Leitfaden Engels, „Weg ins Imperium“, Das Ende der Römischen Republik im Vergleich zur Entwicklung der EU (Mat503-lf)

Worum es hier geht:

Auf der folgenden Seite haben wir ein interessantes Buch rezensiert. Dort vergleicht der Historiker David Engels den Übergang von der Römischen Republik zum Romanum Imperium mit der Situation der Europäischen Union. Die sieht er auf einem ähnlichen Weg und prüft das akribisch an verschiedenen Teilaspekten.
https://textaussage.de/rezension-david-engels-weg-ins-imperium

Hier nun gehen wir einen Schritt weiter und präsentieren unsere Lese-Erfahrungen. Der kann ggf. von anderen für die eigene Lektüre genutzt werden.

Auf jeden Fall lohnt es sich, dieses Buch intensiv zu studieren.

Leitfaden für die eigene Lektüre des Werkes von David Engels:

Die folgenden Seitenhinweise beziehen sich auf die folgende Ausgabe:

David Engels, Auf dem Weg ins Imperium. Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der römischen Republik. Historische Parallelen: Europa Verlag, Berlin/München 2014

Bitte die folgenden Hinweise als Hilfestellung für die eigene, manchmal auch notwendigerweise stark zielgerichtete Lektüre nehmen.

Es handelt sich hier um ein freiwilliges Angebot, keine Dienstleistung 😉

Beginn mit einer Verteidigung des eigenen Ansatzes des Vergleichs:

Dieser wird letztlich als einziger heute noch maßgeblicher Grund für die Beschäftigung mit der Antike hervorgehoben.

  • S. 36: Die schlechte Nachricht für die Freunde der Antike: Ihre Bedeutung für uns heute wird immer mehr in Frage gestellt.
  • S. 37: Die gute Nachricht: Hervorhebung des Vergleichs als Hauptargument, sich überhaupt noch mit der Antike zu beschäftigen: Überleitung zu seiner zentralen Frage, nämlich dem Vergleich der Lage der EU mit der Lage der späten Römischen Republik
  • S. 38: Aktuelle Lage der Geschichtswissenschaft: Die Zersplitterung in Teilbereiche macht übergreifende Vergleiche besonders verdächtig – und die Geschichtsphilosophie, der man das noch am ehesten zugestehen würde, ist in besonderer Weise verdächtig geworden.
  • S. 39: Verteidigung des Vergleichsansatzes: Man könne aus der Geschichte nur lernen, wenn man vergleicht und dann Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellt
  • S. 40: Hinweis auf die Tradition des Vergleichs der Entwicklungsmuster des römischen Reiches und unserer Welt heute
  • S. 40: Verweis auf die beiden Varianten von historischen Vergleichen: punktuelle und allgemeine
  • S. 41: Verweis auf Ferdinand Mount, der erstaunlich viele Parallelen sieht zwischen der Lebensweise in der EU-Realität unserer Zeit und der römischen Zivilisation zur Zeit des Zusammenbruchs
  • S. 43: Hinweis auf Spengler und Toynbee, deren Ansätze David Engels mit „Optimismus“ aufnimmt und erneut fruchtbar machen will.

58ff: Thema „Identität“

  • 58: Viele Parallelen zu heutigen Diskussionen, wenn es auch im Römischen Reich nicht so etwas gab wie Nationen
  • 59: Identität bei den alten Griechen: zunächst sprachlich gebunden, in Ansätzen nach heutigen Maßstäben „rassistisch“ – die Vorstellung wird offener in der Zeit des Hellenismus
  • 60: Es wurde eine immer massivere Integration möglich, „solange diese mit einer Übernahme zumindest der äußeren Formen hellenistischer Weltzivilisation verbunden war.“
  • 61: Rom: Notwendigkeit der Weiterentwicklung der ursprünglichen bäuerlich-römischen Identität
  • Bei Cicero finden sich die folgenden Merkmale:
    1. „Rücksicht auf Brauchtum“
    2. „soziale Anpassung“
    3. „eine dem Aufnahmeland nützliche Tätigkeit“
    4. „Beachtung aller rechtlichen Formalitäten“
    5. „emotionale Verbundenheit mit der neuen Heimat“
  • 62: Konzepte entwickelten sich im Laufe der Zeit – damals wie heute
  • Und dann kommt der Hammersatz:
    „Und wie wir im Laufe dieser Untersuchung sehen werden, sind die verschiedenen intellektuellen und rechtlichen Versuche, eine solche Identität von Grund auf neu zu definierenanstatt sie als etwas offensichtlich Gegebenes hinzunehmen, bereits ganz klar als Indikatoren einer tiefen kulturellen Krise zu beachten, kann man doch nur das suchen, was man verloren hat…“ (S. 62)

63ff: Das europäische Dilemma

  • 63: Das Problem, historisch gewachsene Identität durch abstrakte Vorstellungen zu ersetzen
  • 64: Liste der aktuellen „Werte“ der EU – eher geeignet für einen künftigen Weltstaat
  • 65: Problem, dass es keine einheitlichen Vorstellungen in der Welt zum Beispiel von „Freiheit“ gibt; Engels sieht in dem EU-Ansatz ein „seltsames Zeugnis fast kolonialistischen Dünkels“
  • 66: Lösung der EU: Beschränkung auf den geografischen Raum „Europa“, Engels nennt das eine „intellektuelle Kapitulation“
  • 67: Probleme einer solchen geografischen Grundlage
  • 68: Türkei-Problem wird in einem Gedankenspiel mit einem Spanien verglichen, das um Aufnahme in die Arabische Liga bittet
  • 69: Erwartung, dass dieses Identitäts-Dilemma von „unten“, also durch die Wähler entschieden wird, zum Beispiel durch Abwendung von der EU
  • 70: Engels: Untersuchungsansatz: Vergleich mit der römischen Republik
  • 71: Statististik: Welche Werte assoziieren die Bürger mit der EU -> Untersuchungsprogramm des Buches
  • 72-74: Vorstellung der Reihenfolge der Aspekte:
    • S. 77ff: Toleranz
    • S. 100: Respekt gegenüber menschlichem Leben
    • S. 121: Gleichheit
    • S. 139: Selbstverwirklichung
    • S. 165: Religion
    • S. 196: Respekt gegenüber anderen Kulturen
    • S. 227: Freiheit des Einzelnen
    • S. 248: Demokratie
    • S. 277: Rechtsstaatlichkeit
    • S. 301: Menschenrechte
    • S. 323: Frieden
    • S. 370: Solidarität
    • S. 414: Schluss
    • S. 433: Postscriptum: Auf dem Weg ins Imperium
  • 74: Anmerkungen zur Methode des Buches
  • 75: Statistische Unterlagen von heute gegenüber literarischen Zeugnissen von früher
  • 76: Verteidigung dieser „Divergenz der Quellenlage“

S 44: Kapitel: „Krise ohne Alternative – das Ende der römischen Republik
Dieser Teil des Buches präsentiert einen allgemeinen Überblick über die Geschichte der Römischen Republik von den Gracchen bis zu Augustus. Das meiste davon wird dem Geschichtsinteressierten bekannt sein. Allerdings merkt man deutlich, dass Engels die Entwicklung natürlich im Hinblick auf das Thema seines Buches beschreibt.
Wer sich aber auskennt, kann diesen Teil zunächst einmal überspringen.

