Klausur: Goethe, Iphigenie auf Tauris, V. Akt, 6. Szene (Schlusszene) (Mat5194)

Worum es hier geht:

Präsentiert wird eine Klausur, die den Vorgaben des NRW-Zentralabiturs entspricht.

Grundkurs – 3 Schulstunden

  • Zugleich enthält sie aber auch eine Interpretation des Schlusses von Goethes Schauspiels.
  • Interessant ist die Frage zu einer Inszenierung, bei der das Schlusswort von Thoas weggelassen wird.

Übersicht über die Teile

  • Aufgabenstellung
  • Hinweise zur Lösung
  • Kurzvorstellung des Textes
  • Einordnung in den dramatischen Kontext
  • Bedeutung der Aspekte Ort und Zeit
  • Aufbau der Handlung
  • Figurenkonstellation
  • sprachliche Gestaltung
  • Funktion und Bedeutung der Szene
  • Diskussion einer Inszenierungsidee

Aufgabenstellung:

  1. Analysieren Sie die letzte Szene von Goethes Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“, indem Sie
    1. den Text unter Einbeziehung des Themas kurz vorstellen, (Faktor 3)
    2. ihn in den dramatischen Kontext einordnen, (Faktor 7)
    3. die Bedeutung der Aspekte „Ort“ und „Zeit“ prüfen, (Faktor 2)
    4. den Aufbau der Handlung untersuchen, (Faktor 5)
    5. die Figurenkonstellation klären, (Faktor 7)
    6. wichtige Mittel der sprachlichen Gestaltung herausstellen, (Faktor 4)
    7. Funktion und Bedeutung der Szene für das gesamte Drama bestimmen. (Faktor 5)
  2. In einer aktuellen Inszenierung wird der letzte Vers des Schauspiels (Thoas: Lebt wohl!“) weggelassen. Nehmen Sie dazu begründet kurz Stellung! (Faktor 3)

Hinweise zur Lösung

  1. Analysieren Sie die letzte Szene von Goethes Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“,
    indem Sie
  2. den Text unter Einbeziehung des Themas kurz vorstellen, (Faktor 3)
  • Es handelt sich um die letzte Szene des Schauspiels
  • und damit die Auflösung des Dramas.
  • Thema ist die Frage, wie Thoas sich angesichts des Bekenntnisses von Iphigenie und der Fluchtsituation verhält, ob er der alte Thoas bleibt, der nur durch persönliche Absichten (Heirat) menschlicher wurde, oder ob er sich zu echter Menschlichkeit durchringt, ohne Gegenleistung bzw. Vorbehalt.

ihn in den dramatischen Kontext einordnen, (Faktor 7)

  • Ausgangspunkt ist ein doppeltes Problem: Das Heiratsdrängen des Königs verändert die vorher stabil-ruhige Lage Iphigenies als Priesterin Dianas, verknüpft mit dem Schicksal der Fremden, das der König als Druckmittel einsetzt nach dem Motto: „Kriege ich dich nicht, geht jeder Fremde wieder in den Tod und ist damit dein ganzer Einsatz für deine Ideale zunichtgemacht.“
  • Verschärft wird der Konflikt durch die Aufdeckung der Verwandtschaft und Heilung des Orest
  • Der Rettungsplan des Pylades steht gegen das Verpflichtungsgefühl bei Iphigenie.
  • Gegenmaßnahmen von Thoas bereiten eine Art Showdown vor.
  • Iphigenie tritt die Flucht nach vorne an – in die Offenheit, die Wahrheit.
  • Sie bekommt aber auch Angst vor der eigenen Courage und fürchtet ein schreckliches Ende für sich und die anderen Griechen.
  • Der König schwankt zwischen Zorn und Gnade.
  • Orest erscheint in Waffen, was den Showdown einleitet.
  • Die Lage scheint ungünstig für eine Flucht zu sein – also bleibt nur die Hoffnung auf Kampf mit ungewissem Ausgang.
  • Thoas ist bereit zu reden, also zu Verhandlungen.

die Bedeutung der Aspekte „Ort“ und „Zeit“ prüfen, (Faktor 2)

