Überblick über die Entwicklung des Konflikts im dritten und vierten Akt
Das Video zum 3. Akt
Hierzu gibt es auch ein Video, das auf Youtube hier zu finden ist.
Mat2234 vidfertig Emilia Galotti, Akt 3u4 Inhalt, Zitate, Interpretation.
Unsere Vorarbeiten zum Thema
- Der dritte Akt hat in den fünf Teilen des klassischen Dramas die Funktion der Peripetie. Gemeint ist damit eine Wende im Glück.
- Schauen wir uns also jetzt mal rückblickend an, was in den ersten beiden Akten von Lessings Drama passiert ist und was hier Glück sein könnte.
- Natürlich hat zunächst einmal Emilia Glück, weil sie offensichtlich jemanden gefunden hat, mit dem sie sich gut versteht und den sie heiraten kann. Auch ihr Vater ist vom Grafen Appiani stark angetan, nur die Mutter würde sich über eine nähere Verbindung zum Prinzen, also den Fürsten, freuen.
- Damit ist man bei einer zweiten Figur, die im Glück zu sein scheint. Denn der Prinz ist ja anscheinend ganz hingerissen von Emilia und hat auch noch einen Berater an seiner Seite, der ihm bei der Erfüllung seiner Wünsche behilflich sein will und entsprechende Pläne entwickelt.
- Allerdings gibt es hier auch Wiederstände,
- zum einen die geringe Chance Emilias, beim Prinzen eine dauerhafte Liebe zu finden.
- Dass es ihm eher um stürmische Eroberung geht, zeigt sich ja in der Begegnung in der Kirche.
- Dazu kommt Emilias grundsätzliche moralische Haltung, die sich ja in ihrer Reaktion auf die Kirchenbegegnung zeigt.
- Dazu kommt, dass der Plan Marinellis gefährliche Schwachstellen hat, die sogar ein Todesopfer mit sich bringen.
- Marinelli
- ist sich sicher:
„Wenn wir die Braut in unserer Gewalt hätten: so stünd‘ ich dafür, dass aus der Hochzeit [mit Appiani] nichts werden sollte.“ (41)
Dazu gehört aber auch: Emilia soll entführt werden, „ohne dass es einer gewaltsamen Entführung ähnlich gesehen“ (42) hätte. - Den Tod Appianis akzeptiert er leichtfertig und verschweigt ihn erst mal dem Prinzen: Er will dem Prinzen klarmachen, „wie zuträglich ihm dieser Tod ist.“ (S. 45)
Dementsprechend gibt er dem Prinzen den Rat, „die Kunst zu gefallen, zu überreden“ einzusetzen, „die einem Prinzen, welcher liebt, nie fehlen“ (45) könne.
- ist sich sicher:
- In III,5 sieht man dann, wie der Prinz das gegenüber Emilia versucht umzusetzen:
„Und nun kommen Sie, mein Fräulein, – kommen Sie, wo Entzückungen auf Sie warten, die Sie mehr billigen. - Verräterisch ist aber die Regiebemerkung: „Er führt sie, nicht ohne Sträuben, ab.“ (49)
- In III,6 kommt zur Widerstandsgruppe die Mutter hinzu: Marinelli ahnt: „Sie ist der Tochter auf der Spur, und wo nur nicht – unserem ganzen Anschlage!“ (50)
Er macht sich aber noch Hoffnungen:
„Wenn ich die Mütter recht kenne: – so etwas von einer Schwiegermutter eines Prinzen zu sein, schmeichelt die meisten.“ - Das geht aber völlig schief, weil die Mutter begreift, warum der sterbende Graf im Rahmen des Überfalls den Namen Marinellis erwähnt hat. Immerhin standen sie beide ja schon kurz vor einem Duell. Schließlich ist die Mutter so empört, dass sie Marinelli ganz laut und deutlich als Mörder, ja als „Abschaum aller Mörder“ bezeichnet.
- Dass sie daraufhin Emilias Stimme als Reaktion auf die Lautstärke der Mutter hört, verschärft die Situation für die Marinelli-Seite zusätzlich.
- Fazit: Es sieht nicht gut aus für den Prinzen, Emilia sträubt sich, die Mutter durchschaut den Anschlag und Odoardo ist noch gar nicht auf dem Kampfplatz. Von daher kann man wohl von einem mehrfachen Glückswechsel sprechen:
- Zum einen natürlich der Anschlag mit dem Ende aller Hoffnungen auf eine glückliche, vor allem weit von Hof-Intrigen entferne Ehe mit Graf Appiani.
- Zum anderen natürlich, was die Absichten des Prinzen uns seines Helfershelfers angeht. Das ist natürlich ein Glück, dass der mitfühlende Leser kaum teilt.
Der 4. Akt: Verzögerung (Retardation) des tragischen Ausgangs
Auch hierzu gibt es inzwischen ein Video:
Die Dokumentation kann hier angeschaut bzw. heruntergeladen werden:
Emilia Galotti – Akt 4
- Der vierte Akt hat im Schema des klassischen Dramas die Aufgabe der „Retardation“, der Verzögerung.
- Zunächst im Verhältnis zwischen Prinz und Marinelli:
In IV,1 deutet sich schon an, dass der Prinz sich an Marinelli schadlos halten will, der kann aber mit dem Kirchen-Eklat gut kontern. Am Ende ist der Prinz selbstkritisch. - Dann taucht ein weiterer Spieler auf, nämlich (in In IV,2) nämlich die die Gräfin Orina. Damit kommt ein neuer Konflikt ins Spiel.
- Statt sich von Marinelli abwimmeln zu lassen, zeigt die Gräfin gefährliche Kampfbereitschaft.
- Der Prinz verschärft das noch, indem er seine ehemalige Geliebte demonstrativ nicht beachtet, was bei der verständlicherweise zusätzlich Rachelust hervorruft.
- Das führt dann zum Bündnis mit Odoardo, was die Kräfteverhältnisse weiter verschiebt – wie bei einer Schlacht, wo eine Seite noch Reserven ins Spiel bringen kann.
- In IV,8 scheint sich dann aber für die Emilia-Mannschaft ein Rückschlag zu ergeben, denn Odoardo schickt die Mutter nach Hause.
Aber sie war ja sowieso das schwächste Glied in der prinzenfeindlichen Kette. Odoardo will auch wahrscheinlich nicht an einer Lösung des Konflikts in seinem Sinne behindert werden. Der Dolch, den er von der Gräfin bekommt, deutet ja schon an, dass das Ganze gewaltsam ausgehen kann. - Insgesamt also ein gewisses Hin und Her, bei dem sich allerdings die Emilia-Seite insgesamt verstärkt wird und sich möglicherweise auch radikalisiert. Wichtig in dem Zusammenhang ist der Hinweis der abreisenden Mutter, dass Emilia in Konfliktsituationen an innerer Stärke gewinnt.
Zu dem Hinweis auf Kleists Drama „Penthesilea“
Nachlesen kann man den Umgang der Königin mit ihrem eigentlich geliebten Achill hier:
http://www.zeno.org/Literatur/M/Kleist,+Heinrich+von/Dramen/Penthesilea/22.+Auftritt
Bericht der Meroe über das Vorgehen der Penthesilea
„MEROE.
Ihr wisst,
Sie zog dem Jüngling, den sie liebt, entgegen,
Sie, die fortan kein Name nennt –
In der Verwirrung ihrer jungen Sinne,
Den Wunsch, den glühenden, ihn zu besitzen,
Mit allen Schrecknissen der Waffen rüstend.
Von Hunden rings umheult und Elefanten,
Kam sie daher, den Bogen in der Hand:
[…]
Bericht der Meroe über die Absichten des Achill
Achilleus, der, wie man im Heer versichert,
Sie bloß ins Feld gerufen, um freiwillig
Im Kampf, der junge Tor, ihr zu erliegen:
Denn er auch, o wie mächtig sind die Götter!
Er liebte sie, gerührt von ihrer Jugend,
Zu Dianas Tempel folgen wollt er ihr:
Er naht sich ihr, voll süßer Ahndungen,
Und lässt die Freunde hinter sich zurück.
Achill merkt, dass es hier nicht so läuft, wie er es sich gedacht hat
Doch jetzt, da sie mit solchen Greulnissen
Auf ihn herangrollt, ihn, der nur zum Schein
Mit einem Spieß sich arglos ausgerüstet:
Stutzt er, und dreht den schlanken Hals, und horcht,
Und eilt entsetzt, und stutzt, und eilet wieder:
Gleich einem jungen Reh, das im Geklüft
Fern das Gebrüll des grimmen Leun vernimmt.
Er ruft: Odysseus! mit beklemmter Stimme,
Und sieht sich schüchtern um, und ruft: Tydide!
Und will zurück noch zu den Freunden fliehn;
Und steht, von einer Schar schon abgeschnitten,
Und hebt die Händ empor, und duckt und birgt
In eine Fichte sich, der Unglücksel’ge,
Die schwer mit dunkeln Zweigen niederhangt. –
Ankunft der Amazonenkönigin und ihr Angriff
Inzwischen schritt die Königin heran,
Die Doggen hinter ihr, Gebirg und Wald
Hochher, gleich einem Jäger, überschauend;
Und da er eben, die Gezweige öffnend,
Zu ihren Füßen niedersinken will:
Ha! sein Geweih verrät den Hirsch, ruft sie,
Und spannt mit Kraft der Rasenden, sogleich
Den Bogen an, daß sich die Enden küssen,
Und hebt den Bogen auf und zielt und schießt,
Und jagt den Pfeil ihm durch den Hals; er stürzt:
Ein Siegsgeschrei schallt roh im Volk empor.
Jetzt gleichwohl lebt der Ärmste noch der Menschen,
Den Pfeil, den weit vorragenden, im Nacken,
Hebt er sich röchelnd auf, und überschlägt sich,
Und hebt sich wiederum und will entfliehn;
Penthesilea hetzt die Hunde auf Achill
Doch, hetz! schon ruft sie: Tigris! hetz, Leäne!.
Hetz, Sphinx! Melampus! Dirke! Hetz, Hyrkaon!
Und stürzt – stürzt mit der ganzen Meut, o Diana!
Sich über ihn, und reißt – reißt ihn beim Helmbusch,
Gleich einer Hündin, Hunden beigesellt,
Der greift die Brust ihm, dieser greift den Nacken,
Dass von dem Fall der Boden bebt, ihn nieder!
Achills verzweifelte Frage
Er, in dem Purpur seines Bluts sich wälzend,
Rührt ihre sanfte Wange an, und ruft:
Penthesilea! meine Braut! was tust du?
Ist dies das Rosenfest, das du versprachst?
Penthesilea vergreift sich auch selbst an Achill
Doch sie – die Löwin hätte ihn gehört,
Die hungrige, die wild nach Raub umher,
Auf öden Schneegefilden heulend treibt;
Sie schlägt, die Rüstung ihm vom Leibe reißend,
Den Zahn schlägt sie in seine weiße Brust,
Sie und die Hunde, die wetteifernden,
Oxus und Sphinx den Zahn in seine rechte,
In seine linke sie; als ich erschien,
Troff Blut von Mund und Händen ihr herab.“