  • S. 44: Vorbemerkung zur unterschiedlichen Sicht unserer Zeit und der Zeitgenossen
    Hinweis auf die andere Wahrnehmung der Zeitgenossen – sie sahen nicht die Folgerichtigkeit, die wir rückblickend zu sehen glauben (was übrigens ein allgemeines Problem jeder Geschichtsbetrachtung ist)
  • S. 45: Liste von ähnlichen Problemprozessen (Römische Republik und EU), u.a. multikultureller Synkretismus statt alter Werte
    Ausgangspunkt = Mitte des 2. Jahrhunderts: nach außen scheinbare Stabilität, im Inneren Krisen
  • S. 46: Paradoxe Situation: Einzelpersonen erkennen die Krise, die Machtelite scheut Veränderungen und verhindert damit friedliche LösungenBereich 1 = Niedergang des Bauernkriegerums und die Machtübernahme durch Feldheern
  • S. 47: Fluch der Expansion: Notwendigkeit des Übergangs zum Provinz-System statt indirekter Herrschaft, führt zu gigantischen Einnahmen und einem Sinken der Bedeutung der altrömischen Bürger
    Weiteres Problem: Die kampferprobten und machtbewussten Heerführer gliedern sich nur ungern in das senatorische Kollegialsystem ein.
  • S.48: Die ehemaligen Heerführer wenden sich ans Volk, um ihre Macht auszubauen, der Rest des Senats hält dagegen und bringt sich damit in Gegnerschaft zu Teilen der Bevölkerung.
    Heeresreform verstärkt das Problem noch: Söldnerheer, ehemalige Bauernsoldaten werden zu abhängigen Proletariern (Klientel-System)
  • S. 49: Soldaten entwickeln immer stärkere Loyalität zu ihren Heerführern
    Daraus entsteht die Versuchung zur Veränderung der Staatsverfassung, was bei den Gracchen noch gescheitert war. Der Geist ließ sich aber nicht mehr in die Flasche zurückdrücken.
  • S. 50: Agrarreformen sind nötig, allerdings entsteht dabei ein Konflikt zwischen Altrömern und Bundesgenossen, woraus 92-88 regelrechter Krieg wird.
    Kompromiss: Vergabe des Bürgerrechts, aber wirtschaftliche Folgen bleiben und Angst vor Bürgerkrieg wird verstärkt.
  • S. 50/51: Weitere Etappe wird durch Mithridates, den König von Pontus ausgelöst; Streit um lukrative Militärführung; Sulla setzt sich durch, nach dem Beginn des Feldzugs intrigiert der unterlegene Marius gegen ihn, es gibt ein Hin und Her, bei dem schließlich Sulla mit den Soldaten Rom besetzt und mit brutalster Gewalt gegen seine Gegner vorgeht.
    Gefährlicher Präzedenzfall für die Zukunft, Radikalisierung der Kämpfer und Verlust der moralischen und sachlichen Autorität des Senats
  • S. 52: Nach Sulla = keine Rückkehr zur alten Republik mehr möglich
  • S. 52/53: Bedeutung des Pompejus: erfolgreich, aber ohne Rückhalt im Senat
    -> Ausweg: Das erste Triumviat mit Crassus und Caesar („ein für seine Skrupellosigkeit bekannter junger popularis„, S. 53: eine sehr interessante Einschätzung dieses Staatsmannes, die nicht jedem geläufig sein dürfte!)
    Auf jeden Fall gibt es jetzt eine Institution, die die verfassungsmäßigen Institutionen ihrer Rechte beraubt.)
  • 54: Der Schein der verfassungsmäßigen Ordnung wird aber aufrecht erhalten.
    Nach dem Tod des Crassus: Zerfall des Bündnisses und Sieg Caesars über Pompejus
  • Cäsars Ermordung – auch hier keine Rückkehr zur alten Ordnung möglich; Octavian, der spätere Augustus laviert zwischen den Fronten.
  • 56: Zweites Triumvirat – brutale Auslöschung der Gegner
  • 56/57: Auch hier Zerfall des Bündnisses und alleinige Macht des Octavian/Augustus, der sich aber um Ausgleich mit dem Senat bemüht, Fortsetzung der Schein-Weiterexistenz der alten Republik.
  • 57: Das neue Machtsystem des Augustus – ähnlich wie nach 1799 bei Napoleon wird die neue Ordnung akzeptiert, weil sie dem Volk Ruhe gibt und auch die Senatoren sich weniger bedroht fühlen.
  • Abschluss des Prozesses im Jahre 14 n. Chr., als die Macht an Tiberius übergeben wird: Die Römische Republik ist ein „autoritäres System geworden“.