  • Der Ost ist in diesem Schauspiel immer derselbe, entspricht in besonderer Weise den Vorgaben des klassischen Dramas.
  • Was Zeit angeht, so drängt sie, wird sie knapp. Es liegt eine Entscheidungssituation vor, allerdings wird die kurzzeitig zurückgestellt zugunsten einer ruhigen Behandlung (Atempause).
  • Auch in dieser Szene wird das Verhältnis von „alter“ (2045) Sitte und „neuer“ (vgl. 2047) angesprochen, d.h. das Phänomen des Wandels, das mit der Zeit verknüpft ist, spielt auch hier eine Rolle.
  • den Aufbau der Handlung untersuchen, (Faktor 5)

  • 2026: Sorge und Mahnung Iphigenies an Thoas und Orest -> Vermittlung aus der Rolle der Priesterin heraus
  • 2032ff: Thoas geht darauf ein, verlangt Identitätsnachweis von Orest
  • 2035ff: Dieser verweist auf das Schwert seines Vaters und bietet Zweikampf an – mit doppeltem Ziel: Freiheit für sich und Ende der Fremdenverfolgung allgemein
  • 2058: Thoas zeigt Bewunderung für den Fremden, ist aber zum Waffengang bereit.
  • 2064: Iphigenie greift wieder ein, warnt allgemein vor einem Kampf und zählt alles auf, was die Identitätsfrage klärt.
  • 2095: Auch hier gibt Thoas nach, verweist aber auf ein zweites Problem, den geplanten Raub der Göttin
  • 2107ff Orest verweist auf ein anderes, besseres Verständnis der Forderung Apollons, außerdem auf auf den Segen, den er von Iphigenie erfahren hat, den soll sie nun auch in ihrer Heimat fortsetzen
  • 2142ff: Appell an Thoas soll einen Paradigmenwechsel männlicher Ideale ermöglichen
  • 2146: Iphigenie unterstützt Orest bei dem Appell.
  • 2151: Thoas gibt sie frei.
  • 2152: Iphigenie will aber darüber hinaus ein gutes Verhältnis zu ihm
  • 2174: Das gewährt er auch -> „Lebt wohl!“ Er reagiert damit auf der gleichen Segens-Ebene wie Iphigenie.
  1. die Figurenkonstellation klären, (Faktor 7)

  • Iphigenie erscheint nach außen vermittelnd, aber inhaltlich mehr auf der Seite des Orest, versucht aber, Thoas „abzuholen“ und weiter positiv auf seine Grundhaltung einzuwirken, was auch gelingt. Sehr mutig ist sie, weil sie sich mit einfacher Lösung begnügt, sondern nicht nur die Erlaubnis zum Weggehen möchte, sondern sogar den Segen des Königs.
  • Thoas erscheint sachlich zurückhaltend, rational, lösungsorientiert und als jemand, der auf dem Weg der persönlichen Bildung fortschreitet und sich gewissermaßen im Verzicht vollendet.
  • Orest erscheint wieder begeistert und begeisternd, bringt sich voll ein – sowohl mit Kampfesangebot als auch mit Ausgleichshoffnung. Man sieht im Einwirkungen auf und Werben um Thoas, dass er hier auf der gleichen Höhe klassischer Gesinnung ist wie seine Schwester.
  • Am Ende sind nur noch die Hauptpersonen präsent und im Spiel. Arkas und Pylades haben ihre Funktion erfüllt und spielen jetzt keine Rolle mehr.
  1. wichtige Mittel der sprachlichen Gestaltung herausstellen, (Faktor 4)

