„Die rohen Kraftbrühen der Natur“ (Schiller, „Kabale“, 1-1): schwierige Stellen gut verstehen (Mat5959)

Worum es hier geht:

  • Schiller hat vor über 200 Jahren gelebt …
  • und er hat Spaß dran gehabt, die Möglichkeiten der Sprache so richtig auszureizen.
  • Das macht die Lektüre zum Beispiel von „Kabale und Liebe“ erst mal schwierig.
  • Wir zeigen an einem Beispiel, wie man damit klarkommt.

Kurz-Info zu unseren Ergebnissen:

  • Wir wollten nur kurz zeigen, wie man so einen Text versteht.
  • Erstens auf den Kontext, den Zusammenhang achten.
  • Dann die Worterklärungen aus der Lektüre-Ausgabe achten.
  • Ggf. ein Wörterbuch heranziehen (haben wir hier ausgelassen, sollte man aber wie auch sonst probieren.)
  • Dann haben wir die Chat-Suchmaschine Bing gefragt – mit recht guten Hinweisen
  • Und schließlich noch ChatGPT – mit einer ca. 90%-Erklärung, bei der an einigen Stellen aber das Kontext-Verständnis fehlt. Dafür braucht es wohl MIA = menschliche Intelligenz.

MIA: Übersetzung in modernes Deutsch:

Für alle die, denen diese Hinweise schon reichen und die nur noch unsere Übersetzung sehen wollen, ziehen wir das hier mal vor.

Weiter unten dann die verschiedenen „Recherche-Ansätze“

  1. FRAU.
    Denk doch nur an die schönen und auch teuren Bücher, die dieser Adlige ins Haus bringt. Deine Tochter betet sie richtig an.
  2. MILLER pfeift.
    Na toll, du mit deinen superklugen Ideen.

    Die einfache Wirklichkeit, mit der wir kämpfen, ist diesem Adligen aus der hohen Gesellschaft natürlich zu hart und zu fremd.
    Darum muss die Natur, also die harte Wirklichkeit, ein bisschen schöner dargestellt werden, als sie ist. Dafür hat man ja diese neuen Romanschreiber, die sich jedene Tag was Neues ausdenken.
    Unsere Tochter saugt sich da irgendwelche Träumereien raus, hat vielleicht sogar Lust auf Sex – außer der Ehe – unmöglich. Und der christliche Glaube, den ich ihr mühsam vermittelt habe, ist weg.
    Ab ins Feuer mit diesen Büchern.
    Am Ende glaubt das Mädchen noch dran und schämt sich, dass sein Vater ein einfacher Geiger ist.
    Und das Schlimmste: Ein guter Schwiegersohn, den sie in Aussicht hat, wird vor den Kopf gestoßen. Dabei hätte der so gut zu uns gepasst.

Wie geht man am besten vor?

Wir nehmen hier mal eine Textstelle aus der 1. Szene des I. Aktes – es geht also bei Schiller gleich richtig los.

Zu finden ist diese Textstelle zum Beispiel hier:
http://www.zeno.org/nid/20005605679

  • Wir präsentieren den Originaltext in kursiver Schrift.
  • Dazwischen unsere Erklärungen – eingerückt.
  • Wer die ganzen Erklärungen nicht lesen möchte, findet weiter unten eine Übersetzung in modernes Deutsch.
    Ebenfalls in roter Schrift, fett markiert und damit leicht zu finden.
  • Im Folgenden greifen wir zunächst auf Lektüre-Fußnoten zurück, nutzen dann aber auch eine KI-Suchmaschine wie Bing.
    Diese Suchmaschinen sollte man im Auge behalten.

FRAU. Sieh doch nur erst die prächtigen Bücher an, die der Herr Major ins Haus geschafft haben. Deine Tochter betet auch immer draus.