77ff: „Europäische Identität, universalistische Werte und Systemkrise

  • 77/78: Heute Toleranz als hoher Wert, früher war es klar, dass Identität „Eingrenzung“ bedeutete und damit automatisch auch „Ausgrenzung“
  • 78: Heute: Phänomen der Idealisierung des Fremden zu Lasten des Eigenen
  • 79: Negative Prognose für das Fortbestehen der universalistischen Ideologie
  • 79/80: Entwicklung der europäischen Identität, Bedeutung der weißen Hautfarbe, was heute kritisch gesehen wird, aber nach Meinung des Verfassers seine Bedeutung behält
  • 81: Luhmann wird zitiert: Integration gebe es nur durch Exklusion; negative Prognose, was die Entwicklung der Identität der EU angeht; Widerspruch zwischen dem universalistischen Ansatz und der geografischen Beschränkung auf Europa
  • 82: Hinweis auf die praktischen Probleme der Massen-Einwanderung und den Widerspruch zwischen der Liebe zu den Fremden und der Verachtung des Eigenen,
    die zahlenmäßige Dimension der Veränderung der Bevölkerung durch die Massenmigration
  • 83: Die fehlende Regelung der Migration und die damit verbundene fehlende Identitätsperspektive; Hinweis auf das verständliche Unbehagen vieler Europäer, die mit ungewohntem und zum Teil ihrer eigenen Kultur widersprechendem Brauchtum konfrontiert werden
  • 84: Hinweis auf die Problemösungsdefizite bei den europäischen Institutionen
  • 85: Hinweis auf die paradoxe Situation, dass man sich selbst nicht achtet, aber von den Neuankömmlingen erwartet, dass sie sich den eigenen Normen anpassen, schlechte Aussichten; Hinweis auf den zusätzlichen Verschlimmerungscharakter, dass man nicht mal auf die Qualifikation der Einwanderer geachtet hat, Problem des Hypermoralismus
  • 86: zwei zentrale Probleme: Kriminalität und Mitnahme-Mentalität, Hinweis auf die Verständlichkeit der Distanz der Einheimischen gegenüber Einwanderern
  • 87: Verschärfung der Situation zu erwarten, Hinweis darauf, dass zum Beispiel die Türken sehr viel selbstbewusster mit Migration Anderer in ihr Land umgehen als die Europäer
  • 88: negative Prognose, was die Einstellung der Bevölkerung angeht, angesichts der eigenmächtigen hypermoralistischen Vorgaben der sogenannten Elite
  • 88: Übergang zu den Verhältnissen im alten Rom
  • Grundsätzliche Ähnlichkeit des „Teufelskreises von Masseneinwanderung, Integrationsproblematik und Fremdenfeindlichkeit“
  • 89: Entwicklung im Hellenismus, Bedeutung der Sprache, der Gemeinsamkeit von Heiligtümern und Opfern sowie der Sitten
  • 90: Hinweis auf die schon damals vorhandene Größe der Städte, stärker kosmopolitisch, aber auch Probleme im Verhältnis der Bevölkerungsgruppen untereinander
  • 91: Hinweis auf innere Spannungen in der Zeit des Hellenismus bis hin zu Pogromen
  • 92: Verhältnisse in Rom insgesamt etwas günstiger wegen der besseren Ausgangsmythen, die durchaus auf Integration ausgerichtet waren
  • 93: negative Sicht der Entwicklung der Bürgerschaft, Anwachsen der Fremden feindlichkeit durch die Einbeziehung der Bürger auch der Kolonien
  • 94: unterschiedliche Sichtweisen, es gibt Vertreter des Multikulturalismus, aber auch Kritiker
  • 95: ziemlich radikale Maßnahmen gegen Überfremdung bis hin zur Ausweisung, aber auch fremdenfreundliche Gegenpositionen
  • 96: besonders Problem der Sklaven Befreiung, weil damit sofort die Vergabe des vollen römischen Bürger rechtes verbunden war
  • 97: ausführliche Darstellung der Versuche, dieses Recht zu begrenzen, in einer antiken Quelle
  • 98/99: die Elite sieht das Problem mit den Sklaven zum Teil, sogar Augustus deutet Einschränkungen in seinem Testament an, Hinweis auf Parallelen zwischen damals und heute, was Toleranz und Offenheit im übertriebenen Maßstab einerseits und Abwehrreaktionen der Betroffenen andererseits angeht, dazu kommt, dass das eher zu einem Integrationshindernis wird und die geringe Loyalitätsbereitschaft der Neubürger bestärkt

 

100ff: „Respekt gegenüber menschlichem Leben: Familienleben und Bevölkerungsschwund“

  • 100: Ausgangpunkt: Phänomen der gestiegenen Achtung vor dem menschlichen Leben
  • LebenRückblick: Christentum eher am Jenseits interessiert, 19. und 20. Jhdt: Militarismus und Kapitalismuss zT. lebensfeindlich
  • 101: Bevölkerungswachstum vor allem wegen Arbeitskräfte-Zuwachs in den unteren Schichten;kaum Geburtenkontrolle, Problem der unehelichen Geburten
  • 102: dann großes Umdenken: individuelles Leben wird immer höher gewichtet, erstaunlicherweise zu Lasten des Gemeinschaftswachstums und der Lebenschancen ungeborener Kinder
  • 103: Hinweis auf das Ausmaß des Bevölkerungsrückgangs in Europa: bedrohliche Situation mit Ausnahme von England und Frankreich, weil dort die Einwanderer schon eine Generation weiter sind
  • 104: Annahme, dass hinter einer abnehmenden Bevölkerung auch ein entsprechendes kulturelles Defizit steckt; ausführliche Darstellung der Faktoren und Prozesse, die zu einem Bevölkerungsrückgang in Europa führen, während in anderen Kontinenten die Bevölkerung explodiert
  • 105: die gefährlichen Folgen des Rückgangs der Bevölkerung; Prüfung der Frage, in wieweitder Bevölkerungsrückgang durch Einwanderung aufgefangen werden kann
  • 106: Gefahren für den inneren Frieden durch eine Bevölkerungs Verschiebung durch Masseneinwanderung; nähere Erläuterung der Gefahr, dass die eingewanderten Bürger sich nicht integrieren werden, was die Probleme verschärft
  • 107: Hinweis auf die Veränderung der Bevölkerung durch schon länger hier lebenden Migranten
  • 108: zusammenfassende Auswertung: Europa ist auf dem Weg zu einer Veränderung in Richtung „Eurabia“, in absehbarer Zeit wird ein Drittel der Bevölkerung fremder Herkunft sein
  • —-
  • 108: Übergang zur Situation in Rom: große Ähnlichkeit der Entwicklung heute mit der in der spätrepublikanischen Zeit Roms
  • 109: interessanter Zusammenhang von Ordnung und Wohlstand und auf der anderen Seite zunehmende Individualisierung und abnehmende Sozialbindung; Darstellung der Situation im Altertum auf der Basis von literarischen Quellen, eine sehr ausdrucksstarke von Polybios wird vorgestellt
  • 110: Sorge der Römer wegen Bevölkerungsrückgang, Rede eines Zensors
  • 111: Beispielzahlen für den Rückgang der Bevölkerung in Rom, Gegenmaßnahmen; Hervorhebung des entscheidenden Grundes für den Bevölkerungsrückgang, keine Lust auf den Stress der Kindererziehung
  • 112: altrömische Mahnung zu einer Sexualität, die nur der Fortpflanzung dient; Kritik an der geringen Bereitschaft zur Mutterschaft und den damit verbundenen Strapazen und Leiden
  • 113: Quelle: Entwicklung der Kindererziehung in Rom
  • 114: Hinweis auf die vielfältigen Abtreibungsmöglichkeiten zur Zeit des Hellenismus, Vergleich mit heute: Pille nicht als Grund, sollen als Mittel eines veränderten Sexualverhaltens
  • 115: Abtreibungen waren in Rom zwar verpönt, aber vielfältig in Gebrauch
  • 116: schon in der Antike gibt es ein Bewusstsein dafür, dass Schwangerschaftsveränderungen den Generationenvertrag gefährden.
  • 117: Hinweis auf das Korrigieren von Symptomen im Hinblick auf Landverteilung und Berufsarmee, deren Politisierung zusammen mit der Klientelwirtschaft in der römischen Politik letztlich zwangsläufig zum Burgerkrieg führt; Beschreibung der Bevölkerungskatastrophe zur Zeit Caesars
  • 118: Versuche des Augustus, etwas für die Bevölkerungsvermehrung zu tun, angeblich erfolgreich; dennoch bleibt der allgemeine Eindruck des Pessimismus, Flucht in Sklavenbefreiung, die möglichst verschleiert wird
  • 119: zusammenfassende Beschreibung der Entwicklung im spätrepublikanischen Rom und im heutigen Europa; Niedergang der herkömmlichen Wirtschaftsstrukturen, zugleich gefährliche Massenpolitisierung, auch des Militärs, damit Möglichkeiten des diktatorischen Eingreifens
  • 120: im Vergleich stellt Engels fest, dass die militärische Lösung heute eher unwahrscheinlich ist wegen der allgemeinen Regierungsverhältnisse in Europa. Das ändert aber nichts daran, dass er die Wahrscheinlichkeit gewalttätiger Konflikte sieht.

