Safranski, Romantik, eine deutsche Affäre, Vorwort, Analyse Auswertung (Mat639 )

Rüdiger Safranski, „Romantik. Eine deutsche Affäre“ – Rezension und Lese-Leitfaden

Wer eine originell-eigensinnig und zugleich sehr anregende Darstellung der Romantik in ihrem großen geschichtlichen Zusammenhang sucht, der wird mit Safranskis Buch sicher glücklich. Ausführlich wird sie in ihren Voraussetzungen, ihren Hauptvertretern und ihren Wirkungen bis in die Gegenwart vorgestellt.
Wir versuchen hier, auf die wichtigsten Punkte aufmerksam zu machen – und damit auch gezielt das Lesen zu erleichtern.
Wünschenswert wäre vor allem, dass einige der Grundgedanken auch die Schule und damit die kommenden Generationen erreichen würden. Denn Romantik ist mehr als ein gemeinsamer Spaziergang im Abendlicht – aber sie wirkt doch auch stark in das ganz normale Leben hinein. Es lohnt sich also, mit ihr zu beschäftigen – weit über rein literaturgeschichtliche Zusammenhänge hinaus.
Wir beziehen uns hier auf die Ausgabe: Rüdiger Safranski. Romantik. Eine deutsche Affäre, Carl Hanser Verlag: München 2007
Die Leser mögen verzeihen, wenn wir hier nur stückweise und nach und nach den Reichtum des Buches und seines Themas erschließen – aber dieser lebendig-organische Ansatz mit seinem zunächst fragmentarischen Charakter ist eben auch romantisch 😉
Wir beginnen – gewissermaßen außer der Reihe – mit einem Kernstück der Erläuterungen des Autors – gefasst in ein Schaubild. Genauer erklären wir das dann weiter unten.

11-13: Vorwort
Gleich zu Beginn werden die wichtigsten Kennzeichen der „romantischen Schule“ um 1800 aufgeführt:„Vergangenheitssehnsucht“
„neu erwachter Sinn für das Wunderbare“
„Hinneigung zur Nacht“
„und zur poetischen Mystik“
„Selbstgefühl des Neuanfangs, dieser beschwingte Geist einer jungen Generation“
„die zugleich gedankenschwer und verspielt auftrat“
„um den Impuls der Revolution in die Welt des Geistes und der Poesie zu tragen“Anschließend wird auch gleich ein origineller Ausgangspunkt gewählt, nämlich Werders Seereise nach Frankreich aus dem Jahre 1769: „Unterwegs kommen ihm Ideen, die nicht nur ihn beflügeln werden.“
Schon ist mal als Leser gespannt darauf, was da, einige Jahrzehnte vor dem eigentlichen Beginn der Epoche bereits entstanden ist.
Im weiteren Verlauf wird dann ganz deutlich ein großer Bogen gespannt: „Die Romantik ist eine Epoche. Das Romantische eine Geisteshaltung, die nicht auf eine Epoche beschränkt ist … Das Romantische gibt es bis heute. Es ist nicht nur ein deutsches Phänomen, aber es hat in Deutschland eine besondere Ausprägung erfahren, so sehr, dass man im Ausland bisweilen die deutsche Kultur mit Romantik und dem Romantischen gleichsetzt. (12)
Anschließend werden einige Auswirkungen der Romantik aufgeführt:

Heine – der sie vertritt und dann überwinden will
Karl Marx, in dessen folgenreicher Philosophie Safranski auch Romantik sieht
„die nationalen und sozialen Träume“ des Vormärz
Richard Wagner und Friedrich Nietzsche, die als „Jünger des Dionysos“ wider Willen mit der Romantik zu tun hatten
die Jugendbewegung um 1900
1914: Die Idee, die deutsche romantische Kultur gegenüber der westlichen Kultur zu verteidigen
sektiererische Bewegungen in der Weimarer Republik (etwa den Morgenlandfahrern)
die Aufnahme romantischer Elemente in die Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus: „Wie romantisch war der Nationalsozialismus? War er nicht vielleicht doch eher pervertierter Rationalismus als verwilderte Romantik?“ (12)
Dann die „skeptische Generation“ nach 1945
und schließlich der „vorläufig letzte größere romantische Aufbruch, bei der Studentenbewegung von 1968 und ihren Folgen“ (13)
In einer Neuauflage des Buches würde Safranski möglicherweise im Umgang mit der Migrationsbewegung auch romantische Züge entdecken, nämlich den Versuch, eine völlig neue Welt der Offenheit für das Fremde und der Sehnsucht nach einer neuen Harmonie zwischen den Menschen und Kulturen entdecken. Er würde wahrscheinlich auch mit Herder die Frage stellen, wo bleibt dann das Eigene, das doch Voraussetzung ist für eine echte produktive Begegnung mit dem Fremden.

Das Vorwort schließt mit der berühmten Definition des Romantischen durch Novalis: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“ (13)
Daraus leitet Safranski über Überlegungen zur Bedeutung der Religion in der Romantik ab: „Sie gehört zu den seit  200 Jahren nicht abreißenden Suchbewegungen, die der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas entgegensetzen wollen. Romantik ist neben vielem, was sie sonst noch ist, auch eine Fortsetzung der Religion mit ästhethischen Mitteln.“ (13) Das endet dann mit dem Hinweis auf die Gefährlichkeit des Übergangs in die Politik, wenn auch dort das Realitätsprinzip außer Kraft gesetzt wird.
Safranski schließt dann mit einer Eloge auf den romantischen Geist:
Er „ist vielgestaltig, musikalisch, versuchend und versucherisch, er liebt die Ferne der Zukunft und der Vergangenheit, die Überraschungen im Alltäglichen, die Extreme, das Unbewußte, den Traum, den Wahnsinn, die Labyrinthe der Reflexion. Der romantische Geist bleibt sich nicht gleich, ist verwandelnd und widersprüchlich, sehnsüchtig und zynisch, ins Unverständliche vernarrt und volkstümlich, ironisch und schwärmerisch, selbstverliebt und gesellig, formbewusst und formauflösend.“ (13)
Man merkt deutlich, wie sehr diese Haltung der Verfasser am Herzen liegt, im Genuss und im Bewusstsein der Gefahr. Dementsprechend freut man sich als Leser auf die gemeinsame Reise im Buch.
Kap 1: (17-28): Romantischer Anfang: Herder sticht in See. Die Kultur neu erfinden. Individualismus und die Stimmen der Völker. Vom Schaukeln der Dinge im Strom der Zeit

