5-Minuten-Tipp: Hugo von Hofmannsthal, „Siehst du die Stadt“ (Mat4015)

Hugo von Hofmannsthal, „Siehst du die Stadt“

Hugo von Hofmannsthal

Siehst du die Stadt?

01 Siehst du die Stadt, wie sie da drüben ruht,
02 Sich flüsternd schmieget in das Kleid der Nacht?
03 Es gießt der Mond der Silberseide Flut
04 Auf sie herab in zauberischer Pracht.

05 So geisterhaft, verlöschend leisen Klang:
06 Sie weint im Traum, sie atmet tief und schwer,
07 Sie lispelt, rätselvoll, verlockend bang…
08 Der laue Nachtwind weht ihr Atmen her,

09 Die dunkle Stadt, sie schläft im Herzen mein
10 Mit Glanz und Glut, mit qualvoll bunter Pracht:
11 Doch schmeichelnd schwebt um dich ihr Widerschein,
12 Gedämpft zum Flüstern, gleitend durch die Nacht.

Nun unsere Lösung, die nur eine Möglichkeit darstellt:

Unsere fünf entscheidenden Verständnispunkte
VP1: Das Gedicht enthält in der Überschrift eine Anrede an ein Gegenüber, das der Leser sein kann, aber wohl eher das Lyrische Ich selbst ist.
VP2: In der ersten Strophe wird die Stadt recht romantisch dargestellt.
VP3: In der zweiten allerdings machen sich negative Töne stärker bemerkbar.
VP4: In der dritten Strophe bekennt sich das Lyrische Ich ganz eindeutig zu dieser Stadt …,
VP5: … macht aber in den letzten beiden Verszeilen „Doch“ eine Einschränkung. Man könnte also die These vertreten, dass die Zuneigung nicht mehr nur einseitig und eindeutig positiv ist, sondern schon das Bewusstsein enthält, dass da etwas „verlöscht“, „zum Flüstern“ „gedämpft“ ist, sogar in Zeile 10 Gegensätze auszuhalten sind.

Klausurbedeutung: @@
(Die Anzahl der @-Zeichen macht unsere Einschätzung der Klausurbedeutung sichtbar – wie die Sternchen bei Hotel-Bewertungen!)

Das Gedicht kann gut als Klausur genommen werden, allerdings müssten im Unterricht die Zwischentöne des Expressionismus behandelt worden sein, sonst sucht man die extremen „Expressionen“, die es hier nicht gibt.

Anregungen:
Ausgehend von diesem Gedicht könnte man über Situationen diskutieren, in denen es auch heute noch Zuneigungen gibt, die ein „Doch“ enthalten, also ein fast trotziges Bekenntnis trotz Einwänden oder Bedenken. Hier fallen einem natürlich als erstes Beziehungsgeschichten ein.