121ff: Gleichheit: Paarbeziehung und Individualismus

Anmerkungen und Lese-Empfehlungen:

  1. Engels macht in diesem Kapitel (ab S. 121) zunächst einmal deutlich, was die sexuelle Befreiung der Menschen in EU-Europa im Vergleich etwa zur Viktorianischen Enge auch bedeutet: Nämlich einen Rückgang des familiären Zusammenhalts und der Einstellung gegenüber der frühkindlichen Erziehung der Nachkommen: Diese wird zu einer Angelegenheit, die auch außerhalb der Familie erledigt werden kann.
  2. Die Auflösung der Familienstrukturen bedeute zugleich auch eine Gefahr für übergeordnete staatliche Einheiten (ab S. 126/127).
  3. Perspektivisch sieht er einen Kampf zwischen fortgesetzter Ablehnung der traditionellen Familie und dem Versuch, dem entgegenzuwirken. Am Ende kann seiner Meinung nach durchaus ein Rückfall in autoritäre Familienstrukturen stehen.
  4. Dazu zwei Anmerkungen:
    Zum einen wird interessant sein, wie sich der noch sehr traditionell ausgerichtete Familiensinn der muslimischen Immigranten auswirken wird.
    Zum anderen ist es sicher interessant, die Entwicklung EU-Europas mit der Chinas zu vergleichen, wo ein extrem anderes Familienmodell vorherrscht – mit zur Zeit enormem gesellschaftlichen Stabilitätsgewinn.
    Stefan Baron / Guangyan Yin-Baron, Die Chinesen. Psychogramm einer Weltmacht, Econ-Verlag: Berlin 2018, S. 109ff: Erziehung und Sozialisation. Familie, Hierarchie, Bildung
    ———————————
  5. Was Rom angeht, sieht Engels große Parallelen, sogar im Hinblick auf Frauenrechte (die aber nur in Ansätzen) und einen Einstieg in antiautoritäre Erziehung. Vor allem arbeitet er die demografischen Probleme heraus, die mit einer Absage an den mos maiorum, die Sitten der Vorfahren, verbunden sind.
  6. Ein besonderes (trauriges) Highlight ist sicher der Hinweis, dass im spätrepublikanischen Rom die Eltern kinderreicher Familien weniger eingeladen wurden, während Kinderlose als mögliche Erbonkel und Erbtanten hochinteressant waren (S. 134).
  7. In der Verantwortung für den mit diesen Entwicklungen verbundenen Niedergang der Gemeinschaft sieht Engels vor allem die Eliten, die mit schlechtem Beispiel vorangegangen seien.
  8. Letztlich hätten sie gerne die politische Freiheit im Prinzipat aufgegeben, solange man ihnen die sexuelle Freiheit ließ.

Anmerkungen zum Kapitel „Selbstverwirklichung: Gesellschaft und Egoismus (S.139-164)

Anmerkungen und Lese-Empfehlungen:

 

  • Engels ist zunächst einmal erstaunt, dass Selbstverwirklichung, die ja nun vorwiegend mit dem Individuum zu tun hat, überhaupt bei den Werten der europäischen Union auftaucht und dann auch noch in sehr unbestimmter Form.
  • Selbstbestimming Europa sieht für ihn konkret so aus, dass frühere Bindungskräfte, die Gemeinschaft, Kultur und Religion, an Bedeutung verloren haben und weitgehend ersetzt worden sind durch materielle Ziele.
  • Dies habe zum einen zu einer massiven Erhöhung des Wohlstands geführt, zum anderen aber auch zu einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft, die wiederum den Staat zwingt, immer stärker einzugreifen. Dies wiederum würde ihm erschwert durch die Stärke der überstaatlichen Marktkräfte.
  • Engels sieht einen Zusammenhang zwischen dem Egoismus der Marktlenker und dem ungehemmten Selbstverwirklichungsstreben der Einzelmenschen.
  • Dies funktioniere zur Zeit noch einigermaßen, weil die Menschen wie im alten Rom durch Brot und Spiele abgelenkt würden, wobei die Massenmedien eine ganz entscheidende Rolle spielten (Seite 145).
  • Ausführlich beschreibt er das aus seiner Sicht falsche Wesen der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit, die vor allem den Zusammenhalt größerer Gruppen immer mehr auflöse zu kleinen Gruppen oder gar Einzelbeziehungen.
  • Sehr interessant dabei der Hinweis auf den Widerspruch zwischen kosmopolitischer Humanität und der fehlenden Bereitschaft, sich um seinen kranken Nachbarn zu kümmern (S. 149).
  • Ab Seite 150 wendet Engels sich dann den Verhältnissen in der späten römischen Republik zu: „Durchaus vergleichbar mit der gegenwärtigen Situation in der Europäischen Union war auch die Selbstverwirklichung im wirtschaftlichen wie im privaten Bereich in der späten römischen Republik durch ein Spannungsfeld zwischen Verarmung und Ausbeutung, städtischer Vereinsamung und gesellschaftlichem Egoismus, Werteverfall und Vergnügungsgesellschaft sowie Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Sozialleistungen gekennzeichnet.” (Seite 150)
  • Ausführlich beschreibt Engels die politische Instrumentalisierung sowohl der Getreideverteilung als auch der Unterhaltungsangebote im Kolosseum. Immer wieder finden sich auch nette Kleinigkeiten am Rande wie der Hinweis darauf, dass Caesar dafür kritisiert wurde, dass er bei seinem Pflichtbesuch bei von ihm bezahlten Spielen Briefe diktiert, also Amtsgeschäfte getätigt hätte. (158)
  • Insgesamt sieht Engels einen regelrechten „Trieb zur Selbstzerstörung“ (159).
  • Dazu gehört auch das zunehmende Phänomen der Einsamkeit, besonders alter Menschen. Eine gewisse psychologische Entlastung habe die Philosophie der Stoa gebracht.
  • In der Zusammenfassung (164) wertet Engels seinen Vergleich noch einmal aus und erteilt der These, unsere heutigen Probleme in diesem Bereich hätten etwas mit Technisierung zu tun, eine klare Absage. Schon die alten Römer hätten es am Ende der Republik verstanden, eine einigermaßen funktionierende Gesellschaft immer weiter zu fragmentieren. Das Eingreifen des Staates habe die Entwicklung nur partiell abmildern können, letztlich aber zur Verfestigung von Unterschieden und Gegensätzen beigetragen.

Zusammenfassung des Kapitels: Religion: Glaube und Rationalismus

Teil 1: EU

165-181

  1. Engels geht in seiner vergleichenden Betrachtung von EU und spätrömischer Republik über zum kulturellen Bereich, nachdem die Beschreibung des gesellschaftlichen Rahmens abgeschlossen ist (165ff).
  2. Ausführlich beschreibt der Verfasser den “Niedergang der christlichen Religionen” vor dem Hintergrund ihrer eigentlichen Bedeutung: “Religion ist somit nicht bloß ein Wert unter anderem, sondern gewissermaßen der Schlussstein eines Bogens, der nur durch diesen Festigkeit und innere Ordnung erhält.” (166)
  3. Der abstrakte Rationalismus der Gegenwart sei nicht in der Lage, die tiefen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, was sich daran zeige, dass der freigewordene Platz der christlichen Religionen gefüllt werde durch ein Vordringen “verschiedenster schlichter Glaubensrichtungen und Überzeugungen.” (179). Er nennt hier Beispiele von Esoterik und New Age bis hin zu Druidismus und Ufo-Glaube.
  4. Vor diesem Hintergrund sieht der Verfasser diesen Prozess als ein “weiteres bedeutungsvolles Zeichen für die tiefe Krise der europäischen Gesellschaft und die auch ansonsten überall festzustellende Entsolidarisierung der staatlichen Einrichtungen mit ihrer kulturellen Vergangenheit.” (167)
  5. Ab Seite 168 beschreibt der Verfasser das, was er als weißen Masochismus bezeichnet, der sich gegenüber der christlichen Religion hemmungslos auslebe, während gleichzeitig “Islamophobie in vielen europäischen Ländern als strafbares Verbrechen gilt”. (168)
  6. Am Beispiel der Überlegungen und Vorarbeiten zum Verfassungsentwurf der Europäischen Union (ab 174) konkretisiert der Verfasser die Distanz zu den Grundlagen unserer heutigen Kultur, die man glaubt, erhalten zu könne, während man gleichzeitig (in Aufnahme einer Metapher von Wittgenstein) die Leiter wegwirft, mit der man empor gestiegen ist.(178)
  7. Engels ist sehr skeptisch, dass die nachfolgenden und sehr viel freundlicher behandelten Religionen sich dem hohen Stand von Kultur und Zivilisation im ehemals christlich geprägten Europa anpassen werden, er spricht von der “Fassade einer angeblich humanistischen Weltbürgerlichgesellschaft” (181), hinter der sich “ein Rückfall in Auseinandersetzungen um längst überwunden geglaubte Fragen eingenistet” (181) habe. Er nennt hier beispielhaft: die Gleichstellung der Frau, das Tragen religiöser Abzeichen, rituelle Verstümmelung, die theologische Akzeptanz von Impfungen.
  8. Am Ende dieses Abschnitts stellt er bedauernd fest: “Einmal mehr schwächt somit die Verherrlichung rationalistischer Toleranz die Fähigkeit, das eigene Wesen zu verteidigen und der Intoleranz Widerstand zu leisten, und festigt damit ungewollt die Kräfte derer, die sie eigentlich bekämpfen sollte…” (181)

Teil 2: Rom

182-195

  1. Engels stellt zunächst fest, das die römische Region insgesamt widerstandsfähiger war gegenüber dem, was sich im Hellenismus  gezeigt hatte. Aber auch hier führte die allgemeine Entwicklung schließlich dazu, dass die Religion eher als eine Sammlung archanischer Bräuche angesehen wurde, die vor allem im Rahmen der Machtsicherung genutzt werden konnten (182-184).
  2. Anschließend setzt sich der Verfasser mit neueren Tendenzen in der Geschichtswissenschaft auseinander, einen offensichtlichen Niedergang als kulturelle Bereicherung und Transformationsprozess zu sehen.  Er betrachtet das als „nachträgliche Verniedlichung“, sogar die Bezeichnung als „grober Unfug“ (185) fällt,  wenn das Fortleben von Bräuchen und kulturellen Versatzstücken mit Substanz gleichgesetzt wird (184-185).  Dem setzt er in bewährter Manier die Einschätzungen und Gefühle der Zeitgenossen entgegen.
  3. Eine besondere Rolle spielt Lucrez, ein Anhänger das Epikur, der jede Form von Gottesverehrung für sinnlos hält. Engels bringt hier auf Seite 187 ein beeindruckendes Zitat, das einen an Goethes Gedicht „Prometheus“ erinnert.
  4. Wie wenig Widerstand möglich war zeigt Engels am Beispiel der religiösen Institutionen: Zwar sei die Zahl der Priester vergrößert worden, Ihre Qualifikation und politische Instrumentalisierung habe aber ebenfalls zugenommen.(188-192).  Dies habe wegen der engen Verklammerung von Religion und Republik auch letztere geschwächt (192).
  5. Ab Seite 192 wendet sich Engels den orientalischen Kulten zu, die die religiösen Bedürfnisse der Römer besser befriedigten. Alle Versuche des Widerstands bis hin zu Vertreibungsmaßnahmen hätten nicht gewirkt.
  6. Am Ende habe dann mit dem Christentum die Religion gewonnen, die am entschiedensten dem „Grundsatz einer freien Kombinierbarkeit verschiedenster Glaubensvorstellungen und Riten am unversöhnlichen gegenüberstand“. (194)
  7. Was das Gesamturteil zu diesem Komplex angeht, hebt der Verfasser hervor, „dass der Sieg rein universalistisch gefasster Identitätswerte langfristig keineswegs eine allgemeine humanistische Aufgeklärtheit der breiten Massen zur Folge hat,  sondern ungewollt vielmehr den Rückfall in einem halben primitiven, halb spätzeitlichen Aberglauben, dessen geistige Grundvoraussetzung jenen staatlichen Kräften vollständig entgegengesetzt ist, welche seine Verbreitung im Sinne religiöser Überparteilichkeit zu schützen sich berufen sehen. (195)

Anmerkungen zum Kapitel: Respekt gegenüber anderen Kulturen: Nation und Globalisierung