In diesem Kapitel geht es um einen Herder, der bewusst ins Unbekannte aufbricht und dabei sein schöpferisches Selbst entdeckt. Safranski betont, wie Herder ein Leben lang von den Ideen der Reise gezehrt hat (18).
Ab Seite 19 geht es in einem Exkurs um die Begegnung mit Goethe, der in Straßburg von dem fünf Jahre Älteren viel lernen konnte. Interessant, dass das See-Abenteuer Herder als Anregung für die Studierzimmer-Szene im Faust bezeichnet wird (19).
Ein Akzent wird auf das Vernunftverständnis Herders gesetzt, das sich als „lebendig“ von dem stark erkenntnistheoretischen Kants abgrenzt. Diese Lebensphilosophie wird als Ausgangspunkt für den Geniekult des Sturm und Drang verstanden (21).
Dem Enthusiasmus des Lebens wird dann ab S. 22 auch die dunkle Seite entgegengesetzt.
Hervorgehoben wird ab S. 23 Herders Bedeutung für die moderne Anthropologie, die dem Menschen einen hohen Stellenwert für die Natur bemisst. Er ist es als höchste Stufe des Lebendigen, der den Kosmos gewissermaßen zu sich selbst kommen lässt.
Verbunden ist damit die Vorstellung von einer offenen Geschichte, die kein festes Ziel hat, wohl aber eine eigene Entwicklungsrichtung, die der Mensch zumindest ein bisschen mitgestalten kann.
Ab S. 25 geht es dann um die Hervorhebung des Individuums bei Herder, die dann auch für größere Zusammenschlüsse bis hin zu den Nationen reicht. Bei denen gilt es für Herder die jeweiligen „Volksgeister“ zu entdecken – deshalb der Beginn der Sammlung von Volksliedern.
Ganz deutlich hervorgehoben wird, dass die Nation bei Herder keinen ausschließenden Charakter hat – er setzt auf die Vielfalt der Nationen und den Austausch zwischen ihnen.
Wichtig die Zusammenfassung, die Herder Bedeutung herausstreicht: „Die Entdeckung der dynamischen Geschichte mit allem was daraus folgt, vom stolzen Individualismus bis zur Demut  vor den alten Zeugnissen der Volkskultur, bewirkte eine wirkliche Zäsur des abendländischen Geistes. Seitdem ist es selbstverständlich geworden, die Dinge geschichtlich zu sehen. Geschichte relativiert alles. Sie wird selbst zu etwas absolutem: kein Gott, keine Idee, keine Moral, keine Gesellschaftsordnung, kein Werk können sich ihr gegenüber von nun an als etwas Absolutes behaupten. Selbst das Gute, Wahre, Schöne, einst am Himmel der unwandelbaren Ideen und Offenbarungen fixiert, geraten in den Sog des Werdens und Vergehens. Auch das Schöne muss sterben, heißt es bei Schiller, und die Götterdämmerung und die Umwertung der Werte werden auch eine Folge des geschichtlichen Bewusstseins sein. Und darum kann man von Herder Gedanken auf offener See sagen: Sie sind schon romantisch, Weil sie uns einstimmen auf das Schaukeln der Dinge im Strom der Zeit.“ (28)

Kap 2: (29-47): Von der politischen zur ästhetischen Revolution. Politische Ohnmacht und poetische Kühnheit. Schiller ermuntert zum großen Spiel. Die Romantiker bereiten ihren Auftritt vor.
Im Folgenden wählen wir den Weg über ein Schaubild, weil das uns geholfen hat, die inneren Zusammenhänge der Entwicklung zu begreifen, die Safranski in diesem Kapitel auf beeindruckende Weise herausarbeitet.
Erläuterungen zum Schaubild:

Ausgangspunkt ist die Französische Revolution, die sofort von vielen Menschen als Beginn eines neuen Zeitalters begriffen wird. (29)
Vor allem die Aufklärer, einschließlich des Erfinders ihrer Definition, Immanuel Kant, sind begeistert, denn sie sehen die Ereignisse in Frankreich als Umsetzung ihrer Gedanken. (31)
Damit bekommt der Idealismus richtig Auftrieb – denn der sagt ja gerade: Geist steuert Materie, nicht umgekehrt. (32)
Eine neue Generation junger Schriftsteller sieht in der Revolution das Abenteuer der Freiheit und den Beginn einer neuen Welt und ist ebenfalls begeistert. (32ff)
Dann kommt der große Rückschlag: Die Revolutionäre bekommen die bessere Welt nicht so einfach hin und nutzen die neu gewonnene Macht für immer mehr Radikalisierung und schließlich auch Terror. (34ff)
Dies wiederum führt für Safranski zur Tyrannei einer unhistorischen Vernunft. (34) Damit ist gemeint, dass man einfach glaubt, alles zerschlagen und dann etwas Neues aufbauen zu können. Das erinnert ein bisschen an Tendenzen zum „Social engineering“, also der Vorstellung, man könnte mit Gesellschaften genauso herumexperimentieren, wie es Ingineure mit Geräten tun. Völlig vergessen bzw. ausgeblendet wird dabei, wieviel Schweiß, Blut und Tränen nötig waren, um die guten Seiten eines gesellschaftlichen Zustandes entstehen zu lassen.
Dazu kommen neue gesellschaftliche Phänomene: Die Menschen sehen sich nicht mehr als passives Objekt von Geschichte, sondern als mögliches Subjekt (35).
Dazu kommt die Verbreitung damals neuer Medien, nämlich von Zeitungen und Flugschriften, die mit allen Mitteln Aufmerksamkeit erregen mussten bzw. wollten. Am erfolgreichsten war man natürlich, wenn man an die niederen Instinkte der Menschen appellierte. (36) Ausführlich dargestellt wird dieses Phänomen von Michel Onfray in seinem Buch „Niedergang. Aufstieg und Fall der abendlädischen Kultur – von Jesus bis Bin Laden“, das wir an anderer Stelle rezensiert haben – siehe hier.
An dieser Stelle verweist Safranski auf die beiden Weimarer Klassiker, die auf unterschiedliche Weise dieser Fehlentwicklung entgegenwirken wollen.
Bei Goethe gibt es eine eher individuelle Lösung: Seine Vorliebe für organische Veränderungen lässt ihn sich abschotten gegen alles, was er sich nicht „anverwandeln“ kann. Sehr interessant der Hinweis auf die Problematik von Fern-Erregungen. Safranski verweist mit Goethe zu Recht darauf hin, dass man eigentlich nur Dinge wirklich beurteilen und sich auch darüber aufregen kann, die man selbst erlebt hat oder von denen man sichere Kunde hat. Die modernen Kommunikationsmittel von den Zeitungen bis hin zu den heutigen Massenmedien nun leben von Verkürzung und Akzentuierung, an deren Ende häufig eine ziemlich bewusstlose Emotionalisierung steht. Diese wiederum treibt auch vernünftige Politiker schnell vor sich her. (S. 37/8)
Wichtiger noch ist Schiller (40ff), weil er – wie Safranski hervorhebt – eine überaus wirkungsmächtige Theorie seiner gesellschaftlichen Gegenwart entwirft.
Ausgangspunkt ist die für ihn erwiesene Noch-Unfähigkeit der Menschen zum richtigen Umgang mit Freiheit.
Hier bedarf es der Erziehung – und die sieht Schiller am besten platziert in einem spielerischen Umfeld. Und hier hat für ihn die Kunst am meisten zu bieten, weil sie neben dem Experimentellen (ohne gefährliche Folgen) auch noch Schönheit entstehen lässt, also das Gute mit einem positiven Reiz versieht.
Damit wird die Kunst zu einer Gegenwelt zu der der Industrialisierung, die den Menschen in immer stärkere Arbeitsteilung treibt, die ihn zu einem austauschbaren Rädchen im Getriebe macht.
In der Kunst dagegen erfährt sich der Mensch wieder als Ganzes – Karl Marx hätte hierin eigentlich die Möglichkeit der Aufhebung der Entfremdung sehen müssen – aber das gilt eben nur für das Bürgertum, das sich diesen kulturellen Luxus leisten kann – die Arbeiter mit ihren 16-Stunden-Schichten  hätten dazu weder die Zeit noch die Kraft noch die Lust gehabt.
Nur auf dem Wege dieser Kultivierung durch Kunst sieht Schiller die Möglichkeit einer Verbesserung der Gesellschaft – ganz im Sinne des Bildungsbegriffs der Klassik. Zu Recht hält er den Gedanken Rousseaus vom „edlen Wilden“ und  von einer Rückkehr zum Urzustand für nicht geeignet, um die Probleme der Gegenwart zu lösen.
Safranski schließt sein Kapitel mit der Feststellung, dass diese Entwicklung bis hin zu Schillers Literaturtheorie eine gute Grundlage für die aufkommende Romantik abgibt: So können sie die Idee künstlerischer Autonomie vertreten, werden ermuntert zu großen Spielen der Kunst, auch zur erhabenen Nutzlosigkeit (man denke an Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“) und leben vom Versprechen einer Ganzheit im Kleinen.

Kap 3: (48-69): „Das tintenklecksende Säkulum …“

Im Folgenden geben wir einen Überblick über interessante Aspekte, die der Autor in diesem Kapitel behandelt und mit denen sich eine intensivere Lese-Beschäftigung lohnt.

S. 48: Wandel im Leseverhalten: „Man liest nicht mehr ein Buch viele Male, sondern viele Bücher einmal.“
S. 49: Eingehen auf die Antwort der Autoren: „Vielschreiber“
S. 50: „Lust an der imaginären Geselligkeit im Buch“
S. 52: Der „dichte Grenzverkehr zwischen Literatur und Leben“
S. 52: Tieck: Liebe zur Nähe und zu ihrem intensiven Genuss, statt in die Ferne zu schweifen
S. 53: Neue Freude am Geheimnis: „Das Licht der Aufklärung verlor an Glanz.“
S. 56: „Geheimbundromane“
S. 57: „Das Unerklärliche ist nun nicht mehr Skandal, sondern Reiz.“ Schöner Hinweis auf Eichendorffs Gedichtzeile: „Manches bleibt in Nacht verloren“.
S. 58: Friedrich Schlegel und das „Romantisieren“: Übertragung der Idee der Revolution aus dem politischen Bereich in den der Literatur; das Ziel: die „Scheidewände zwischen Literatur und Leben vollends niederreißen“, das wird „romantisieren“ genannt.
S. 59: Kunst ist mehr Ereignis als Produkt; Schlegels „progressive Universalpoesie“ = „Das Leben muß mit Poesie durchdrungen werden.“ „… es soll die Trennung beseitigt werden zwischen der Logik des alltäglichen Lebens und Arbeitens und der sonstigen freien, schöpferischen Geistestätigkeit“; es gibt einen regelrechten „Vereinigungstaumel“ (Hegel); Safranski erklärt das, indem er es vom Gegenstück abgrenzt:
S. 60: Kampf gegen die Arbeitsteilung – ausgehend von der kritischen Betrachtung Schillers, für den der Mensch zu einem „Bruchstück“ geworden ist; Anm. Karl Marx wird später von Entfremdung sprechen. Die „Zersplitterung des Lebendigen soll rückgängig gemacht werden.“
S. 60/61: Genaueres Eingehen auf Friedrich Schlegel: neues Verständnis der griechischen Antike über Winkelmanns Klassik-Definition von der „edlen Einfalt, stillen Größe“ hinaus; ihm geht es um die Poesie der alten Griechen und die sei „ekstatisch, wild, grausam, auch pessimistisch“ gewesen – und das alles lange vor Nietzsche; Schlegel nimmt Schillers Gedanken des „Spiels“ auf – nur versteht er es ernster, größer, schicksalhafter; damit ist dann man für Schlegel in der Welt des antiken Götterhimmels, denn da geht es ja auch ständig richtig zur Sache
S. 61/62: Für Schlegel fängt der Mensch an, sich seiner göttlichen Kräfte bewusst zu werden; die äußert sich aber nicht im Prophetischen o.ä., sondern in der romantischen Ironie
S. 62: Die romantische Ironie: Aus der rhetorischen Figur wird eine „Goldader“: Alles wird immer wieder relativiert, ins „Schweben“ gebracht (S.62/63)
S. 63: „Das eigene Selbst ist ein Chaos …“ und die damit verbundenen Grenzen des Verstehens zwischen den Menschen; wichtig ist, dass die Menschen sich gegenseitig auch ein Geheimnis bleiben; weil man sich auch selbst unverständlich bleibt;
S. 64: „Über die Unverständlichkeit“: wird gelobt; die Ironie sorgt dafür, dass sich das Leben nicht gewissermaßen in Klrheit und damit Langeweile auflöst; neben dem Ich und dem Du ist das Universum die dritte Ebene des Chaos; hier komme Gott ins Spiel – und über den könne man eben nur ironisch sprechen, weil er überkomplex sei; hier wird man an das mittelalterliche „credo quia absurdum“ erinnert, ich glaube, weil es absurd ist, gegen die Gesetze des menschlichen Verstandes verstößt“; die Philosophie wird zur „Heimat der Ironie“
S. 65: „Ironie als lächelnder Respekt vor dem Unbegreiflichen“ = Basis „erhabner Urbanität“, d.h. echter Geselligkeit: „Die gute Mischung aus aus Mitteilsamkeit und Unverständlichkeit ist das Lebenselixier der geistvollen Unterhaltung“; Schleiermacher wird das näher ausführen und Safranski stellt es auf beeindruckende Weise vor
S. 65/66: Feststellung, dass Ironie in den Kreisen der Romantiker durchaus anzutreffen war, weniger aber in ihren Werken (Ausnahmen: Tieck, Brentano, Hoffmann)
66: Friedrich Schlegel als beeindruckende Persönlichkeit, „Tausendsassa“ (67), von anderen wird Schlegel aber auch kritisch gesehen (Schiller: „Witzling“)
S. 67: Schlegels Konzept eines offenen Kunstwerks“, das das Literarische und das Sachliche verbindet: „Das nennt Schlegel die Poesie der Poesie, wenn nicht nur die erfundenen Welten, sondern die Erfindung der Welten zum Thema wird“.
S. 68: „Poesie mag ein Göttergeschenk sein, auf jeden Fall ist sie auch ein Artefakt“; Neues, produktives, Verständnis von Literaturkritik – statt der Messung der Werke an irgendwelchen Normen, Vorgaben; Kritik soll sich in das Individuelle des Künstlers und seines Kunstwerks hineinbegeben, wird damit zur „Transzendental-Poesie“; Kritische Anmerkung zu Schlegel: hat selbst nur mäßiges poetisches Talent, träumt aber von einer „Herrschaft über die gegenwärtige Literatur“, sieht sich und andere als „kritische Diktatoren Deutschlands“
S. 69: Schlegels Begeisterung über Fichte als Überleitung zum nächsten Kapitel

Kap 4: (70ff): „Fichte und die romantische Lust, ein Ich zu sein …“

S. 70ff: Viertes Kapitel:´“Fichte und die romantische Lust, ein Ich zu sein“
S. 75: „Das Ich ist etwas, das wir im Denken erst hervorbringen […] Dieses Ich ist keine Tatsache, kein Ding, sondern ein Ereignis.“

Kap 5: (89ff): „Ludwig Tieck. In der Literaturfabrik …“

S. 94: Ausgehend von Tiecks Roman über William Lovell stellt Safranski kritisch fest: „Schon zu Beginn der Romantik also zeigt sich das Problem des romantischen Nihilismus als die Schattenseite der Ich-Euphorie.“ Auch sieht er im Umgang Lovells mit anderen Menschen eine so starke Ich-Bezogenheit, dass er einen „schleichenden Prozeß der Gefühlszersetzung und Auszehrung“ (S. 93) sieht.
S. 97: Wackenroder als „Gegengewicht“ – nimmt die Kunst mehr ernst
S. 98: Das Verführerische der Kunst in den Worten Wackenroders
S. 99ff: Reise Tiecks und Wackenroders durch Franken bis nach Nürnberg: Die Gegend wird zum „gelobten Land der deutschen Romantik“ mit Mondlicht und Waldhorn, die Dürerzeit als Sehnsuchtsziel; die katholische Welt als reizvoller Bezugspunkt

Kap 6: (109ff): „Novalis …“

111ff Biografie von Friedrich von Hardenberg (Novalis)
113ff Liebe zu Sophie von Kühn
115ff:Tod der Geliebten und der Umgang damit
120ff Freude an den Tiefen der Erde im Bergwerk -> Hymnen an die Nacht, die „bald als Inbegriff der todesverliebten und mystischen Romantik gelten werden“ (120)
122ff: Wende zum Christentum, sein Mehr im Vergleich zur Antike
125ff: „Die Christenheit oder Europa“: „Die Rede ist nichts anderes als der Versuch, die Geschichte der Vertrocknung des heiligen Sinns zu erzählen, die Gründe dafür ausfindig zu machen und die Chancen einer Erneuerung zu erkunden.“ (125) Dabei geht es nicht um eine „Rückkehr in die gute alte Zeit“ (126), sondern um den „Aufbruch zu neuen Ufern […] in einem geeinten Europa […] geeint in universeller spiritueller Gemeinschaft“ (126). Interessant sind die Hinweise auf die geringe Resonanz dieser Rede und die Gründe dafür. Safranski sieht Novalis als Spieler, der hier auch rhetorisch experimentiert. (vgl. 127)
127: Als Kerngedanke der Rede wird herausgestellt: „Wo keine Götter sind walten Gespenster.“ (127) Dazu gehört auch eine Überschätzung der Wissenschaft. Zu der gehört auch „Weisheit“ und dass sie „ihre Grenzen kennt“ (128). Interessant der Hinweis auf die Veränderung der Vorstellung von der Natur, die sich jetzt selbst erhalten kann, nicht mehr auf göttliche Unterstützung angewiesen ist (vgl. 128).
Zu den Folgen dieser Überschätzung der Natur gehört auch: „daß der gegenwärtige Mensch rastlos beschäftigt ist, die Natur, den Erdboden, die menschlichen Seelen und die Wissenschaften von der Poesie zu säubern – jede Spur des Heiligen zu vertilgen […] und die Welte alles bunten Schmucks zu entkleiden.“ (129)
129: „‚Das christliche Mittelalter wählt Novalis als Kontrastbild.“ – Gegenstück zur „Entzauberung“ der Gegenwart; Hoffnung auf ein „drittes Weltalter … das nicht mehr von der alten Offenbarung, sondern vom poetischen Geist inspiriert sein würde“ (131)

Kap 7: (133ff): „Romantische Religion  …“

In diesem Kapitel arbeitet Safranski sehr gut heraus, dass die Romantiker – soweit man das verallgemeinern kann – nicht in erster Linie das Christentum leben oder gar verbreiten wollten: „Es war eine Phantasie-Religion oder die Religion der Phantasie.“ (134) Damit ist gemeint, dass vor allem für Schlegel oder auch Novalis in ihrer Anfangszeit die Religion „nicht eine uns von außen, von einem überweltlichen Gott zukommende Offenbarung“ ist, sondern „die Entfaltung schöpferischer Freiheit im Menschen bis zur Selbstvergöttlichung.“ (135)
Deutlich ist das Urteil über das Christentum. Friedrich Schlegel hält die christliche Religion für „alt und kraftlos“, „die Kunst ist berufen, den religiösen Kern zu bewahren“ und zwar, „weil die Religion in ihrem Kern nichts anderes ist als – Kunst.“ (135)
Ausführlich wird dann ab S. 138 auf Schleiermacher eingegangen, der Kants Konzentration auf Moral als Basis für Religion (vgl. 137) ersetzt durch einen wieder sehr viel weiteren Religionsbegriff: „Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche.“ (139). Safranski ordnet das so ein: Schleiermacher „definiert also die religiöse Erfahrung als einen Seinsbereich zwischen der Erkenntnis, die sich an Rationalität bindet, und Moral, die dem in Freiheit angenommenen Sittengesetz folgt.“ (142)
Letztlich geht es um ekstatische Augenblicke, in denen die „Aufhebung der Subjekt-Objekt-Beziehung“ (142) gelingt. „Das Gefühl entdeckt in der Natur Subjektqualitäten und verschmilzt mit ihr.“ (142)
Anschließend führt Safranski fünf Aspekte der Schleiermacherschen Religionslehre auf, die für die Romantiker eine besondere Bedeutung hatten.
Das ewige Leben wird im Diesseits erlebt.
Die Religion braucht keine Institutionen.
Verzichtet wird auf den ganzen Komplex der Sünde. Safranski spricht hier leicht kritisch von „Schleiermachers wohlglaunter Religion“ (144).
Es gibt hier auch keine Dogmen. Die macht sich das Ich selbst.
Über allem dominiert der ästhetische Charakter der Religion. Für Schleiermacher ist sie „heilige Musik“ (145).
Letztlich wird Gott zu einer innerweltlichen Instanz, an seine Stelle tritt letztlich ein „freies, ein uns sogar liebendes Universum“ (147) – was wohl weit entfernt sein dürfte von aller Realität. Auch wenn Schleiermacher noch nichts von schwarzen Löchern wissen konnte. Das Prinzip des Fressens und Gefressen-Werdens muss er genauso gekannt haben wie den Schock des Erdbebens von Lissabon.
Es ist erstaunlich, dass jemand wie Schleiermacher, der immerhin als Prediger arbeitete, solche wenig christlichen Gedanken veröffentlichen konnte. Safranski verweist auf gute persönliche Beziehungen, die ihn wohl geschützt haben.
So konnte es dazu kommen, dass Schleiermacher das „Gründungsdokument einer neuen, einer romantischen Frömmigkeit“ (149) verfassen konnte.

Kap 8: (150ff): „Das Schöne und die Mythologie  …“

Dieses Kapitel stellt vor allem heraus, inwiefern die Romantik auch eine Ablösung der klassischen Konzentration auf das alte Griechenland und seine vermeintliche Kultur der „edlen Einfalt, stillen Größe“ bedeutet.
Außerdem geht Safranski ausführlich auf Hölderlin ein, der den antiken Göttern mehr Leben zuspricht als selbst Schiller, und daran zumindest für die Außenwelt zugrunde geht.

150: Schlegel spricht der Kunst einen eigenen Wahrheitswert zu.
151: Schleiermacher rückt die Kunst nahe an die Religion heran.
153: Freiheit bei Schleiermacher: Verbindung der „Beziehung zum ungeheuren Ganzen“ und der „Weckung des Bewußtseins von Individualität“
153: „Mythologie der Vernunft“: Text von 1797, an dem Hölderlin, Schelling und Hegel mitgewirkt haben; wird angesehen als „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“
156: Entstehung einer neuen Art von Mythenforschung, die sich vom Ideal der griechischen Klassik trennt und auch die Kulturen Indiens, Chinas oder Ägyptens mit einbezieht.
158ff: Görres als „Zentralfigur der Heidelberger Romantik um 1807“; man glaubt, dass all diese Kulturen letztlich die gleiche Geschichte erzählen
160: Goethes Distanz zu diesem Ansatz
160: Görres stellt sich die entscheidende Frage: „Wie hat es mit den Deutschen angefangen, wovon sind sie geprägt, wie verhält es sich mit ihrem kulturellen Ursprung, und vor allem, welche Aspekte der deutschen Kulturvergangenheit können, falls man sich ihrer erinnert, ein Selbstbewußtsein schaffen helfen, das der Selbstbehauptung in der krisenhaften Situation dient.“ Man wird hier unwillkürlich an die Situation Deutschlands zu Beginn des 21. Jahrhunderts erinnert.
161: Kritik an denen, die nur nach vorne blicken: „Die Toten sollen nicht mehr mitreden dürfen.“ Hier fällt einem Finkielkrat ein und sein Buch „Die Undankbarkeit. Gedanken über unsere Zeit.“ (Ullstein: Berlin 2001)
161: Absage an Winckelmanns Vorstellung: „Edle Einfalt, stille Größe“ – dagegen die „dionysische Unterströmung“
163ff: Vorstellung von Hölderlins Leben und Werk:
163: Auch für ihn steht Dionysos im Mittelpunkt.
165/166: „Die Götter waren für die Antike-Begeisterten […] künstlerische Sinnbilder. Für Hölderlin aber treten die Götter aus ihren antiken Bildern.“
166/167: Die Götter als Schaffer und Inbegriff besonderer Momente: „Das Göttliche zeigt sich in den Augenblicken großer Gelöstheit.“
168/169: Aufgabe der Poesie ist es, die Götter gewissermaßen am Leben zu halten.
170/171: Beschreibung des Endes Hölderlins, der sich damit übernommen hat, aber möglicherweise seinen inneren Bildern bis zum Ende treu bleibt, sich nur noch auf sie konzentriert.

Kap 9: (172ff): „Poetische Politik   …“

172: Begeisterung vieler Romantiker über die Französische Revolution – das lässt später aber nach – vor allem nach dem Antritt Napoleons.
173: Novalis‘ Christenheit-Aufsatz und die Notwendigkeit einer Transzendenz-Grundlage für ein Gemeinwesen
174: Neigung zur katholischen Kirche als einer Rettungsinstanz gegenüber den menschlichen Abgründen
176: Die nationale Frage in Deutschland – als Reaktion auf ihre Entstehung im Rahmen der Französischen Revolution
177: Die Idee der Kulturnation – noch ohne Abgrenzung gegenüber anderen Nationen – bei Fichte wird das dann anders.
178/9: Tendenz hin zum Denken im Kollektiv – zunächst national, dann aber auch „im Stil des Bewahrens“: „Metaphysik der Geschichte“; Vorstellung, „daß Staatsverfassung und Gesellschaftsordnung gewachsene Gebilde seien, Ausdruck eines Bündnisses zwischen den Toten, den Lebenden und den Ungeborenen“ (179): Man wird hier erinnert an das Buch von Alain Finkielkraut „Die Undankbarkeit. Gedanken über unsere Zeit.“ (2001)
180: Heidelberg als Hauptquartier dieser historisch orientierten Romantik (zwischen 1806 und 1808)
183: Die Vorstellung von einer Volkspoesie
183/184: Der historische Hintergrund für diese Akzentuierung
183: der politischen Hintergrund der neuen Liebe zur Volkspoesie: die Bedrohung durch Napoleon
185: daraus entsteht die „Stunde der politischen Romantik“
187/8: Hass auf Napoleon
188ff: „Als einer der größten Hasser zeigt sich Heinrich von Kleist“ …
188ff: Heinrich von Kleist als ein genialer, aber auch „gefährlicher Romantiker“
189: Beispiel für politische Propaganda: Ode „Germania an ihre Kinder“, Außerdem das Theaterstück „Die Hermannsschlacht“, „eine einzige leidenschaftliche Verherrlichung des totalen Vernichtungskrieges“
190: Safranski sieht „eine eigentümliche Lust an der imaginären Grausamkeit, die auch sonst bei Kleist zu spüren ist“, sogar regelrechte „Tötungphantasien“ und zwar im Zusammenhang eines ausgesprochenen „horror vacui“, also eine Angst vor der Leere, als Ausweg sieht Kleist nur ein Ziel, „das die ununterbrochene Anstrengung aller meiner Kräfte und die Anwendung jeder Minute Zeit erfordert, wenn es erreicht werden soll“.
191 Ausdrücklich verweist Safranski darauf, dass Kleist selbst nicht wollte, dass man nach dem Grund für seine extremen Leidenschaften fragt: „Der Haß ist bei Kleist wie die Liebe, eine Ekstase der Hingabe.“ er sieht regelrecht „eine Raserei am Werk“.
192: Am Ende zitiert Safranski Nietzsche mit dem Versuch einer psychologischen Erklärung: „Heinrich von Kleist ging an dieser Ungeliebtheit zu Grunde, und es ist das schrecklichste Gegenmittel gegen ungewöhnliche Menschen, sie dergestalt tief in sich hinein zu treiben, daß ihr Wiederherauskommen jedes Mal ein vulkanischer Ausbruch wird.“

Kap 10: (193ff): „Romantisches Unbehagen an der Normalität   …“
Anmerkungen zum Schaubild links:

Ausgangspunkt sind unten zwei Fehlentwicklungen (aus der Sicht der Romantiker)
zum einen die Herrschaft von Mathematik und Naturwissenschaften, die überall die geraden Linien und die Berechenbarkeit mit sich bringen und damit Langeweile auslösen. Man denke an das Novalis-Gedicht: „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“
Hinzu kommt die Französische Revolution mit ihrer Gleichmacherei, die sich auf die Menschen bis hin zur Guillotine erstreckt, aber auch die historisch gewachsenen Landschaften erfasst: Die Departments werden nur noch durchnummeriert.
All das bringt zum einen den Philister hervor, den ressentimentgeladenen Nützlichkeitsmenschen.
Hinzu kommt der Verlust des Geheimnisses und auch der Religion.
Dem setzt die Romantik etwas entgegen, was wir im Folgenden genauer erläutern.

193ff: Eingehen auf die Bedeutung romantischer Vorstellungen als Ersatzreligion für Pastorensöhne – angesichts der zunehmenden „Entzauberung der Welt“
198ff: Genaueres Eingehen auf die Figur des Philisters als Kontrastfigur zu romantischem Denken, Fühlen und Leben; Betonung, dass zu dem Leben in normalen Bahnen auch noch das Ressentiment gegen das Romantische kommt
200: Eingehen auf „Der goldne Topf“
201ff: Der „Verlust der Mannigfaltigkeit“ als weiteren Kritikpunkt – zugleich Kritik an der Französischen Revolution, die „alle Formen zusammenstürzte; wie gleichförmig arm ist sie [die Welt] geworden.“ (Achim von Arnim in „Die Majoratsherren“, vom Autor zitiert auf S. 201).
201/202: Kritik der geraden Linie, Lob der krummen Linien – einer der Gründe, warum die Romantiker die verwinkelten Städte des Mittelalters liebten
202/3: Novalis: Romantisieren als Gegenprogramm
203: Langeweile als Problem der damaligen (und wohl auch unserer) Gegenwart, interessanter Gedanke, dass sich gerade die höheren Stände langweilen, weshalb die Fürsten entweder auf die Jagd gehen oder Krieg führen
205: Kritik des Stadtlebens in Eichendorffs „Ahnung und Gegenwart“ – wieder ein Aspekt, der die Romantik mit dem Expressionismus verbindet
206: Wackenroder: „Ein wunderbares Morgenländisches Märchen von einem nackten Heiligen’“, der immerzu das sausende Rad der Zeit in Bewegung meint halten zu müssen
207: Frage nach den Heilungsangeboten der Romantiker: Zunächst Novalis mit seiner „Gemütserregungskunst“ des Romantisierens
207/208: Rückblick auf eine Welt des Geheimnisses, die sinnstiftend war und durch die moderne Wissenschaft immer mehr verloren gegangen ist: Jetzt „ist nicht mehr der Gott für die Sicherheit, sondern ein Gott gegen die Langeweile gefragt.“ (208)
208: Die Romantiker brauchen einen „ästhetischen Gott … der die Welt wieder ins Geheimnis hüllt.“ (208)
208/209: Relativierung dieses Lösungsansatzes mit Hinweis auf den Irrealis, wie er sich besonders in Eichendorffs „Mondnacht“ findet:

Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt‘.

(…)

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Wir setzen die Übersicht bald fort …

Kap 11: (210ff): „Romantische Aufbrüche und Abbrüche   …“

210/211: Beispiel für eine romantische Figur, die sich „vergreift“ (Kreisler in den „Lebensansichten des Katers Murr“)
211: Eichendorff zwischen dem Fensterblick in „Sehnsucht“ (213) und dem Sich-Hingeben an Aurora in „Frische Fahrt“ (213)
212: die bedenklichen Verse am Schluss des Romans „Dichter und ihre Gesellen“: „Wir ziehen treulich auf die Wacht, / Wie bald kommt nicht die ew’ge Nacht / Und löschet aus der Länder Pracht, / Du schöne Welt, nimm dich in acht!“
212: Auswertung des Gedichtes „Frühlingsfahrt“ (auch bekannt unter dem Titel: „Die zwei Gesellen“): „Es singen und klingen die Wellen / Des Frühlings wohl über mir; / Und seh ich so kecke Gesellen, / Die Tränen im Auge mir schwellen – / Ach Gott, führ uns liebreich zu dir!“ Hervorhebung des großen, kindlichen Gottvertrauens bei Eichendorff
214: Leben und Werk Eichendorffs: Hinweis darauf, dass „Vergangenes sich doch nur im poetischen Eingedenken retten läßt“.
215: Frage nach dem Verhältnis von Poesie und Wirklichkeit am Beispiel von „Dichter und ihre Gesellen“: „Die Poesie des Lebens … ist allemal stärker als die Poesie, wie sie im Buche steht.“ (216)
217: „Das Flüchtige wird in der Poesie zur Form, die dauert. Es ist das Wunder der Poesie, daß in ihr bleibt, was sonst nicht bleiben kann.“
217: Zitat von Eichendorff zu den Motiven, in den Staatsdient zu gehen – gut für Verabschiedungsreden von Beamten zu verwenden – natürlich nur mit einem Lächeln 😉
218: Eichendorffs „Taugenichts“ und der Optimismus, der aus dem Glauben kommt
219: E.T.A. Hoffmann als Gegenposition
220: sein Image als „Gespenter-Hoffmann“
220f: „Prinzessin Brambilla“ (siehe auch S. 224): „Nichts ist langweiliger, als festgewurzelt in den Boden, jedem Blick, jedem Wort Rede stehen zu müssen.“ Safranski hebt hervor, dass Hoffmann dafür den Preis zahlen musste, „nirgend ganz ernst genommen“ zu werden.
221: Die Leichtigkeit des Schreibens bei Hoffmann, konzipiert den „Sandmann“ bei einer langweiligen Sitzung
221: „Des Vetters Eckfenster“: Wie man bei einem „Sterbenden in die Schule des Lebens“ gehen kann, der nur noch als Gelähmter aus dem Fenster blicken kann
222: Anmerkungen zu „Der goldne Topf“
223: Anmerkungen zu „Die Elixiere des Teufels“ als „Geschichte einer Persönlichkeitsspaltung“
224: Anmerkungen zu „Prinzessin Brambilla“ und die Bezüge zum Karneval und seinem Angebot, sich als multiple Person präsentieren zu können
227ff: Anmerkungen zu „Humor und Ironie“ in der Romantik: Bei Novalis ist das ein Emporziehen, bei Hoffmann die Akzeptanz, dass man Teil der Natur ist: „Wohl kennt ach Hoffmann einen Himmel. Er ist nichts anderes als die Diamantengrupe in unserem Innern. Wenn bei Hoffmann am Ende gelacht wird, so deshalb, weil man trotz dieses inneren Himmels ein Söldling der Natur bleibt und man auch mit diesem inneren Reichtum wohl doch nicht mehr zustande bringt als – Faxen.“
Hinweis auf Schopenhauers Anmerkungen zur Geschlechterliebe als Trick der Natur, um Fortpflanzung zu erreichen
229: Hinweis darauf, dass die Poesie aber auch zur Welt gehört und sie „einem das Gefühl gibt, über alle Zwecke unendlich hinausgehobenzu sein.“
229: Am Ende Kennzeichnung Hoffmanns: „Er war ein skeptischer Phantast.“

Kap 12: (233ff): „Rückblicke auf das Ideen Chaos  …“

233: in den zwanziger Jahren ist die große Zeit der Romantik vorbei, sie entfaltete aber Wirkungen in Richtung Musik und Malerei (Erwähnt werden die Nazarener).
234: von Goethes Kritik an der Romantik zur Selbstkritik, vor allem, was das Ideen-Chaos angeht und die subjektive Willkür.
234/236: das nutzt der Verfasser, um zu Hegel über zugehen, der eine gewisse immer noch vorhandene Begeisterung für die französische Revolution verbinden kann mit einer sehr positiven Sicht staatlicher Autorität.
237/238: Wie in der Revolution in Frankreich will man sich jetzt auch in der Bewegung der Romantik von den Anstrengungen erholen, dementsprechend gibt es „Gute Zeiten für Theater und Oper, sofern es dem Publikum leicht gemacht und auf große und grobe Effekte gesetzt wird.“  (237)
239: Hinweis auf die sich ausbreitende „gemütliche Geselligkeit“, wie sie sich in Clubs und Kaffeekränzchen zeigt.
240: Die Französische Revolution von 1830 bringt dann wieder etwas Bewegung, die sich von Heine bis Karl Marx zeigt. Das Prinzip ist jetzt: „Wovon wir geträumt haben, das müssen wir endlich tun.“ (241)
242: Formulierung von drei zentralen Voraussetzungen für eine Verbesserung der Lage:
zunächst einmal „Emanzipation des Fleisches“, also mehr Öffentlichkeit auch für das Erotische bzw. Sexuelle
zweitens die große Bedeutung der Gegenwart für Veränderung und eine geringere Verantwortung gegenüber der Vergangenheit
dann die Hinwendung der Persönlichkeit zur Gesellschaft, d.h. Bildung als ein „kollektives Unternehmen“ (242)
Die Veränderung kann man sehr gut erkennen, wenn man
Freiligraths These: „Gedichte steht auf einer höheren Warte / als auf den Zinnen der Partei.“ vergleicht mit
Herwegh, der in seinem Gedicht „Die Partei“ schreibt: „Partei! Partei! Wer sollte sie nicht nehmen, / die noch die Mutter aller Siege war! / Wie mag ein Dichter solch ein Wort verfemen, / ein Wort, das alles Herrliche gebar“. (242/243)
243ff: Hier verweist Safranski auf drei markante Entwicklungen im Jahre 1835
die erste Eisenbahn,
Gutzkows Roman „Wally die Zweiflerin“, in dem Nacktheit tatsächlich öffentlich gemacht wird
dann auf Seite 244 geht es um „Das Leben Jesu“ von David Friedrich Strauß, die Entmystifizierung des Neuen Testamentes und Reduzierung Christus‘ auf eine Idee. Er hat letztlich das vertreten, was Feuerbach später so formuliert: „Die Kandidaten des Jenseits sollten endlich zu Studenten des Diesseits werden.“ (245)
245/246: Interessant ist, dass Safranski bei Strauß einen romantischen Enthusiasmus sieht, der gewissermaßen vom Himmel auf die Erde heruntergeholt wird. Außerdem ist interessant, dass Strauß erstmals den Mechanismus der Entfremdung formuliert, der später bei Karl Marx zentrale Rolle spielen wird.
246ff: Ab hier geht Safranski dann genauer auf Karl Marx ein, der, wie er es formuliert, dem Proletariat eine philosophische Rolle zuweist. Ausführlich eingegangen wird auf die berühmte These: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ (247)
248/249: Hier geht der Verfasser ein auf den wissenschaftlichen Anspruch, der mit den Maxismus verbunden ist, weil dort „die Maschine der Gesetzmäßigkeit ungestört arbeiten“ soll (248). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Marxisten immer gegen Abweichler von der reinen Lehre vorgegangen sind.
249: „Die Träume die alsseitigen Befreiung bleiben romantisch, das persönliche Verhalten aber darf es nicht sein. Das Romantische wird in den objektiven Prozess investiert, die Subjekte aber müssen frei davon sein. So kommt es, dass in diesen Kreisen, die objektiv gesehen sozialromantisch sind, ‚romantisch‘ zum Schimpfwort wird“ (249)
249/245: Hier geht es um die politische Einstellung von Heine, der sich deutlich gegen den Nationalismus der vierziger Jahre wendet und der Meinung ist, man solle lieber Frankreich kulturell überflügeln. Er glaubt wirklich: „… ganz Frankreich wird uns alsdann zufallen, ganz Europa, die ganze Welt – die ganze Welt wird deutsch werden!“ (250) Hier kann man schon das Gefühl haben, dass man es mit „großen, wohltönenden Worten“ (251) « zu tun hat, die mit der machtpolitischen Realität nicht viel zu tun haben. im Zweifel folgt eben doch die Kultur der Macht, sonst sorgt die Macht schon dafür.
251: Zusammenfassung der Kritik an Heine, der immerhin von der französischen Regierung bezahlt wird. Safranski ist sich hier aber sicher, dass das nicht zu einer Abhängigkeit geführt hat. Hier hätte man sich eine genauere Begründung gewünscht.
252: Heines doppeltes  Bild der Romantik, eine der Nachtigall, eine der Passionszeit des Mittelalters. Auf Seite 253 wird dann genauer auf Heines „Die romantische Schule“ von 1835 eingegangen, wo dieses Doppelbild genauer entwickelt wird.
253: Heine sieht aber auch, dass die Zeit der Romantik vorbei ist, gezeigt wird das an der Figur des Atta Troll.
254: Gegensatz zwischen den Griechen und den Nazarenern: „Alle Menschen sind entweder… Menschen mit asketischen, bildfeindlichen, vergeistigungssüchtigen Trieben (Nazarener) oder Menschen mit lebensheiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen (Griechen).“ (254)
254: Heines Distanz sowohl zu der alten wie auch zu der neuen Romantik: „Die alten Romantiker waren vergangenheitsselig, die neuen sind zukunftsfromm, beide verfehlen die Gegenwart.“ (254)Aanschließend wird das Epikuräische herausgearbeitet, bei dem der Genuss des Lebens nicht auf das Jenseits verschieben wird.
254/255: Heine und seine Nähe zu den Saint-Simonisten, für die er gerne ein neuer Priester wäre, aber nicht zu deren Bedingungen. Heine will sich nicht zum Propagandisten machen lassen, sondern vertritt die Idee der Autonomie der Kunst.
255/256: Heines Sympathien für den Kommunismus ein Jahrzehnt später, allerdings auch hier sieht er die Gefahr, dass die Poesie nur eine Nebensache ist. Ansonsten fürchtet er sich „vor der Barbarei des Pöbels und der Ignoranz ihrer Wortführer Zitat“ (255). Auf Seite 265 gibt es recht interessante Überlegungen zu den Problemen von Revolutionen. Sehr schön ist die Formulierung: „Revolution ist erhaben nur, wenn man davon liest.“ (256) Das erinnert sehr an den Satz „Die Revolution frisst ihre Kinder“, eine Erkenntnis, die auf Büchners „Dantons Tod“ zurückgeht.
256: Heines negative Prognose eined Zukunft, in der es den Menschen zwar besser gehen wird, die deswegen aber nicht kulturfreundlicher sein wird, ganz im Gegenteil.
256/257: Überlegungen zur Berechtigung von Kunst in den Zeiten des Elends. Hier findet sich der sehr ausdrucksstarke Hinweis Hugo von Hofmannsthals: „Manche freilich müssen drunten sterben, / Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen, / Andere wohnen bei dem Steuer droben, / Kennen den Vogelfflug und die Länder der Sterne.“ (257)
Heine selbst hat sich am Ende seines Lebens mehr „als ein Dichter“ gefühlt, denn als „braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit“ (257).

Kap 13: (258ff): „Der jungdeutsche Wagner …“

Der Autor beginnt dieses Kapitel mit der Oper „Rienzi“, die den Anführer einer Volksbewegung im 14. Jahrhundert zum Thema hat, der versucht, gegen „das verkommene Rom“ (259) vorzugehen und damit auch zu einem Vorbild Hitlers wird.
259: Darstellung der Beteiligung Wagners an der Revolution von 1848
261: Idee eines Nibelungendramas – zwei Motive für eine neue Mythologie: „Zum einen sollte die Kunst zur Nachfolgerin der kraftlos gewordenen öffentlichen Religion werden.“ Zum anderen sollte „eine übergreifende Idee vom gesellschaftlichen Leben“ entwickelt und präsentiert werden.
265ff: Vorstellung von Inhalt und Konzept der Wiedererweckung bzw. Neubelebung des Nibelungenmythos
268ff: Darstellung der antisemitischen Vorstellungen und Äußerungen Wagners, allerdings mit der Einschränkung: dass Wagner „doch Kunstsinn genug bewies, um sein Werk im allgemeinen frei davon zu halten.“ (270) Hier ist eine Diskussion sicher sehr interessant über das Verhältnis von Autor und Werk, was weltanschauliche und politische Grundpositionen angeht.
270ff: Wagnes Idee eines Gesamtkunstwerks
272/3: Einflüsse Schopenhauers auf Wagner
273ff: Wirkung Wagners
274: Die eigentümliche Modernität Wagners – vor allem im Hinblick auf die Notwendigkeit von Werbung auch für Künstler
275: Safranski schließt dieses Kapitel mit dem Hinweis: „Die Mythenproduktion in der Moderne erheischt die Selbstmythologisierung des Produzenten […] Mit Wagner beginnt im großen Stil der Personenkult.“ (275)

Kap 14: (276ff): „Nietzsche über Wagner …“

276ff: Die erste Phase der Beziehung zwischen Wagner und Nietzsche, der sieht den Kontakt mit dem Meister als „erste Weltumsegelung der Kunst“ wegen des umfassenden Ansatzes
277/278: Negative Sicht auf die zeitgenössische Kultur in Europa, für die Wagner nach Auffassung von Nietzsche eine Antwort bereit hält
279: Überheblichkeit der Realismus- und Fortschrittsbegeisterten, die keine Ahnung haben, was im Jahrhundert der Totalitarismen noch auf die Menschheit zukommt – völlig abgelöst von allen Prinzipien der Aufklärung, ja im direkten Gegensatz zu ihnen
281: Karl Marx als Wandler zwischen Idealismus (was die Möglichkeiten der Arbeiterklasse angeht) und Determinismus (was die Zwanghaftigkeit der geschichtlichen Entwicklung angeht)
281/2: Nietzsche gegen David Friedrich Strauß und dessen engen, an Naturwissenschaft und Technik orientierten Fortschrittsbegriff, Kultur wird allenfalls als „linderndes Öl“ (282) gebraucht. Solche Leute nennt Nietzsche „Bildungsphilister“ (282).
„Für Nietzsche ist die Natur das schlechthin Ungeheure.“ (283)
283/4: Kritik auch am Historismus
285ff: Nietzsches Gegenkonzept des Dionysischen – mit besonderer Bedeutung der Musik
287: Besondere Bedeutung der Musik
287/288: Erinnerung an Schillers Kritik an einer Haltung, die er als „freche Mode“ bezeichnet, demgegenüber steht der „schöne Götterfunke“ (287)
288: Die tragische Dimension der Welt – angelehnt an das Beispiel des Kindes des altgriechischen Philosophen Heraklit
288: Doppelter Abgrund für die menschliche Existenz: Unerbittlichkeit, Grausamkeit sowohl der Geschichte wie auch der Natur
288/9: Nietzsches Idee: „der metaphysische Trost“ (288), Kritik an einer vordergründigen Moral
290/1: die „Verzückungsspitze“ als Maximum dessen, was der Mensch erreichen kann, in Wagners Musikdramen sieht Nietzsche die Möglichkeit dazu; von der Umsetzung in Bayreuth ist er aber stark enttäuscht
292: Kant und die Romantik
293: Nietzsche: „Dionysische Weisheit“ zwischen Lust und Ekel
294: Odysseus bei seiner Begegnung mit den Sirenen als Modell des Umgangs mit der Wirklichkeit
295: Distanzierung Nietzsches von Wagner, als der im Umfeld des „Parsifal“ sich christlichen Heilshoffnungen annähert
297: Nietzsches „Zarathustra“ als „geistige Instanz, die er bewußt zur Gestaltung und Sinngebung des eigenen Lebens einsetzt“
298: Unterschied zwischen Nietzsches Atheismus und dem Nilismus
298ff: Nietzsches Idee von der Wiederkehr der Situationen und Erfahrungen
299: Erinnerung an Schillers Vorstellung von der Bedeutung des Spielens für den Menschen, der Mensch ist aufgefordert, sein eigenes Leben zu einem Kunstwerk zu gestalten, womit man bei Safranskis Goethe-Biografie ist
300/1: Nietzsches ironische Distanz zu sich selbst

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