Alfred Lichtenstein, “Sonntagnachmittag” (Mat4537-ed)

Anmerkungen zur Strophe 1 des Gedichts „Sonntagnachmittag“

Auf faulen Straßen lagern Häuserrudel,
Um deren Buckel graue Sonne hellt.
Ein parfümierter, halbverrückter kleiner Pudel
Wirft wüste Augen in die große Welt.

Anm:

Gleich in der ersten Strophe wird ein negatives Bild von der Stadt präsentiert, wobei es eine bildliche Vermischung von Tierischem, Menschlichem und Sachlichem gibt.

Man hat den Eindruck einer verfallenen Welt („graue Sonne“).

Demgegenüber steht ein „kleiner Pudel“, der offensichtlich overdressed ist – zumindest im Hinblick auf den Umgang mit ihm „parfürmiert“. Das „halbverrückt“ deutet wohl auch auf die Leute hin, die ihn halten.

Anmerkungen zur Strophe 2

In einem Fenster fängt ein Junge Fliegen.
Ein arg beschmiertes Baby ärgert sich.
Am Himmel fährt ein Zug, wo windge Wiesen liegen;
Malt langsam einen langen dicken Strich.

Anm:

In der zweiten Strophe setzt sich der Eindruck von Verwahrlosung fort – vor allem im Hinblick auf die offensichtlich vernachlässigte Jugend.

Die letzten beiden Zeilen stellen dann auch physikalisch alles auf den Kopf.

Anmerkungen zur Strophe 3

Wie Schreibmaschinen klappen Droschkenhufe.
Und lärmend kommt ein staubger Turnverein.
Aus Kutscherkneipen stürzen sich brutale Rufe.
Doch feine Glocken dringen auf sie ein.

Anm:

Die dritte Strophe wendet sich dann der Arbeits- bzw. Erwachsenenwelt zu. Nicht ganz klar ist die letzte Verszeile – man kann aber wohl darauf ausgehen, dass „feine Glocken“ gegen „brutale Rufe“ nicht ankommen.

Anmerkungen zur Strophe 4

In Rummelplätzen, wo Athleten ringen,
Wird alles dunkler schon und ungenau.
Ein Leierkasten heult und Küchenmädchen singen.
Ein Mann zertrümmert eine morsche Frau.

Anm:

Die letzte Strophe thematisiert dann die Welt des billigen Vergnügens – ein gewisser negativer Abschluss wird zum einen dadurch erreicht, dass es zunehmend „dunkler“ wird, zum anderen dadurch, dass nicht eindeutig ist, ob die „morsche Frau“ eine Figur ist oder doch real.

Auf jeden Fall wirkt der Schluss menschenverachtend.

Zusammenfassung

Insgesamt ein typisch expressionistisches Gedicht, das von vielen kleinen Einfällen lebt, aber letztlich kaum über das hinauskommt, was man von Gedichten dieser Zeit erwartet, nämlich eine äußerlich wie innerlich kaputte Welt zu zeigen.

Künstlerische fragwürdig ist die Zeile mit dem Baby. Zu diesem Alter passt Ärger eigentlich nicht als Gefühlsregung, die setzt nämlich viel zu viel Bewusstheit voraus.

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