  • Die Szene ist vor allem von sachlicher Argumentation, aber auch einigen Momenten eindringlicher Leidenschaft geprägt.
  • Ein erstes rhetorisches Glanzstück ist der geschickte Einstieg Iphigenies mit vermittelnder Position.
  • Eine große Rolle im ersten Klärungsteil spielt das Schwert, das Orest mit seinem Vater verbindet und mit seinem Eintreten für größere Ziele, für den Schutz der Fremden in Tauris. Hier kommen zum ersten Mal Gefühle stärker an die Oberfläche des Gesprächs. Beide Männer verharren zunächst auf der Ebene des Waffengangs.
  • In diesem Zusammenhang spielt aber schon der Gegensatz von „alte Sitte“ (2045) und „neue Sitte“ (2047), womit ein Element der Dynamik, der Veränderung ins Spiel kommt.
  • Iphigenies zweiter Eingriff ist deutlich kräftiger als der erste und mündet in ein drastisch ausgemaltes Bild des Schicksals der Hinterbliebenen von „Helden“ (2068ff).
  • Sie bleibt aber nicht bei diesem Thema, sondern geht (ab 2076) – ähnlich emotional angelegt – über zur Erläuterung ihrer Sicherheit, dass es sich bei dem Fremden um ihren Bruder handelt – womit sie dem König ein Gegenargument gegen eine friedliche Lösung nimmt.
  • Auch der König wird jetzt emotionaler, wenn er auf den zweiten Konfliktpunkt, nämlich das „lüstern Auge“ (2102) der Griechen gegenüber den „Barbaren“ eingeht.
  • Jetzt kommt die große Stunde des Orest, der zunächst noch recht sachlich (2107) das Missverständnis mit der „Schwester“ aufklärt, dann aber (2119ff) sehr intensiv auf die Heilkraft seiner Schwester eingeht, die ihn gesund gemacht hat und die seiner Auffassung nach noch weitere Früchte tragen soll. Interessant ist dabei, dass Orest mitten in seiner Rede den Adressaten wechselt, vom König zu Iphigenie übergeht, bevor er sich schließlich wieder Thoas zuwendet. Damit schafft er eine besondere Atmosphäre der Gemeinsamkeit, bezieht den König geschickt ein in ihr Schicksal.
  • Sehr geschickt ist auch das moralische Drängen zunächst Orests (2136ff) und dann auch Iphigenies (2146ff) gegenüber dem König.
  • Ein rhetorischer Höhepunkt ist die lakonisch verkürzte Verszeile 2150, wo in der Form eines Parallelismus die Forderung der Situation mit dem Rat, sie gut zu nutzen, verbunden wird.
  • Ein weiterer Höhepunkt sind sicher die beiden Wortpaare, mit denen Thoas seinen Part in diesem Drama schließt: Von dem noch halb unwilligen „So geht“ lässt er sich bewegen zu einem „Lebt wohl!“ Dazwischen liegt ein weiteres rhetorisches Meisterstück Iphigenies, in dem sie sehr emphatisch ihre fortdauernde Dankbarkeit und Freundschaft mit Thoas und seinem Volk betont.
  1. Funktion und Bedeutung der Szene für das gesamte Drama bestimmen. (Faktor 5)

  • Auflösung des dramatischen Konflikts
  • Thoas entscheidet sich für hohe Menschlichkeit: Er verzichtet auf seine persönlichen Ambitionen gegenüber Iphigenie und auf die Durchsetzung des alten Blutrechts seines Volkes.
  • Belohnt wird er nur durch die scheinbar noch größere Forderung Iphigenies, sie wohlwollend-freundschaftlich ziehen zu lassen, was allerdings zugleich die Voraussetzung künftiger Verbundenheit ist, was für ihn und sein Volk eine Fortsetzung des Segens sein kann, den Iphigenie ins Land gebracht hat.
  1. In einer Inszenierung wird der letzte Vers des Schauspiels (Thoas: Lebt wohl!“) weggelassen. Nehmen Sie dazu begründet kurz Stellung! (Faktor 3)

  • Es handelt sich in dieser isolierten Form um einen klaren Verstoß gegen Goethes Ansatz und das ganze Konzept des Dramas.
  • Auch entspricht es nicht der Entwicklung in der letzten Szene.
  • Andererseits kann man es als einen Versuch der Modernisierung nehmen, er entspricht der heutigen Zeit mit ihrem Mangel an eindeutig artikuliertem Edelmut.
  • Auch hinterlässt die Veränderung vielleicht beim Zuschauer ein Mehr an Nachdenklichkeit.
  • Richtig modern wäre aber vielleicht eher ein Spruch gewesen, der in die heutige Zeit passt: Etwa in der Art: „Du verlangst ganz schön viel von mir, aber wenn ich dich nur so ein bisschen auch für mich behalten kann, muss ich hier über meinen Schatten springen.“

Weitere Infos, Tipps und Materialien

Sammlung von Infos, Tipps und Materialien zu Goethes „Iphigenie auf Tauris“
https://www.einfach-gezeigt.de/iphigenie-themenseite

Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos