Beispiel für ein Prüfungsgespräch zum Thema Goethes „Faust“
Ex-Sc: 11024
- Besonders mündliche Prüfungen (etwa im Abitur) lösen im Vorfeld Angst und Schrecken aus, weil man als Schüler solche Herausforderungen in der Regel zu wenig geübt hat.
- Wir präsentieren hier eine Abfolge von Fragen und Antworten, wie sie in der Praxis gut vorkommen können.
- Der praktische Nutzen bei der Vorbereitung wird dadurch noch erhöht, dass der Verlauf des Gesprächs kritisch kommentiert wird. Besser kann man sich kaum auf eine Prüfung vorbereiten.
- In diesem Fall geht es um den Prüfungsbereich Goethes „Faust“.
- 3 Seiten Prüfungsgespräch, die sich vor allem mit der Exposition und dem anschließenden „Experiment“ um und mit Faust beschäftigen. Außerdem wird näher auf die Gelehrten- und Gretchentragödie eingegangen. Dazu kommen der Schluss von Faust II sowie die Frage der Aktualität des Dramas.
- Dazu am Ende noch ein Kommentar zum Verlauf
P (Prüfer/in): Im Folgenden geht es um Goethes Drama „Faust“, das wir gemeinsam gelesen und besprochen haben. Warum ist dieses Drama so berühmt?
S (Schüler/in): Es ist sicher zum einen deswegen schon berühmt, weil es von Goethe stammt – aber das reicht natürlich nicht aus. Es kommt hinzu, dass es in diesem Drama um eine Art Experiment geht, bei dem geprüft wird, was der Mensch eigentlich ist, in welchem Spannungsfeld er lebt und auf welches Ziel er zusteuert. Außerdem wird in ihm die „große“ und die „kleine“ Welt durchschritten, das Werk hat dementsprechend einen sehr großen, fast allumfassenden Ansatz.
P: Nehmen wir einmal den Begriff des “Spannungsfeldes” auf – wie sieht es damit in der Exposition des Dramas aus?
S: Am auffälligsten ist natürlich erst einmal im „Prolog im Himmel“, mit dem die eigentliche Handlung eröffnet wird, die Spannung zwischen dem „Herrn“, wie Gott genannt wird, und dem Teufel in Gestalt Mephistos.
P: Können wir da einmal einhaken? Worin genau besteht die Spannung?
S: Gleich am Anfang werden die Größe und die Herrlichkeit Gottes und seiner Werke geschildert, Mephisto dagegen zeigt sich von Anfang an als Neinsager, als Kritiker, der vor allem an den Menschen kein gutes Haar lässt.
P: Sie deuteten an, dass es noch weitere Spannungsfelder in der Exposition gibt…
S: Eine weitere Spannung liegt natürlich in den Auffassungen von Gott und Mephisto in Bezug auf Faust: Mephisto hält ihn für einen ganz normalen Menschen bzw. einen, der seine Nase in besonderer Weise „in jeden Quark“ „begräbt“ und dabei nicht weit kommt, der „Herr“ dagegen sieht seinen „Knecht“ Faust auf einem guten Wege, ist sich sicher, ihn nicht zu verlieren.
P: Wie endet dieser Teil des Exposition?
S: Mit der berühmten “Wette”, bei der wir damals lange darüber gestritten haben, ob es eine echte Wette ist.
P: Warum sollte es keine sein?
S: Weil der “Herr” von vornherein das Irren des Menschen mit einkalkuliert und Mephisto nur Macht über das irdische Leben gibt. Außerdem ist sich Gott sicher, dass Faust sich am Ende „des rechten Weges wohl bewusst“ ist – und angesichts der Größe, Herrlichkeit und Macht, die zu diesem Gott gehören, kann man sich nicht vorstellen, dass er sich irrt oder seine Ziele nicht erreicht.
P: Dann hätten wir also eigentlich gar keine Tragödie mit entsprechender dramatischer Spannung?