Teil 1: EU

196-210

  1. Das Kapitel beginnt mit der Feststellung, dass die „Solidarität zwischen dem Staat beziehungsweise der Gesellschaft und dem nationalen wie auch dem allgemeinen abendländischen Kulturgut heute nicht mehr als selbstverständlich gegeben zu sein scheint“ (196) stattdessen werde sie nur noch Als „Erbe“ gepflegt.  Vorrang habe aber auf jeden Fall das Interesse anderer Kulturen vor der eigenen. Nicht ohne Ironie charakterisiert Engels die damit verbundene Haltung als ängstlich bzw. defensiv.
  2. Im Anschluss daran wird zunächst geklärt, was unter einer europäischen Kultur überhaupt verstanden werden kann. Ganz im Sinne eines ursprünglichen Verständnisses von Definition („finis“ = Grenze) geht es dabei vor allem Abgrenzung zu anderen Kulturen.
  3. Diese wird aber nicht als statisch oder monolithisch verstanden, vielmehr als Ergebnis „“jahrhundertelangen Wachsens« (197) und der „Dynamik scheinbar unüberwindbarer Gegensätze und logischer Widersprüche zwischen verschiedensten Werten“ (198).  „Universalistische und kulturunspezifische Werte wie ‚Demokratie’, ‚Freiheit oder Rechtsstaatlichkeit’“ seien in diesem Zusammenhang nur „oberflächliche Bestandteile“, „da das echte Wesen europäischer Kultur in dem besonderen, unnachahmlichen Sinn begriffen liegt, mit dem sie diese und viele andere Begriffsfelder im Laufe der Jahrhunderte angefüllt hat und weiter anfüllen wird.“ (198)
  4. Engels vertritt hier eine Auffassung von Sprache und Realität, die der chinesischen sehr nahekommt, die weniger von festen Größen ausgeht als vielmehr von kontextabhängigen Phänomenen, was aber ihre Substanz und Gültigkeit in keiner Weise einschränkt.
  5. Ausdrücklich wendet sich Engels gegen die Tendenz, vor allem das hervorzuheben, was die europäische Kultur von anderen übernommen hat. Seiner Meinung nach gehört auch zur Identität das, was abgelehnt oder auf ganz eigene Art und Weise verarbeitet worden ist. (200). Man merkt hier deutlich, dass Engels den kulturvergleichenden Ansatz von Spengler aufnimmt, der ebenfalls sehr stark die These vertreten hat, dass zum Beispiel die „Renaissance“ keineswegs eine „Wiedergeburt“ der Antike gewesen sei, sondern dass es sich um eine Adaption in Richtung der Weiterentwicklung des Eigenen gehandelt habe.
  6. Was die Schwierigkeiten angeht, eine europäische Kultur zu beschreiben, verweist Engels auf die nationale Dimension ihrer Bestandteile. (202/3).  Die Missachtung dieser Ebene durch die europäischen Institutionen seien ein wesentlicher Grund dafür, „dass es Europa an jeglicher kulturellen Homogenität mangelt“ (204).
  7. Erstaunlich ist, dass Engels in diesem Zusammenhang das Argument zurückweist, dass allein schon das Fehlen einer gemeinsamen europäischen Sprache die Möglichkeiten einer europäischen Kultur und Identität einschränke. Sein Hinweis auf das englische als gemeinsame Verkehrssprache kann hier in keiner Weise überzeugen, da „Verkehr“ weit entfernt ist von „Kultur“. Dies zeigt sich sprachlich nämlich vor allem in der Etymologie, der Begriffsgeschichte, die beim oberflächlichen Lernen einer Sprache weitestgehend ausgeblendet wird.
  8. Ganz im Gegenteil zu seiner Verkehrssprachen-Großzügigkeit steht der Hinweis auf die schlechten Chancen für das Überleben einer Kultur, die sich selbst im Unterschied zu anderen nicht genügend ernst nimmt (207).
  9. Sehr interessant ist dabei der Hinweis auf den Widerspruch, dass die angebliche Offenheit der Gesellschaft, die, man erreichen oder verteidigen will, im krassen Gegensatz dazu steht, was man alles an  Rückfall in frühere Zeiten zulässt. Angesprochen werden dabei Elemente wie die Meinungsfreiheit oder auch die wirkliche Religionsfreiheit, die auch die Möglichkeit des Verlassens einer Religionsgemeinschaft einschließt. In diesen Bereichen bedeutet Immigration vor allem auch Desintegration.(208)
  10. Der Gegenwartsteil dieses Kapitels schließt mit dem Hinweis auf den Widerspruch, dass die Globalisierung auf der einen Seite den weltweiten Export der Erzeugnisse europäischer Kultur bedeutet, diese auf der anderen Seite aber im eigenen Gebiet durch den Verzicht auf den Erhalt einer Leitkultur infrage gestellt wird (210).

 

Anmerkungen zum Kapitel:

Respekt gegenüber anderen Kulturen: Nation und Globalisierung

Teil 1: EU

196-210

  1. Das Kapitel beginnt mit der Feststellung, dass die „Solidarität zwischen dem Staat beziehungsweise der Gesellschaft und dem nationalen wie auch dem allgemeinen abendländischen Kulturgut heute nicht mehr als selbstverständlich gegeben zu sein scheint“ (196) stattdessen werde sie nur noch Als „Erbe“ gepflegt.  Vorrang habe aber auf jeden Fall das Interesse anderer Kulturen vor der eigenen. Nicht ohne Ironie charakterisiert Engels die damit verbundene Haltung als ängstlich bzw. defensiv.
  2. Im Anschluss daran wird zunächst geklärt, was unter einer europäischen Kultur überhaupt verstanden werden kann. Ganz im Sinne eines ursprünglichen Verständnisses von Definition („finis“ = Grenze) geht es dabei vor allem Abgrenzung zu anderen Kulturen.
  3. Diese wird aber nicht als statisch oder monolithisch verstanden, vielmehr als Ergebnis „“jahrhundertelangen Wachsens« (197) und der „Dynamik scheinbar unüberwindbarer Gegensätze und logischer Widersprüche zwischen verschiedensten Werten“ (198).  „Universalistische und kulturunspezifische Werte wie ‚Demokratie’, ‚Freiheit oder Rechtsstaatlichkeit’“ seien in diesem Zusammenhang nur „oberflächliche Bestandteile“, „da das echte Wesen europäischer Kultur in dem besonderen, unnachahmlichen Sinn begriffen liegt, mit dem sie diese und viele andere Begriffsfelder im Laufe der Jahrhunderte angefüllt hat und weiter anfüllen wird.“ (198)
  4. Engels vertritt hier eine Auffassung von Sprache und Realität, die der chinesischen sehr nahekommt, die weniger von festen Größen ausgeht als vielmehr von kontextabhängigen Phänomenen, was aber ihre Substanz und Gültigkeit in keiner Weise einschränkt.
  5. Ausdrücklich wendet sich Engels gegen die Tendenz, vor allem das hervorzuheben, was die europäische Kultur von anderen übernommen hat. Seiner Meinung nach gehört auch zur Identität das, was abgelehnt oder auf ganz eigene Art und Weise verarbeitet worden ist. (200). Man merkt hier deutlich, dass Engels den kulturvergleichenden Ansatz von Spengler aufnimmt, der ebenfalls sehr stark die These vertreten hat, dass zum Beispiel die „Renaissance“ keineswegs eine „Wiedergeburt“ der Antike gewesen sei, sondern dass es sich um eine Adaption in Richtung der Weiterentwicklung des Eigenen gehandelt habe.
  6. Was die Schwierigkeiten angeht, eine europäische Kultur zu beschreiben, verweist Engels auf die nationale Dimension ihrer Bestandteile. (202/3).  Die Missachtung dieser Ebene durch die europäischen Institutionen seien ein wesentlicher Grund dafür, „dass es Europa an jeglicher kulturellen Homogenität mangelt“ (204).
  7. Erstaunlich ist, dass Engels in diesem Zusammenhang das Argument zurückweist, dass allein schon das Fehlen einer gemeinsamen europäischen Sprache die Möglichkeiten einer europäischen Kultur und Identität einschränke. Sein Hinweis auf das englische als gemeinsame Verkehrssprache kann hier in keiner Weise überzeugen, da „Verkehr“ weit entfernt ist von „Kultur“. Dies zeigt sich sprachlich nämlich vor allem in der Etymologie, der Begriffsgeschichte, die beim oberflächlichen Lernen einer Sprache weitestgehend ausgeblendet wird.
  8. Ganz im Gegenteil zu seiner Verkehrssprachen-Großzügigkeit steht der Hinweis auf die schlechten Chancen für das Überleben einer Kultur, die sich selbst im Unterschied zu anderen nicht genügend ernst nimmt (207).
  9. Sehr interessant ist dabei der Hinweis auf den Widerspruch, dass die angebliche Offenheit der Gesellschaft, die, man erreichen oder verteidigen will, im krassen Gegensatz dazu steht, was man alles an  Rückfall in frühere Zeiten zulässt. Angesprochen werden dabei Elemente wie die Meinungsfreiheit oder auch die wirkliche Religionsfreiheit, die auch die Möglichkeit des Verlassens einer Religionsgemeinschaft einschließt. In diesen Bereichen bedeutet Immigration vor allem auch Desintegration.(208)
  10. Der Gegenwartsteil dieses Kapitels schließt mit dem Hinweis auf den Widerspruch, dass die Globalisierung auf der einen Seite den weltweiten Export der Erzeugnisse europäischer Kultur bedeutet, diese auf der anderen Seite aber im eigenen Gebiet durch den Verzicht auf den Erhalt einer Leitkultur infrage gestellt wird (210).

