Kurz und „verbindlich“: Franz Kafka, „Die Verwandlung“

Was an Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ interessant sein kann

In einem ersten Schritt wollen wir zeigen, wie man eine Erzählung, die zunächst einmal Pflichtlektüre in der Schule ist, sich und anderen schmackhaft machen kann.

Mit „verbindlich“ meinen wir nicht, dass wir hier eine optimale und für andere „verbindliche“ Deutung der Geschichte präsentieren. Sondern wir meinen das in dem Sinne, dass wir alles miteinander verbinden: die Figuren mit ihrem Schicksal – und das auch noch mit unserem heutigen Leben.

  1. Als erstes muss man sich mal den Albtraum vorstellen , dass man eines Morgens aufwacht und es ist etwas überaus Schreckliches mit einem passiert. Und zwar etwas, was einem das bisherige Leben unmöglich macht. Hier kann man ja mal seine Zuhörer ihre Fantasie spielen lassen.
    In diesem Falle ist es so, dass Gregor Samsa als eine Art Ungeziefer erwacht und erst mal schauen muss, wie sich das für ihn anfühlt.
  2. In einem zweiten Schritt kann man dann mal überlegen, wie jemand versuchen kann, sich seine Situation schönzureden. Das klappt bei Gregor natürlich nicht. Spätestens als ein wichtiger Mitarbeiter seiner Firma, ein Prokurist, nach ihm schaut, ist es mit jeder Maskerade vorbei und Gregor muss sich seinem Schicksal stellen.
  3. Dabei stellt er erstaunt fest, dass er sich eigentlich in seiner neuen Ungezieferrolle auch zumindest körperlich wohlfühlt, zumal seine Schwester sich zunächst auch noch um ihn kümmert.
  4. Als Problemfiguren stellen sich zunächst die Mutter heraus, die bei seinem Anblick in Ohnmacht fällt und dann der Vater, der ihn sogar mit Äpfeln bewirft und ihn damit verletzt.
  5. Die Familie entfernt sich immer mehr von Gregor, alle beginnen zu arbeiten und für sich selbst zu sorgen, während das bisher Gregor erledigt hat.
  6. Zum Eklat kommt es, als auch noch drei „Zimmerherren“ als Mieter aufgenommen werden und Gregor sich – angezogen von der Musik, mit der seine Schwester die Leute unterhält – zu weit aus seinem Zimmer wagt.
  7. Die Zimmerherren kündigen sofort und Vater und Schwester brechen mehr oder weniger die Beziehung zu Gregor ab, der in seinem Umfeld immer mehr verwahrlost und von einer neuen Bediensteten sogar beschimpft wird.
  8. Schließlich stirbt Gregor einsam und verlassen und wird wie Unrat von der Frau, die sein Zimmer hin und wieder saubermacht, beiseite gekehrt.
  9. Die Familie lebt jetzt regelrecht auf, gönnt sich einen schönen Tag – alle Hoffnungen richten sich jetzt auf Gregors Schwester, die bald heiraten soll.
  10. Insgesamt kann man die Erzählung als Parabel (Gleichniserzählung) auf ein falsches Leben verstehen. Gregor hat sich so in seine Rolle als Versorger der Familie hineingesteigert, dass schließlich sein Körper und seine Seele streiken, was durch die Verwandlung ausgedrückt wird. Die Familie emanzipiert sich von ihm und wird selbstständig, wobei Gregor allerdings als Störfaktor zum Opfer von Vernachlässigung und Ausgrenzung wird. Sein Tod ist also das Ergebnis eines wohl unaufhaltsamen und notwendigen Prozesses von nicht-natürlichem Leben Gregors und einer Familie, die mit der Situation überfordert ist und sie schließlich für ihre eigenen Interessen nutzt und damit zumindest äußerlich glücklich wird.

Was man mit Kafkas Erzählung „anfangen“ kann

  1. Es wäre eine interessante Fortschreibung der Erzählung, wenn die Tochter später ihre alt gewordenen Eltern genauso brutal „opfert“, wie sie es alle mit Gregor gemacht haben.
  2. Übertragung von Kafkas Parabel-Erzählung auf unser Leben heute:
    1. Zum einen kann man sich vorstellen, dass ein Mitglied einer Familie oder einer Freundesgruppe durch einen Unfall plötzlich behindert ist. Anfangs kümmern sich alle liebevoll drum – aber dann nutzt sich das ab. Es hängt dann ganz von den Beteiligten ab, ob es dabei auch hässlich zugeht und jemand regelrecht geopfert bzw. abgeschoben wird.
    2. Noch mehr bringt es sicher, wenn man davon ausgeht, dass Gregor keinen Unfall erleidet, sondern ein falsches Leben führt durch Überbetreuung der anderen. Er selbst hält die Überanstrengung irgendwann nicht mehr aus, wird zum ausgegrenzten „Ungeziefer“, die anderen aber atmen irgendwann auf und befreien sich von dieser Fesselung ihrer eigenen Kräfte. Der Überbetreuer wiederum kommt mit diesem Verlust seiner Rolle nicht klar und geht damit unter.