten ernste Nonnen
Unter schwüler Buchen Schweigen.

  • Signal 1: Ruhige, sonnige, schöne Plätze
  • Signal 2: Nicht mehr so schöne Welt der Nonnen und der Buchen

Aus den braun erhellten Kirchen
Schaun des Todes reine Bilder,
Großer Fürsten schöne Schilder.
Kronen schimmern in den Kirchen.

  • Signal 2a: Vergänglichkeit des Lebens
  • Signal 2b: Trifft auch die Großen, vgl. Barock

Rösser tauchen aus dem Brunnen.
Blütenkrallen drohn in Bäumen.
Knaben spielen wirr von Träumen
Abends leise dort am Brunnen.

  • Signal 3: Gefahr?
  • Signal 4: Verwirrung der Knaben

Mädchen stehen an den Toren,
Schauen scheu ins farbige Leben.
Ihre feuchten Lippen beben
Und sie warten an den Toren.

  • Signal 5: Mädchen scheu und erwartungsvoll

Zitternd flattern Glockenklänge,
Marschtakt hallt und Wacherufen.
Fremde lauschen auf den Stufen.
Hoch im Blau sind Orgelklänge.

  • Signal 2c: Schwäche der Glockenklänge
  • Signal 3a: Zittern der Glockenklänge

Helle Instrumente singen.
Durch der Gärten Blätterrahmen
Schwirrt das Lachen schöner Damen.
Leise junge Mütter singen.

  • Signal 1a Ruhe, Gelassenheit, Schönheit
  • Signal 1b Schönheit im Umfeld von Damen und Müttern

Heimlich haucht an blumigen Fenstern
Duft von Weihrauch, Teer und Flieder.
Silbern flimmern müde Lider
Durch die Blumen an den Fenstern.

  • Signal 1c: Heimeligkeit, angenehme Umgebung
  • Signal 2c: Müdigkeit und Flimmern = unstetes Licht

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos