Goethe – „Faust I“ – Szene „Vor dem Tor“ – Klausur (Mat212)

Worum es hier geht:

Das Material präsentiert die Aufgabenstellung für eine Klausur, bei der es um eine zentrale Stelle aus der Szene „Vor dem Tor“ geht.

Diese Szene stellt ja eine Überleitung dar zwischen der Selbstdarstellung Fausts in der Szene „Nacht“ mit ihren verzweifelten und scheiternden Ausbruchsversuchen und dem anschließenden Pakt mit Mephisto, der ihn auf seine Art und Weise glücklich machen will.

Dieser letzte Punkt ist übrigens ein gutes Beispiel für die Klärung der „dramaturgischen Funktion“ einer Szene in einem Drama. Das ist ja von einem Konflikt bestimmt – und jede Szene sollte eine Funktion haben in der „Dramaturgie“ – und das nichts anderes als der Aufbau bzw. die Anlage eines Dramas.

Ein anderes, sehr gutes Beispiel ist die Exposition im 1. Akt eines klassischen Dramas. Aber in jedem Drama besteht am Anfang die Notwendigkeit, die Figuren, die Situation und vor allem den Konflikt vorzustellen. Das ist die „dramaturgische Funktion“ des Anfangs eines Dramas.

Zunächst die Aufgabenstellung; anschließend eine gegliederte Musterlösung.

Wir haben das hier einfach mal reinkopiert, was weiter unten als PDF-Datei präsentiert wird.

Aufgabenstellung:

Interpretieren Sie den Schlussteil der Szene „Vor dem Tor“ in Goethes „Faust“ (Vers 1064-
1177), indem Sie
1. zunächst kurz den Kontext klären,
2. zentrale Stellen herausgreifen und diese im Zusammenhang des Szenenverlaufs
erläutern,
3. Funktion und Bedeutung der Textstelle im Rahmen der Exposition des „Faust“
erörtern!

Musterlösung – Kontext

„zunächst kurz den Kontext klären,“
· 2. Szene in der eigentlichen Tragödie, wenn man den „Prolog im Himmel“ nicht
mitzählt
· Gegenbild zur Szene „Nacht“, wo Faust in seiner Verzweiflung und in seinen
Ausbruchsversuchen gezeigt wurde. Am Ende hieß es dort nach dem abgebrochenen
Selbstmordversuch: „Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder“ (784) – nun wird
Faust wirklich auf der Erde und zugleich im Kontakt mit anderen Menschen gezeigt.
· Im ersten Teil der Szene werden zunächst bürgerliche Durchschnittsmenschen gezeigt,
bezeichnend ist der Ausruf in 860/861, der deutlich macht, dass diese Menschen hier
keine edlen Antriebe, sondern Menschlich-Allzumenschliches kennzeichnet.
· Wie ungewollte Ironie wirkt demgegenüber die anschließende Begeisterung Fausts
nicht nur über die erwachende Osternatur, sondern auch über diese Menschen: „Denn
sie sind selber auferstanden“ (922) – das kann nur in einem sehr äußerlichen Sinne
gelten. Es ist eher Wagner, der – wenn auch von seiner beschränkten Warte aus –
berechtigte Kritik am Treiben dieser Menschen übt (941ff).
· Der zweite Teil der Szene (ab 981ff) beschäftigt sich mit Faust und seiner
Vergangenheit: Sein Vater und er werden von den Bauern als medizinische Helfer
gepriesen, während Faust selbst sich hier sehr viel skeptischer sieht (1034ff). Seinen
Vater bezeichnet er als „dunklen Ehrenmann“ ihn und sich zusammen – sicherlich zu
selbstkritisch – sogar als „freche Mörder“ (1055). Auch hier ist es wieder Wagner, der
mehr Realismus in die Beurteilung einbringt (1066ff). Faust geht aber darauf nicht
näher ein, sondern beginnt einen längeren Monolog über die eigene Situation, der
schon zu dem genauer zu interpretierenden Teil gehört.

„zentrale Stellen herausgreifen und diese im Zusammenhang des Szenenverlaufs erläutern,“

