Schnell durchblicken: Georg Heym, „Der Abend“ (Mat4701)

Worum es hier geht:

Dieses Gedicht beschäftigt sich mit Naturphänomenen – man kann aber zumindest hypothetisch aus ihm auch eine bestimmte allgemeine Stimmung der Zeit herauslesen.

Allgemeines zum Dichter

  • Georg Heym ist einer der bekanntesten Dichter des Expressionismus und noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges beim Schlittschuhlaufen tödlich verunglückt.

Äußere Form

Versunken ist der Tag in Purpurrot,
Der Strom schwimmt weiß in ungeheurer Glätte.
Ein Segel kommt. Es hebt sich aus dem Boot
Am Steuer groß des Schiffers Silhouette.
Auf allen Inseln steigt des Herbstes Wald
Mit roten Häuptern in den Raum, den klaren.
Und aus der Schluchten dunkler Tiefe hallt
Der Waldung Ton, wie Rauschen der Kitharen.
Das Dunkel ist im Osten ausgegossen,
Wie blauer Wein kommt aus gestürzter Urne.
Und ferne steht, vom Mantel schwarz umflossen,
Die hohe Nacht auf schattigem Kothurne.
  • Das Gedicht besteht aus drei Strophen
  • mit jeweils vier Versen
  • und ist sehr traditionell aufgebaut,
  • mit durchgehendem Kreuzreim
  • und fünfhebigen Jamben.

Die Überschrift

Der Abend

  • … gibt nur den Hinweis, dass es in dem Gedicht um eine bestimmte Tageszeit, den Abend geht.
  • Es wird zu prüfen sein, ob das eine übergeordnete Bedeutung steht,
  • also irgendetwas mit Tod oder Weltuntergang zu tun hat, beliebten Themen des Expressionismus.

Strophe 1

Versunken ist der Tag in Purpurrot,
Der Strom schwimmt weiß in ungeheurer Glätte.
Ein Segel kommt. Es hebt sich aus dem Boot
Am Steuer groß des Schiffers Silhouette.
  • Die erste Zeile wirkt sehr konventionell,
  • die zweite ist dann schon origineller und beschreibt wohl Lichteffekte auf einem großen Fluss.
  • Die letzten beiden Zeilen der ersten Strophe haben dann nicht mehr so viel mit Naturphänomenen zu tun, es geht wohl eher um das Aufsuchen des sicheren Hafens und das Näherkommen eines Segelbootes.

Strophe 2

Auf allen Inseln steigt des Herbstes Wald
Mit roten Häuptern in den Raum, den klaren.
Und aus der Schluchten dunkler Tiefe hallt
Der Waldung Ton, wie Rauschen der Kitharen.
  • Die zweite Strophe weitet dann den Blick auf Inseln, was zunächst nicht so recht zu einem „Strom“ passt. Vielleicht ist ein sehr breiter Strom gemeint.
  • Mit dem Herbst kommt auf jeden Fall ein zweites Motiv hinzu, das wie „Abend“ auf Ende und still werdendes Leben hindeutet.
  • Mit den „roten Häuptern“ sind wohl wie in der ersten Zeile spezielle Lichteffekte am Abend gemeint, die möglicherweise mit der Herbstfärbung der Wälder zu tun haben.
  • Dazu kommt die Empfindung von Tönen, was die dunklen Schluchten angeht. Das wird verglichen mit altgriechischen Saiteninstrumenten.

Strophe 3

Das Dunkel ist im Osten ausgegossen,
Wie blauer Wein kommt aus gestürzter Urne.
Und ferne steht, vom Mantel schwarz umflossen,
Die hohe Nacht auf schattigem Kothurne.
  • Die letzte Strophe verbindet dann das Dunkel des Abendhimmels mit verschüttetem Wein. Die Farbe „blau“ entspricht den Farbspielen der expressionistischen Maler, um innere Empfindungen auszudrücken.
  • Der Schluss gehört einer starken Personifizierung der Nacht, die über den Kothurn, einen speziellen Bühnenschuh der Schauspieler des griechischen Theaters, die sie größer erscheinen lassen, ins Mythologische und potenziell Tragische geht.

Zusammenfassung

  • Insgesamt ein Gedicht, das Naturphänomene eines Abends assoziativ mit inneren Gefühlen und Erlebnissen verbindet.
  • Wenn von „ungeheurer Glätte“ (I,2), „der Schluchten dunkler Tiefe“ (II,3) die Rede ist und „ferne“ (III,3), „vom Mantel schwarz umflossen /  Die hohe Nacht auf schattigem Kothurne“ (III,3/4) steht, dann merkt man, dass hier den einfachen Naturereignissen eine ins Mystische gehende Bedeutung zugeschrieben wird, alles wird überhöht. Dazu passt auch die „groß“ (I,4) wirkende Silhouette des heimkehrenden Schiffers.
  • Höchstens als Vermutung kann man äußern, dass diese Herbststimmung etwas zu tun hat mit den Untergangsstimmungen, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg viele expressionistische Dichter bestimmt haben.

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