Ernst Toller, Spaziergang der Sträflinge (mp3-Erklärung) (Mat4553)

Im Folgenden versuchen wir mit einer Audio-mp3-Datei zu helfen, das Gedicht „Spaziergang der Sträflinge“ von Ernst Toller zu verstehen.

Zu finden ist es als Text z.B. hier:

Vorstellung des Inhalts

Ernst Toller

 

Spaziergang der Sträflinge

  • Schon die Überschrift deutet einen Widerspruch an, denn mit Spaziergang verbindet man normalerweise einen Vorgang, der eher angenehm ist. Hier handelt es sich um Sträflinge, die auch während der einen Stunde, die sie am Tag möglicherweise Freigang haben in einem Gefängnis-Innenhof, das nicht in gleicher Weise als schön empfinden.

Anmerkungen zu Strophe 1

Sie schleppen ihre Zellen mit in stumpfen Blicken
Und stolpern, lichtentwöhnte Pilger, im Quadrat,
Proleten, die im Steinverließ ersticken,
Proleten, die ein Paragraph zertrat.

  • Die erste Strophe beschreibt dann auch diesen Spaziergang als etwas, was mit stumpfen Augen verbunden ist und eher ein Sich-dahin-Schleppen bedeutet. Am Quadrat wird auch deutlich, dass es sich hier um einen abgezirkelten Raum handelt, die man nicht verlassen kann. Dazu kommt der Hinweis darauf, dass diese Sträflinge das Tageslicht gar nicht mehr gewöhnt sind.
  • Die dritte Zeile bezeichnet die Sträflinge dann als „Proleten“, eine abwertende Bezeichnung für einfache, meist arme Menschen – man denke an das verwandte Wort „Proletarier“.
  • Außerdem wird das Gefängnis als „Verlies“ aus Steinen bezeichnet – und es wird deutlich gemacht, wie es ihnen den Atem und damit die Lebenskraft nimmt.
  • Die letzte Zeile wiederholt noch mal die Bezeichnung und verstärkt sie damit. Außerdem wird darauf verwiesen, dass ein einziger Gesetzesparagraph reichte, um ihnen letztlich das Leben zu nehmen – das reale oder auch ein zumindest menschenwürdiges.

Anmerkungen zu Strophe 2

Im Eck die Wärter trag und tückisch lauern.
Von Sträuchern, halb verkümmert, rinnt ein trübes Licht
Und kriecht empor am Panzer starrer Mauern,
Betastet schlaffe Körper und zerbricht.

  • Die zweite Strophe wendet sich dann zunächst dem Wachpersonal zu, das auf der einen Seite träge ist, weil es nur eine einzige Tätigkeit hat, nämlich auf den Augenblick zu lauern, in dem irgendetwas Regelwidriges passiert.
  • Die nächste Zeile wendet sich dann der trüben Umgebung zu, die nur ein „trübes Licht“ bereithält.. An der Darstellung merkt man, dass das fast das einzige von der Natur ist, was die Sträflinge sehen und beobachten können. Deutlich wird am Ende noch einmal betont, was das alles mit den Menschen macht.

Anmerkungen zu Strophe 3

Vorm Tore starb der Stadt Gewimmel.
»Am Unrathaufen wird im Frühling Grünes sprießen . . .«
Denkt Einer, endet mühsam die gewohnte Runde,

  • Die dritte Strophe macht dann deutlich, dass das Leben draußen für diese Sträflinge gestorben ist, obwohl es doch – und das muss der Leser hinzufügen – natürlich weiterläuft, nur eben nicht für diese Gefängniswelt.
  • Anschließend wird ein Sträfling präsentiert, der sich zumindest etwas Hoffnung erhalten hat. Die richtet sich auf den Frühling, wo sich zumindest etwas Grün zeigt als Erinnerung an die Welt draußen.
  • Die letzte Zeile, macht dann deutlich, dass dieser Spaziergang wenig mit normaler Erholung zu tun hat, weil er einfach zu wenig Abwechslung bring

Anmerkungen zu Strophe 4

Verweilt und blinzelt matt zum Himmel:
Er öffnet sich wie bläulich rote Wunde,
Die brennt und brennt und will sich nimmer schließen.

  • Der letzte Blick dieses Sträflings wendet sich noch einmal dem Himmel zu, den er jetzt wahrscheinlich wieder für einen ganzen langen Tag nicht sehen wird.
  • Das bisschen Rot, was dort zu sehen ist, kommt ihm eher wie eine Wunde vor und erinnert ihn wieder daran, dass dieser Wechsel von viel enger Einsamkeit und ein bisschen freier Bewegung euch sich noch lange Zeit wiederholen wird.

Zusammenfassung der Aussage(n)

Das Gedicht zeigt

  1. die lebensfeindliche Welt, in der Sträflinge in einem Gefängnis leben müssen,
  2. die Distanz zur lebendigen Welt draußen und in der Natur,
  3. die Folgen eines so verengten Lebens, die Verkümmerung bis hin zum Absterben,
  4. das Problem, das nach Auffassung des lyrischen Ichs ein Missverhältnis herrscht zwischen dem Verstoß gegen einen Paragraphen und den Folgen.
    Anmerkung:

    1. Das ist natürlich sehr pauschal – hier kann gut diskutiert werden, wie sich zum Beispiel ein Mensch draußen fühlt, der durch einen betrunkenen Autofahrer einen Freund oder ein Familienmitglied verloren hat. Aber auch hier kann man natürlich Alternativen zu dieser Art von Gefängnisaufenthalt diskutieren.
    2. Außerdem kann man gut recherchieren, wie eigentlich das Leben in einem Gefängnis zumindest in unserem Lande aussieht.

Inwiefern „macht die Sonett-Form“ Sinn? 😉

  • Die beiden Quartette beschreiben eher den trostlosen Alltag der Gefangenen.
  • Die Terzette zeigen dann ein Element der Hoffnung, das aber gleich wieder zurückgenommen wird.
    • «Am Unratshaufen wird im Frühling Grünes spriessen ..»,
      denkt einer endet mühsam die gewohnte Runde.

      • Hoffnung ist da, entsteht aber nur mühsam.
        Dann das genauere Hinsehen und damit verbunden die Verzweiflung.
    • Verweilt und blinzelt matt zum Himmel.
      Er öffnet sich wie bläulichrote Wunde,
      die brennt und brennt und will sich nimmer schliessen.

Vergleich mit einer zweiten Variante

Von diesem Gedicht gibt es eine 2. Variante, die hier zu finden ist.

Uns interessiert dabei nicht, welche Fassung die richtig ist, sondern nur die Frage, welche Veränderungen in der Aussage es dabei gibt.

Weitere Infos, Tipps und Materialien

https://textaussage.de/weitere-infos