Teil 2: Rom

211-226

  1. Am Anfang dieses Teils thematisiert der Verfasser den Widerspruch zwischen der Befürwortung der Ausbreitung einer einheitlichen griechisch-hellenistischen Kultur und der Sorge um deren Verflachung, was dann die Rückbesinnung auf die frühere hellenistische Kultur mit sich brachte.
  2. Als Beispiel für die Brüchigkeit der hellenistischen Kultur bringt er die Weltstadt Alexandria, in der sich – wie er schon früher ausgeführt hat – keinesfalls nur ein multikulturelles Miteinander ergab, sondern durchaus ethnische Konflikte häuften.
  3. Auch in Rom, das ebenfalls zu einer Weltstaat heranwuchs, führte das Völkergemisch zu Unsicherheiten im Bereich die Identität der Einwohner (212/213).
  4. Verdeutlicht wird das ab Seite 215 am Beispiel des Wettstreits zwischen dem traditionellen Lateinischen und der neuen Weltsprache Griechisch.
  5. Die Reaktionen darauf reichten von Befürwortung des Griechischen über seine Ablehnung bis hin zum Versuch, das alte Kulturgut im Sinne des Hellenismus umzudeuten. Als Beispiel dafür wird Cicero aufgeführt.(217)
  6. Ein interessanter Aspekt der Veränderung ist auch der Versuch, Im Rahmen der Einbeziehung der Bundesgenossen neben der römischen eine italienische Identität aufzubauen (218/219). Man wird an dieser Stelle erinnert an den heutigen Versuch, über die verschiedenen nationalen Identitäten in der EU hinaus eine europäische aufzubauen.
  7. Am Ende galt aber wohl das, was der Dichter Horaz in einem Schreiben an Augustus so formuliert hat: „Das eroberte Griechenland hat den wilden Sieger erobert und die Künste und Wissenschaft in das bäuerliche Latium gebracht.“ (221)
  8. Für das Verständnis der heutigen Zeit interessant ist auch der Hinweis auf die Entstehung von Ghettos sowie einer sehr oberflächlichen Mischkultur, in der nur noch der größte Reiz ausreichende Aufmerksamkeit erzielen konnte. (222)
  9. Engels stellt schließlich fest, dass die  Römer zu Bürgern geworden waren, die sich „in ihrer eigenen Stadt zunehmend als Fremde“ fühlten (223).  Stärker erhalten blieb der Einfluss der lateinischen Kultur in den Kolonialstädten, was dort aber zu einem Rückgang der Bedeutung der indigenen Kulturen und Sprachen führte.
  10. Sehr interessant ist ein Zitat, in dem eine „geradezu unglaubliche Vereinfachung des grammatischen Gefüges“ der lateinischen Sprache festgestellt wird. Das Urteil wird dann ausgeweitet auf die lateinische Sprache insgesamt. Nicht von ungefähr sprechen wir heute von Vulgärlatein. (224)
  11. In der abschließenden Zusammenfassung betont Engels noch einmal die Vergleichbarkeit der Überfremdung des Römisch-Lateinischen durch eine verflachte hellenistische Kultur mit der heutigen „Übermacht der angelsächsischen Mischkultur“ (225).
  12. Wenn Engels dann am Schluss aber feststellt, dass Rom sich zwar der Anpassung an den Hellenismus nicht habe entziehen können, wohl aber in der Lage gewesen war, das Griechisch-Römische für viele Jahrhunderte gegen äußere Bedrohung zu schützen, fragt man sich als aufmerksamer Leser, ob das wohl auch für das heutige EU-Europa gilt.

Anmerkungen zum Kapitel:

Freiheit des Einzelnen: Sicherheit und Aufruf zur Ordnung

Teil 1: EU

227-236

  1. Ausführlich geht Engels am Anfang dieses Teils ein auf die Aufgabe eines jeden staatlichen Gebildes, den Bürgern Sicherheit zu gewährleisten, und das weitgehende Versagen der EU in diesem Bereich.  Besonders erschreckend seine Liste der Aufstände in Frankreich 2005 und in Großbritannien 2011(228/229).  Die Liste ist ja seit dem Erscheinen des Buches noch länger geworden – man denke nur an den Kontrollverlust auf der sogenannten Balkanroute der ungeordneten Migration im Jahre 2015 und die Folgen für die Kriminalitätsentwicklung mit völlig neuen Phänomen von Übergriffen etwa in der Silvesternacht in Köln. Dazu kommt das Phänomen des islamistischen Terrors, auf das Engels in diesem Zusammenhang noch gar nicht eingeht und das immerhin dazu geführt hat, dass ein EU-Mitgliedsland wie Frankreich über einen längeren Zeitraum sich im Zustand des nationalen Notstands befindet.
    https://netzpolitik.org/2017/frankreich-ausnahmezustand-ohne-ende/
  2. Ab Seite 232 beschäftigt sich Engels dann mit den Ursachen des staatlichen Kontrollverlustes im Rahmen eines gesellschaftlichen Paradigmenwechsels (233).  Zusätzlich verweist er auf das Problem der Überalterung der europäischen Gesellschaft und das damit verbundene größer gewordene „allgemeine Gefühl der Schwäche und Machtlosigkeit“ (233). Eine besondere Verantwortung sieht er bei den Massenmedien und die mit ihnen verbundenen „Wechselwirkungen zwischen der Wirklichkeit, ihrer Mediatisierung und der Wahrnehmung des Verbrechens“  und das „Gefühl der Unentrinnbarkeit einer Entwicklung“, „welche wohl unausweichlich im gesellschaftlichen Bürgerkrieg und Überwachungsstaat enden muss.“ (233)
  3. Auf S. 235 werden Perspektiven aufgezeigt, die auf private Bürgerschutzvereinigungen und ggf. sogar paramilitärische Gruppen zurückgreifen, ergänzt durch eine Radikalisierung politischer Schlagworter.
  4. Auf den Seiten 235/236 wird dann abschließend ein großer Bogen geschlagen von den Forderungen der großen europäischen Revolutionen vom 18. bis zum 20. Jhdt., die sich vor allem gegen einen willkürlich und repressiv agierenden Staat richteten.  Aktuell sieht Engels dagegen eine große Bereitschaft, einen solchen Staat wieder zuzulassen, um zumindest ein Mindestmaß an Sicherheit garantiert zu bekommen.