S: Zum einen ist es sicher so, dass Goethe kein Dramatiker war, der Gegensätze als unvereinbar betonte, der das Tragische im „Schnittpunkt zweier Notwendigkeiten“, die sich gegenseitig ausschließen, sah. Er war eher ein Harmonisierer, der den letztlich guten Ausgang brauchte, das wurde ja damals auch in einem Referat zu seinem Leben und Werk deutlich betont. Dennoch bleibt auch in Goethes Faust eine dramatische Spannung gegeben. Sie liegt aber weniger im „Ob“ als im „Wie“, so haben wir das damals ja im Unterricht unterschieden.
P: Können Sie das einmal genauer erläutern?
S: Sobald man die Rahmenhandlung verlassen hat, wird man ja voll in die inneren Kämpfe der Hauptfigur einbezogen, von ihr fasziniert. Das beginnt schon mit dem berühmten Monolog, bei dem wir damals besonders die Sturm-und-Drang-Bezüge herausgearbeitet haben.
P: Können Sie auf die noch etwas genauer eingehen?
S: Auf der einen Seite ist es die innere Zerrissenheit Fausts, der das positiv zeigt, worüber sich Mephisto im Prolog lustig gemacht hat. Dieser Mann will wirklich wissen, „was die Welt/im Innersten zusammenhält“ und ist bereit, ein sehr moderner Gedanke, dabei jede Grenze zu überschreiten. Dazu kommt die Verherrlichung der Kraft, der Tat – wie sich bei der Übersetzung einer Textstelle aus dem Neuen Testament zeigt. Schließlich ist da noch die Naturverherrlichung gegenüber dem ganzen alten Plunder an Gelehrsamkeit.
P: Welche Rolle spielt Mephisto im weiteren Verlauf des Stücks?
S: Er ist zunächst derjenige, der dem völlig verzweifelten Faust einen Ausweg zeigt, er bietet ihm genau den „Zaubermantel“, den der frustrierte Gelehrte sich in der Szene „Vor dem Tor“ wünscht. Anschließend ist er derjenige, der Faust durch die verschiedenen Stationen der „kleinen“ und „großen“ Welt führt.
P: Was ist dabei das Ziel?
S: Das hängt natürlich mit dem Vertrag zusammen, den beide schließen: Mephisto hat versprochen, Faust in diesem Leben alles zu geben, was er verlangt. Dafür soll er ihm nach dem Tode zu Diensten sein, d.h. letztlich in die Hölle folgen.
P: Wenn Sie das jetzt einmal mit den Wettbedingungen im “Prolog im Himmel” vergleichen…
S: Man sieht hier deutlich, dass Mephisto den Rahmen überschreitet, den der “Herr” gesetzt hat, denn der wollte Faust Mephisto nur in diesem Leben übergeben.
P: Woran sieht man bei der Abmachung zwischen Mephisto und Faust, dass dieser mehr auf Gottes Linie liegt als Mephisto?
S: Der zentrale Punkt der Vereinbarung zwischen Faust und Mephisto ist ja, dass dieser gewonnen hat, wenn Faust sich jemals zur Ruhe setzen, auf ein „Faulbett“ legen wird. Aus dem Zusammenhang wird dabei deutlich, dass es dabei um das Ende des Strebens gehen würde – und Mephistos Aufgabe ist es laut „Prolog im Himmel“ ja gerade, die Menschen ständig anzutreiben, weiterzustreben. Auch an dieser Stelle merkt man, dass Mephisto sich auf eine Sache einlässt, bei der er nicht gewinnen kann, zumindest nicht bei einem Menschen wie Faust, der offensichtlich wirklich ein „Knecht“ Gottes ist, d.h. in seinem Sinne lebt.
P: Inwieweit kann Mephisto Faust denn zufriedenstellen?
