Hugo von Hofmannsthal, „Für mich …“ (Mat8026)

Hugo von Hofmannsthal, „Für mich …“
Das wohl schon 1890 entstandene Gedicht zeigt erstaunlich viel Lebenskonzept. Das wollen wir hier mal genauer herausarbeiten.
Hugo von Hofmannsthal
Für mich …

Das längst Gewohnte, das alltäglich Gleiche,
Mein Auge adelt mirs zum Zauberreiche:
  • Man wird hier erinnert an den romantischen Ansatz, der sich in Eichendorffs „Wünschelrute“ findet, wo ein Zauberwort reicht, um den Dingen ihr Lied zu entlocken.
    Hier allerdings liegt die Aktivität weniger bei den Dingen als beim Betrachter.

Es singt der Sturm sein grollend Lied für mich,
Für mich erglüht die Rose, rauscht die Eiche.
Die Sonne spielt auf goldnem Frauenhaar
Für mich – und Mondlicht auf dem stillen Teiche.
Die Seele les ich aus dem stummen Blick,
Und zu mir spricht die Stirn, die schweigend bleiche.

  • Die Zeilen 3 bis 8 sind Beispiele für das, was am Anfang gesagt wurde.
    Erkennbar ist eine Steigerung oder Veränderung von den Dingen zum menschlichen Gegenüber.

Zum Traume sag ich. »Bleib bei mir, sei wahr!«
Und zu der Wirklichkeit: »Sei Traum, entweiche!«

  • Diese Doppelzeile ist ein bisschen schwierig, macht gewissermaßen ein neues Fass auf, das sich von der Wirklichkeit weg und zum Traum hinbewegt.
    Man ist wieder an die Romantik erinnert, wobei diese stärker durchscheint als in den Zeilen 1 und 2. Hier scheint wirklich die Traumwelt eine höhere Qualität oder Vorrang zu haben.
    Vielleicht ist sie als Steigerung der durch das eigene Auge geadelten Zauberreich-Variante der Wirklichkeit gedacht.

Das Wort, das Andern Scheidemünze ist,
Mir ists der Bilderquell, der flimmernd reiche.

  • Hier nun ein Hofmannsthal, der noch an das Wort glaubt.
    Vor allem steckt offensichtlich in den Wörtern mehr als nur Lautfolge und Bedeutung.

Was ich erkenne. ist mein Eigentum,

  • Das erinnert hier sehr an Goethes Idee der „Anverwandlung“

Und lieblich locket, was ich nicht erreiche.

  • Relativ entspannt und hoffnungsfroh – wiederum im Sinne der Romantik – geht das Lyrische Ich mit dem um, was es eben (noch) nicht erreicht.
  • Offen bleibt, ob dieses „noch“ wirklich im Verständnis gerechtfertigt ist oder das Lyrische ich hier wirklich eine endlose, aber erfolglose Verlockung meint, wie sie leider auch zum Leben gehört.

Der Rausch ist süß, den Geistertrank entflammt,
Und süß ist die Erschlaffung auch, die weiche.
So tiefe Welten tun sich oft mir auf,
Dass ich drein glanzgeblendet, zögernd schleiche,
Und einen goldnen Reigen schlingt um mich
Das längst Gewohnte, das alltäglich Gleiche.

  • Hier wird abschließend noch einmal zusammengefasst, was die auf besonders intensive Erfassung der Welt mit dem Ich macht. Auch hier wieder ganz im Sinne Goethes der Wechsel von Anspannung und Entspannung.

„Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehen, sich ihrer entladen;
jenes bedrängt, dieses erfrischt;
so wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich presst,
und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt!“

  • West-östlicher Divan
    Es folgt eine Beschreibung des Zugangs zu den tiefen Welten um einen herum.
    Am Ende kehrt das Gedicht zum Ausgangspunkt zurück: „Das längst Gewohnte, das alltäglich Gleiche“, das ja vom Auge geadelt wurde, das ist auch in der Lage, „einen goldenen Reigen“ um das Ich zu „schlingen“. Man wird hier an eine Art schützenden Kokon erinnert.

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