Teil 2: Rom

237-247

  1. Hier sieht Engels ähnliche Tendenzen, die in hellenistischer Zeit mit der Verbreitung der Lehre vom „alles verstehen bedeutet alles vergeben“ (237) verbunden waren. Interessant auf S. 238 ein ausführlicher Auszug aus einer Anleitung für römische Strafverteidiger, die möglichst Mitgefühl mit dem Angeklagten und damit ein milderes Urteil erreichen sollten.
  2. Ab S. 239 geht Engels dann auf die Entwicklung zu mehr Partizipation in Rom ein (auch Plebejer), woraus schließlich die Parteien der Popularen und der Optimaten geworden sind, die sich mit allen Mitteln bekämpften, was die Staatsordnung zunehmend brüchiger erscheinen ließ. Der Kampf um die Macht habe sich dabei zunehmend auf die Straße und in die Hände junger Demagogen verlagert. Das führte letztlich zu einer „Kombination politischer Verfolgung und breiter Wahlgeschenke“ (241).
  3. Als Höhepunkt der Auseinandersetzungen wird das Volkstribunat des P. Clodius Pulcher im Jahre 58 beschrieben (vgl. 241ff). Am Ende stand dann die Einsetzung des Pompeius als „Consul ohne Amtskollegen“ (243) – die Ordnung konnte wiederhergestellt werden, allerdings „zum Preis einer bislang seit Sulla nicht mehr dagewesenen Machtkonzentration in den Händen eines Einzelnen, welche bereits das Principat des Augustus ankündigte“ (245).
  4. Am Ende wird noch einmal zusammengefasst, wie eine lange Negativentwicklung schließlich in die Bereitschaft mündete, „unter Verzicht auf persönliche Freiheiten wenigens Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.“ (247)

Anmerkungen zum Kapitel:
Demokratie: Politische Mitbestimmung und apolitische Haltung

Teil 1: EU

248-260

  • Engels steigt ein mit dem Widerspruch zwischen dem Anspruch der Europäischen Union und der Realität.Dann geht er auf die Ursachen der aktuellen Demokratiekrise ein, übersieht dabei allerdings den paternalistischen Anspruch der EU-Vertreter und ihrer einseitigen Befürworter. Auf S. 251 wird noch deutlicher, dass Engels an einem Kernproblem vorbeigeht, wenn er etwa das Englische als gemeinsame Verkehrssprache für eine ausreichende Grundlage eines echten Gemeinschaftsgefühls der Europäer hält.
  • Ebenso wenig überzeugt, wenn Individualismus und Materialismus als zentrale Ursachen für politisches Desinteresse aufgeführt werden. Wer jemans in seinem Leben eine europäische Verordnung gesehen und deren Auswirkung auf das tägliche Leben der Bürger in Europa erlebt hat, wird sicher noch andere Ursachen sehen. Man denke etwa an neue Datenschutzverordnung des Jahres 2018.
  • Recht hat Engels allerdings, wenn er dann auf S. 251/2 plötzlich den Gegensatz zwischen dem Elitenansatz und den wirklichen Meinungen und Interessen der Bevölkerung in den Nationalstaaten feststellt. Auf S. 252 geht Engels sogar soweit, von einem Zeitalter der Postdemokratie zu sprechen.Verstärkt wird die Entwicklung laut Engels durch die Abwendung der Eliten vom Volk in Richtung politische Technokratie.
  • Zentrales Beispiel dafür ist ab S. 254 die Tendenz zum Ignorieren von Volksentscheiden, etwa beim Thema europäische Verfassung (2005). Hier sieht Engels sogar durchsichtige Verfassungstricks. Dabei kann er sogar auf ein Eingeständnis von Giscard d’Estaing verweisen, der immerhin zu den Vätern des Entwurfs gehörte.
  • Konkret geht der Verfasser auf Frankreichs und die Niederlande ein, wo nach der Ablehnung des Verfassungsentwurfs die entsprechenden Bestimmungen einfach auf dem Wege der normalen Gesetzgebung in Kraft gesetzt wurden. Im Falle von Irland wird auf die einfache Wiederholung der Volksabstimmung verwiesen, nachdem zuvor zum Mittel der “öffentlichen Diffamierung” gegriffen wurde (256).
  • Interessant ist dann allerdings die abschließende Bewertung: Hier wird vom Verfasser einfach behauptet, das mit solchen Manipulationen erreichte Ergebnisse sei besser als “ein möglicher Zerfall der europäischen Einigungsbestrebungen” – eine etwas seltsame Vorstellung von Demokratie, die ja gerade von der Infragestellung des Bestehenden lebt. Dies hindert Engels dann aber nicht daran, wiederum den zunehmend undemokratischen Charakter vieler Entscheidungsprozesse in der EU deutlich zu kritisieren (257/8).
  • Was das zurückgehende Vertrauen in die demokratischen Institutionen angeht, sieht Engels aber das Problem eher bei den Nationalstaaaten.
  • Der Schluss des Kapitels (259/260) gehört dann einer Einschätzung der Gefährdung der Demokratrie in Europa, die mit einer Beschreibung des zunehmenden Rechtstrends bei Wahlen in vielen Ländern beginnt, dann aber zugestehen muss, dass die Versicherung ihrer Vertreter in Regierungen, “die einzigen ‘echten’ Vertreter des Volkes zu sein, angesichts der arroganten Selbstabschottung der traditionellen politischen Eliten zunehmend an Glaubwürdigkeit zu gewinnen droht.” (260)

Was die Fertigstellung dieser Rezension angeht, so bitten wir um etwas Geduld. Aber wir bleiben dran. Ansonsten hoffen wir, dass unsere Anmerkungen schon genügend Lust auf die eigene Lektüre gemacht haben 🙂

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