· Faust beginnt, wie man es seit der Szene „Nacht“ von ihm erwartet – er sieht sich in
einem „Meer des Irrtums“ (1065), allenfalls mit etwas Hoffnung, daraus noch
aufzutauchen. Er bricht diese trüben Gedanken dann aber selbst ab, lässt sich von der
ihn umgebenden Abendatmosphäre eines sonnigen Tages dazu inspirieren, sich
zumindest einen romantischen Flug über die Landschaft vorzustellen, auch wenn ihm
der nötige „Flügel“ 1074) fehlt.
· Das Gefühl, das den Menschen aber zumindest in diese Richtung treibt, betrachtet er
ganz positiv (1093/1094).
· Während Wagner im bisherigen Verlauf eher durch positive Sachlichkeit aufgefallen
ist, zeigt er sich ab Vers 1100 wieder als staubiger Stubenhocker, der Fausts
Fliegerträume nur als „grillenhafte Stunden“ (1100) betrachtet – man hat den
© Helmut Tornsdorf – www.schnell-durchblicken.de – Tipps und Tricks für das Überleben im Schulalltag – Mat212
Eindruck, dass mit Goethe der Schalk durchgeht, wenn er Wagner die Freuden beim
Lesen alter Bücher beschreiben lässt.
· Fausts Antwort auf diese Einseitigkeit ist eine der berühmtesten Stellen im Drama, in
der er die eigene Zerrissenheit der „zwei Seelen“ (1112) beschreibt, wobei diese nicht
ganz dem entsprechen, was bei Wagner als dessen „einer Trieb“ beschrieben wird.
Wichtiger ist aber, dass Faust sich nach „neuem, buntem Leben“ (1121) sehnt und sich
dazu einen „Zaubermantel“ (1122) wünscht – wer auch nur ein bisschen etwas vom
Kern der Handlung von Goethes Faust weiß, sieht hier den Punkt, an dem Mephisto
später ansetzen kann.
· Man wundert sich nicht, dass Wagners Antwort dessen ganze Versichertenmentalität
zeigt: Er will keine Risiken eingehen, warnt vor allem, was über die Normalität des
Alltags hinausgeht, hat mit der Welt der Zauberei und der Geister nichts im Sinn.
· Genau an dieser Stelle nun taucht diese Welt in Gestalt eines „schwarzen Hundes“
(1147) auf – bezeichnend ist, dass Wagner solche inneren Barrieren gegenüber der
Welt der Magie aufgebaut hat, dass er den besonderen Charakter dieses Hundes gar
nicht sieht oder sehen will. Faust dagegen hat den Eindruck, dass „er magisch leise
Schlingen zu künft’gem Band um unsre Füße zieht“ (1157/1158). Schon in der
nächsten Szene wird sich zeigen, dass Faust damit genau den Kern getroffen hat – aber
an den sich daraus ergebenden Möglichkeiten hat Wagner natürlich keinen Anteil
mehr.

„Funktion und Bedeutung der Textstelle im Rahmen der Exposition des „Faust“ erörtern!“

· Diese Textstelle knüpft zunächst an das an, was man vom ersten Auftreten Fausts an
von diesem erwartet, eine Klage über das „Meer des Irrtums“.
· Dann aber wird immer stärker deutlich, dass nach den vielen Fehlversuchen neue
Möglichkeiten auftauchen – diese werden aber nicht mehr von Faust gewalttätig
getestet, was zum Misserfolgt führt, sondern Faust öffnet gewissermaßen sein Inneres,
lässt sein „Gefühl“ sprechen, das „hinauf und vorwärts dringt“ (1093).
· Diese sich zurücknehmende Offenheit und die Bescheidenheit, mit der er jetzt den
Wunsch nach einem „Zaubermantel“ äußert, lässt gewissermaßen den Himmel zu
seinen Gunsten eingreifen, wobei mit „Himmel“ die Welt des dort angesiedelten
„Prologs“ gemeint ist, der Mephisto einschließt und ihn sein großes Wett-Experiment
durchführen lässt.
· Also – auch in diesem Sinne zeigt Faust zwei Seelen, auf der einen die gewalttätig
stürmende, alles riskierende, das Schicksal herausfordernde – und dann eine zweite,
anscheinend nach den Zusammenbrüchen der Szene „Nacht“ etwas stillere,
bescheidenere, vielleicht sogar geläuterte. Auch in diesem Gegensatz und in dieser
Abfolge zeigt sich das von Goethe sehr stark vertretene Prinzip von „diastole“ und
„systole“, von Sich-Ausdehnen (hier recht gewalttätig) und Sich-wieder-
Zusammenziehen – eine Abfolge, die dem natürlichen Wechsel von Ausatmen und
Einatmen entspricht.
· Abschließend sei nur auf die sehr gelungene Verbindung der Szene „Vor dem Tor“
mit der Szene „Studierzimmer“ hingewiesen: Fausts Hoffnung auf einen Zaubermantel
ruft bei Wagner den Widerspruch des Vorsichtigen hervor – und genau an dieser Stelle
erscheint dann ein Wesen aus der Zauberwelt, es wird von Wagner in wohl instinktiver
Abwehr gar nicht erkannt, während Fausts Interesse sich ihm öffnet und damit
Mephisto eine Einlassmöglichkeit in Fausts Haus und Welt ermöglicht.

Druckvorlage

Mat212 Goethe-Faust I-Szene Vor dem Tor-Klausur

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