S: Hier geht von Anfang an einiges schief: Schon in der Szene “Auerbachs Keller” zeigt sich, wie Mephisto sich “das wilde Leben” vorstellt, nämlich im Rahmen einer Studenten-Sauf-Szene – Faust hält da gar nichts von, will schnell weiter. Auch das Treiben in der Hexenküche liegt ihm nicht – man merkt hier deutlich, dass Mephisto das falsche Programm aufgelegt hat, eher darauf aus ist, Faust zu betrügen – aber darauf geht er nicht ein.
P: Welche Rolle spielt denn Gretchen in diesem Zusammenhang?
S: Auch hier zeigt sich zunächst das Missverständnis, denn Mephisto sieht Gretchen nur als Mädchen, das man Faust gewissermaßen als Spielzeug überlässt, für die wirkliche Liebe, die sich da anbahnt, hat er kein Verständnis, ja sogar nur Spott übrig.
P: Wir sind im Unterricht noch genauer auf Gretchens Position in der Figurenkonstellation eingegangen…
S: An mehreren Stellen wird deutlich, dass Gretchen die Gegenspielerin Mephistos ist. Das beginnt schon mit der Beschreibung ihrer Umgebung in der Szene „Abend“ – die Regiebemerkung „ein reinliches Zimmer“ meint viel mehr als Sauberkeit und Ordnung – wo Gretchen ist, da ist Reinheit in einem höheren Sinne. Noch deutlicher wird das in der Szene „Marthens Garten“ – dort wird deutlich, dass sie Mephisto durchschaut, zumindest das Negative, Lebensverneinende in seinem Wesen.
P: Was macht diese Szene aber auch deutlich?
S: Wie weit entfernt Faust und Gretchen voneinander sind: Gretchen liebt ihn, sorgt sich um ihn und ist doch sehr weit von ihm und seinen Problemen entfernt, ja versteht ihn kaum, kann ihn auch gar nicht richtig verstehen. Schließlich ist sie ein sehr einfaches Mädchen, während Faust ein großer Gelehrter ist.
P: Kann man denn dann überhaupt noch von Tragödie sprechen, wenn zwei so verschiedene Menschen auseinanderkommen?
S: Sicher ist da erst einmal die menschliche Tragödie, an der Mephisto wieder einmal einen großen Anteil hat: Er sorgt ja dafür, dass Gretchens Mutter vergiftet wird, nur um ihr eine gemeinsame Nacht mit Faust zu gönnen, auch ihr Bruder kommt um, als er seine Schwester rächen will. Schließlich bringt sie auch noch ihr Kind um, um der Schande einer unehelichen Geburt zu entgehen. Am Ende wird sie auch noch von Faust verlassen, der statt zu ihr zu halten, lieber mit Mephisto auf weitere Reisen geht.
P: Dann wäre Gretchen also die Trägerin des Tragischen in Goethes Drama…
S: Nein, auch Faust. Das zeigt sich zunächst ja in der Gelehrtentragödie, seiner Verzweiflung über die Unfähigkeit, die Welt zu begreifen. Aber dieser Faust hat durchaus tiefere Gefühle für Gretchen, leidet am Scheitern ihrer Beziehung, wie sich besonders in der Szene „Wald und Höhle“ zeigt. Dort wird deutlich, dass er mit Gretchen leidet, sich bewusst ist, ihre Existenz zerstört zu haben.
P: Wieso endet denn das Drama nicht als Tragödie?
S: Am Ende des 1. Teils wird zunächst einmal deutlich, dass der Gott des „Prologs im Himmel“ wirklich der Herr des Geschehens ist, ihm seinen Stempel aufdrückt: Während Mephisto mit den Worten „Sie ist gerichtet“ verschwindet, kommt ja eine Stimme von oben, die Gretchen für „gerettet“ erklärt. Das wird nicht weiter erklärt und begründet, man kann es aber vom Ende des zweiten Teils der Tragödie her begreifen.
P: Wieso?
S: Der Schlüsselsatz ist zunächst “Wer immer strebend sich bemüht, – /Den können wir erlösen.” D.h. wer sein volles menschliches Potenzial ausschöpft, ist auf dem richtigen Wege, das gilt zunächst für Gretchen, dann aber auch für Faust.
P: Welche Rolle spielt Gretchen am Ende?
S: Sie taucht in einer allgemeinen Atmosphäre der Verklärung auf, sie hat eine höhere Existenzform eingenommen, aber sie behält eine besondere Beziehung zu Faust: sie soll ihn gewissermaßen in die höhere Welt einführen – man merkt hier, wie die Rollen gewechselt haben – jetzt ist Faust nicht mehr der Überlegene, sondern Gretchen als Inbegriff des „Weiblichen“, das nach der Auffassung des Dramas die Menschen „hinan“, also nach oben zieht.
P: Wir haben im Unterricht ja ausführlich über die Rezeption von Goethes Drama gesprochen – darauf können wir hier nicht mehr näher eingehen. Aber wir hatten uns auch im Kurs Gedanken gemacht über die Aktualität des Dramas, also unsere eigene aktuelle Rezeption…
S: Vieles ist uns natürlich heute fremd, vor allem der Schluss mit seinen besonderen religiösen Kulissen ist schwer zugänglich. Aber die Grundidee, dass der Mensch sich Ziele setzen und sie unbeirrt verfolgen sollte, auch wenn es dabei Rückschläge, Irrtümer und sogar moralische Desaster gibt, erschien uns schon faszinierend. Die offene Frage war nur, was an die Stelle der himmlischen „Belohnung“ und Bestätigung am Ende treten könnte – wir sind da heute skeptischer, was einen allgemeinen sinnhaften Rahmen menschlicher Existenz angeht.
Anmerkung zu diesem Prüfungsgespräch:
- Dieses Prüfungsgespräch beginnt mit einer indirekten Frage nach dem Inhalt des Werkes, durch die man sich nicht verwirren lassen darf. Hier reicht es erst einmal, einen Aspekt aufzugreifen und von dort aus näher auf den Inhalt einzugehen, weil es sich hier eher um eine Art Anwärmphase der Prüfung handelt – der Prüfer möchte nur nicht einfach nach dem Inhalt fragen, letztlich geht es aber darum.
- Interessant ist die Frage „Können wir da einmal einhaken? Worin genau besteht die Spannung?“ Hier unterbricht der Prüfer nämlich völlig unnötigerweise einen angedeuteten größeren Zusammenhang. Durch so etwas darf man sich nicht verwirren lassen – dabei hilft, ein klares „Abiturkonzentrat“ von Fragen und Antworten, die man im Kopf hat.
- Im weiteren Verlauf wird deutlich, wie wichtig es ist, sich bestimmte Kernfragen klar gemacht zu haben, etwa die, ob es sich um eine echte Wette handelt.
- Ein weiteres Kernfeld ist die Personenkonstellation, verbunden mit der Frage nach der Rolle Gretchens im Stück.
- Als sehr hilfreich hat es sich in diesem Beispiel-Prüfungsgespräch auch erwiesen, dass wichtige Zitate präsent waren, auch sollte man die wichtigsten Szenen vom Titel her korrekt benennen können.
- Auf den zweiten Teil des Dramas ist kaum eingegangen worden – in der Regel wird man sich in der Schule aber auch nur mit dem Schluss von Faust II beschäftigen, um den gesamten Rahmen der Handlung abschließen zu können.
- Was ebenfalls keine Rolle gespielt hat, ist die Frage der Quellen und die der biografischen Bezüge. In diesem Prüfungsgespräch standen der Inhalt und Fragen des Dramatischen und Tragischen im Vordergrund.
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Mat370 Beispiel für ein Prüfungsgespräch zum Thema Goethes Faust