  • Wichtig ist immer der Kontext, also der Zusammenhang, in dem so eine Stelle auftaucht:
  • Vater Miller macht sich Sorgen, dass seine bürgerliche Tochter Luise keine Chance auf eine dauerhafte Beziehung zu Ferdinand als einem adligen Major hat, dafür aber ihre Ehre und ihre Zukunft ruiniert.
  • Die Mutter macht sich Hoffnungen und verweist auf schöne Bücher, die so ins Haus kommen.
  • Dazu muss man wissen, dass Bücher um 1800 noch immer etwas Teures waren. Die meisten Leute hatten nur die Bibel im Haus.

MILLER pfeift. Hui da! Betet! Du hast den Witz davon. Die rohe Kraftbrühen der Natur sind Ihro Gnaden zartem Makronenmagen noch zu hart. – Er muß sie erst in der höllischen Pestilenzküche der Bellatristen künstlich aufkochen lassen.

  • „Alfanzereien“ sind für Reclam „Phantastereien“. Gemeint ist damit, dass den Mädchen Fantasiegebilde in den Kopf gesetzt werden, die sie von der Wirklichkeit entfernen.
  • Bing: „Was sind Alfanzereien?“
    Alfanzerei ist ein Substantiv, das Possenreißerei oder leichten Betrug123bezeichnet. Es ist abgeleitet von mittelhochdeutsch alfanzen, das „Possen reißen“ bedeutet, und verwandt mit Firlefanz4. Es kann auch Unsinn, Torheit oder Albernheit ausdrücken2
  • „spanische Mucken“: Reclam: „spanische Fliegen, ein sexuelles Reizmittel“
    Hier merkt man, wie sehr Miller fürchtet, dass sich seine Tochter sexuell aus seiner Sicht reinlegen lässt und dann mit einem Kind dasteht.
  • Bing: „Was sind spanische Mucken?“
    „kommt aus den Tropen beziehungsweise Subtropen wird nur 3 bis 4 mm groß dunkler Körper mit weißen Streifen vor allem in Südspanien, Griechenland und der Türkei verbreitet liebt warmes Klima überträgt Gelbfieber, Dengue-Fieber, Chikungunya-Fieber, und das Zika-Virus“
    Kommentar:
    Hier merkt man, dass die Reclam-Leute eine einfache Chat-Suchmaschine übertreffen. Sie berücksichtigen den Zusammenhang.
    Fragen wir noch mal
    Bing: „Was haben spanische Mucken mit Sexualität zu tun?“
    Darauf gehen wir hier nicht näher ein, weil Bing gleich mehr bringt, als für die Schullektüre gut tun 😉
  • Zurück zu der Textstelle:
    Demgegenüber steht die christliche Erziehung der damaligen Zeit, die ja Sex vor oder außerhalb der Ehe verbot.
  • Miller selbst sieht seine Aufgabe darin, seine Tochter zu erziehen und gewissermaßen moralisch „sauber“ in eine Ehe zu entlassen.

Ins Feuer sag ich. Das Mädel setzt sich alles Teufelsgezeug in den Kopf; über all dem Herumschwänzen in der Schlaraffenwelt findets zuletzt seine Heimat nicht mehr, vergißt, schämt sich, daß sein Vater Miller der Geiger ist, und verschlägt mir am End einen wackern ehrbaren Schwiegersohn, der sich so warm in meine Kundschaft hinein, gesetzt hätte“

  • Miller möchte diese Roman ins Feuer werfen, also unschädlich machen.
  • Es ist für ihn „Teufelszeug“
  • das nur zu einem „Herumschwänzen“ = sinnlosem Herumlaufen bei Vernachlässigung der eigentlichen Pflichten (jeder Schüli weiß, was „Schwänzen“ bedeutet 😉
  • „Schlaraffenwelt“: Inbegriff für eine Welt, in der einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, man also nichts tun muss.
    Bing:
    „Was versteht man unter Schlaraffenwelt?“
    Antwort:
    „Symbol für globales Web
    GEO
    https://www.geo.de/geolino/redewendungen/19808-rtkl-redewendung-wie-im…
    Das Schlaraffenland: Ursprung der Redensart – GEO
    WebWer im Schlaraffenland lebt, der braucht sich um nichts Sorgen zu machen – außer vielleicht darüber, dass einem die eigenen Hosen bald vor lauter leckerem Essen nicht mehr passen werden. Denn das Schlaraffenland ist ein fiktiver Ort, in dem paradiesische Zustände „
  • Miller ist dafür, dass Kinder ihre Heimat – und Erziehung – nicht vergessen.
  • Dazu kommt seine Hoffnung auf einen „wackeren“ = anständigen, brauchbaren Schwiegersohn
  • der so gut zu seiner „Kundschaft“, d.h. den Leuten, die ihm was bringen, gepasst hätte.

Zum Schluss noch die Anfrage an ChatGPT?

Frage an ChatGPT:

Kannst du mir die folgende Textstelle aus Schiller, “Kabale und Liebe” in heutiges Deutsch übersetzen?

FRAU. Sieh doch nur erst die prächtigen Bücher an, die der Herr Major ins Haus geschafft haben. Deine Tochter betet auch immer draus.

MILLER pfeift. Hui da! Betet! Du hast den Witz davon. Die rohe Kraftbrühen der Natur sind Ihro Gnaden zartem Makronenmagen noch zu hart. – Er muß sie erst in der höllischen Pestilenzküche der Bellatristen künstlich aufkochen lassen. Ins Feuer mit dem Quark. Da saugt mir das Mädel – weiß Gott was als für? – überhimmlische Alfanzereien ein, das läuft dann wie spanische Mucken ins Blut und wirft mir die Handvoll Christentum noch gar auseinander, die der Vater mit knapper Not so so noch zusammenhielt. Ins Feuer sag ich. Das Mädel setzt sich alles Teufelsgezeug in den Kopf; über all dem Herumschwänzen in der Schlaraffenwelt findets zuletzt seine[758] Heimat nicht mehr, vergißt, schämt sich, daß sein Vater Miller der Geiger ist, und verschlägt mir am End einen wackern ehrbaren Schwiegersohn, der sich so warm in meine Kundschaft hinein, gesetzt hätte

Die Antwort von ChatGPT

Stand: 23.10.23

Gerne, ich übersetze die Textstelle aus Schiller’s “Kabale und Liebe” ins heutige Deutsch:

FRAU: Schau dir nur die großartigen Bücher an, die der Herr Major ins Haus gebracht hat. Deine Tochter liest immer daraus.

MILLER pfeift. Hui da! Liest! Du verstehst den Witz nicht. Die kräftigen Naturwerke sind für ihre zarte Seele noch zu anspruchsvoll. Er muss sie erst in der absurden Küche der Belletristik künstlich verfeinern. Weg mit dem Schnickschnack. Das Mädchen saugt das – Gott weiß was – himmlische Getue auf, und das läuft dann wie ein spanisches Fieber in ihrem Blut und zerstreut die Reste des Anstands, die ihr Vater mit Mühe bewahrt hat. Weg damit, sage ich. Sie nimmt sich alle möglichen verrückten Ideen vor; nach all diesem Herumtollen in der Traumwelt findet sie schließlich keine Heimat mehr, vergisst, schämt sich, dass ihr Vater Miller der Geiger ist, und verpasst am Ende die Chance auf einen anständigen Schwiegersohn, der sich so gut in mein Geschäft eingelebt hätte.

Kommentar dazu:
Wir haben mal die Stellen rot markiert, die nicht unbedingt schon ganz verständlich sind.
Insgesamt sieht man, dass einiges doch leichter zu verstehen ist, aber es auch Grenzen gibt, wo der Zusammenhang wichtig ist.

Weitere Infos, Tipps und Materialien