Lars Krüsand, „Wenn ein Jugendbuch einen immer wieder besucht“ (Mat8040)

Lars Krüsand,

Wenn ein Jugendbuch einen immer wieder besucht

Es gibt Bücher, die vergisst man ganz schnell wieder. Dann gibt es auch Bücher, die man immer wieder liest, weil sie unendlich viel Reichtum enthalten. Man kann sie immer wieder neu lesen und entdeckt dabei immer mehr. Und dann gibt es Bücher, von denen man nur eine einzige Idee mitnimmt und die dann für immer.

So ist es mir mit dem Jugendroman „Ein Garten so groß wie die Welt“ von Malcolm J. Bosse gegangen. In ihm geht es um einen alten, einsamen Mann, bei dem eines Tages ein 14-jähriger Junge auftaucht. Der ist Mitglied einer Jugendbande geworden und muss nun noch eine Mutprobe bestehen. Die geht jetzt aber ganz anders aus, als er sich das gedacht hat.

Der alte Mann hat nämlich während einer langen Gefängnishaft das Überleben gelernt, indem er sich einfach die Zellenwand ganz genau angeschaut hat. Jedes Detail bekam für ihn dabei eine besondere Bedeutung und er hatte das Gefühl, dass die Wand insgesamt sich vor ihm auflöste.

Jetzt gelingt es ihm mit seiner knorrigen Art, den Jungen dazu zu bringen, den großen Garten hinter seinem Haus in lauter kleine Quadrate einzuteilen, die er sich nacheinander für eine ganze Stunde anschauen soll. Man kann sich vorstellen, was das am Anfang für eine Überwindung gekostet hat, aber im Laufe der Zeit sieht der Junge immer mehr und bekommt so einen völlig neuen Blick für die Welt. Das hilft ihm dann auch, sein ganzes Leben zu verändern.

Wenn man heute im Internet nachschaut, bekommt dieses Buch keine guten Bewertungen. Es sei zu pädagogisch und man könne sich auch nicht vorstellen, dass ein Junge so etwas mit sich machen lässt. Das mag sein. Bei mir aber hat es immer wieder funktioniert.

Es begann damit, dass ich bei den üblichen Spaziergängen mit dem Hund mich tatsächlich mal am Rand einer Wiese hinhockte, zwar nicht für eine ganze Stunde, aber wenigstens für einige Minuten. Wenn man dann genau auf dieses zunächst unscheinbare Stückchen Welt schaut, ergibt sich zunehmend eine ganz andere Wahrnehmung. Wenn man dann aufsteht und geht, hat man das Gefühl, einen vertrauten Ort zu verlassen, obwohl es sich nur um eine einfache Wiese handelt.

Es kommt gar nicht darauf an, irgendwelche botanischen Studien zu betreiben oder die einzelnen Tiere, die man bald entdeckt, zu klassifizieren. Es reicht, mal kurz aus dem Getümmel seines Alltagslebens herauszutreten und sich auf eine solche kleine Welt einzulassen. Natürlich sind das keine Dauerzustände, aber es sind kleine Oasen wie bei einem langen Ritt durch die Wüste.

In unserer heutigen Zeit wird man sicherlich noch einen größeren Schritt tun müssen als sich einfach hinzuhocken. Vor allem wird man sein Smartphone abschalten müssen. Aber es lohnt sich, man bekommt einen fast künstlerischen Blick und sieht plötzlich Details und Strukturen, die einen ganz neuen Sinn ergeben.

Wenn man Glück hat, nutzt man all die vielen kleinen Gelegenheiten, in denen man sowieso zum Innehalten gezwungen ist, sei es beim Warten auf den Bus, im Stau oder in einer langweiligen Veranstaltung, um sich wieder mal wie ein kleines Kind zu verhalten, das seine Umgebung auch auf ganz eigene Art und Weise wahrnimmt. Dabei kann sich zumindest ansatzweise bewahrheiten, dass nur die ihr „Himmelreich“ kennenlernen, die werden wie die Kinder. Man muss ja da nicht gleich bleiben, manchmal reichen auch Atempausen, um sich zumindest den Blick über die Grenzen des Alltags zu bewahren.

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