Schnell durchblicken: Goethe: „Dornburg September 1828“. Früh wenn Tag …“ (Mat7050)

Worum es hier geht:

Diese Seite  präsentiert und interpretiert ein Gedicht des schon fast 80jährigen Goethe – mit dem Titel: „Dornburg September 1828“. Früh wenn Tag …“

Es deutlich macht, dass Goethe immer noch wie in seiner Jugend die ihn umgebende Natur sorgfältig beobachtet – zugleich aber auch symbolisch wertet und zum Gegenstand einer allgemeinen Reflexion macht – die aber nur angedeutet wird.

Zunächst der Text des Gedichtes

J. W. v. Goethe

Dornburg, September 1828

 

Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten

Nebelschleiern sich enthüllen,

und dem sehnlichsten Erwarten

Blumenkelche bunt sich füllen;

 

Wenn der Äther, Wolken tragend,

Mit dem klaren Tage streitet,

Und ein Ostwind, sie verjagend,

Blaue Sonnenbahn bereitet,

 

Dankst Du dann, am Blick dich weidend,

Reiner Brust der Großen, Holden,

Wird die Sonne, rötlich scheidend,

Rings den Horizont vergolden.

 

 

Interpretation des Gedichtes

Zur ungewöhnlichen Überschrift des Gedichtes

Im Unterschied zu den meisten Gedichten hat dieses eine Überschrift, die sowohl den Ort als auch die Zeit der Entstehung angibt. Goethe ist schon fast 80 Jahre alt und beschreibt in diesem Gedicht, was er in der Umgebung eines Schlosses, das er häufig besucht hat, beobachtet und erlebt hat.

Allgemeiner Überblick über das Gedicht

Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils vier Zeilen.  Der Aufbau ist sehr regelmäßig, sofort zu erkennen ist der Kreuzreim, bei näherem Hinsehen stellt man dann auch fest, dass das Versmaß durchgehend ein vierhebiger  Trochäus ist.  Die Versenden  sind jeweils weiblich, das heißt, sie enden auf einer unbetonten Silbe.  Insgesamt also ein Gedicht, dessen Reiz weniger in der Form als vielmehr im Inhalt und in der Sprache liegen dürfte

Die erste Strophe

Das Gedicht beginnt gleich in der ersten Zeile mit der deutlichen Hervorhebung des Zeitpunktes seiner Entstehung, es folgt dann in Form eines langen Nebensatzes die nähere Beschreibung dessen, was den Sprecher in dieser speziellen Situation besonders beeindruckt: drei Schauplätze werden genannt: „Tal, Gebirg und Garten“ (1), die alle Bestandteil eines Naturschauspiels werden: Der Morgennebel verschwindet langsam und überall sieht man die bunte Natur was hier eher ungewöhnlich ausgedrückt wird, wenn Goethe „Blumenkelche“ sich bunte füllen lässt. Streng genommen kein er ja nicht wirklich sehen, was sich direkt in den Blumen abspielt, ihn bietet sich einfach ein Bild, das zunehmend bunter wird, und er verbindet das mit der Vorstellung von Kelchen, also Trinkgefäßen, die gefüllt werden.

Es gibt in dieser ersten Strophe noch eine zweite besonders künstlerische Ausdrucksweise, die auffällt: nämlich die Beschreibung des verschwindenden Nebels.  Die Landschaft wird mit einer Person verglichen, die sich von einer Verhüllung befreit, wobei es eigentlich heißen müsste: „von Nebelschleiern“.  Aber Goethe kam es wohl auf solche Kleinigkeiten nicht an, für ihn stand das im Vordergrund, was ihn besonders umtrieb, nämlich die Erwartung des kommenden Tages, besonders durch den Superlativ „sehnlichsten“ verstärkt.

Die zweite Strophe

Die zweite Strophe beginnt im Prinzip ähnlich wie die erste, sieht man einmal von dem Verzicht auf die vorangestellte Zeitangabe ab, hat also einen ganz ähnlichen Aufbau: inzwischen ist die Entwicklung am Morgen weiter fortgeschritten, die Nebel sind verflogen, jetzt sind es Wolken, die noch mit dem „klaren Tage“, also einem sonnigen Spätsommertag, kämpfen. Die letzten beiden Zeilen zeigen dann auch, dass an diesem Tag nur die Sonne Sieger sein kann.

Die letzte Strophe

Die letzte Strophe ist dann ganz anders aufgebaut, sie sagt nun endlich, was im Sprecher an einem solchen Tag und angesichts einer solchen Entwicklung in der Natur vorgeht: Was ihn erfüllt angesichts einer solchen Schönheit, ist Dank. Nicht ganz klar auf den ersten Blick ist, wem gegenüber dieses Dankgefühl empfunden wird.

Wenn man das Wort „hold“ hört, möchte man zunächst an eine Frau denken, die Goethe beschäftigt, dafür spricht vor allem, dass Goethe ja bis ins hohe Alter hinein sehr intensiv geliebt hat.  Dagegen spricht aber die Verbindung des „Holden“ mit dem „Großen“ – und wenn dann noch die „reine Brust“ betont wird, dann merkt man, dass es hier um mehr geht als um einen einzelnen Menschen.

Am leichtesten verständlich werden die beiden Zeilen wohl, wenn man sie auf die Natur bezieht, deren Auswirkungen ja in den ersten beiden Strophen beschrieben wurden.  Vielleicht kann man auch noch einen Schritt weiter gehen und die Natur als Stellvertreter einer höheren Macht nehmen. Hierzu würde die „reine Brust“, die ja soviel wie Unschuld, Freiheit von Sünden bedeutet, gut passen,

Die Bedeutung des Schlusses

Noch schwieriger zu verstehen sind die letzten beiden Zeilen der dritten Strophe: hier wird ja erst endgültig der Hauptsatz präsentiert, also gesagt, was denn nun wirklich wichtig ist, wenn diese zwei Voraussetzungen erfüllt sind: erstens ein ganz bestimmter Natureindruck, zweitens eine entsprechende Einstellung in Sprecher.

Was man relativ leicht verstehen kann, ist die letzte Zeile.  Hier ist davon die Rede, dass der Horizont vergoldet wird, das versteht man am einfachsten so, dass alles um den Sprecher herum schön wird.  Dass das von der Sonne bewirkt wird, wie es in der Zeile davor heißt, ist auch noch leicht verständlich. Der Schlüssel zum ganzen Gedicht liegt in den beiden Wörtern „ rötlich scheidend“, denn das bezieht sich ganz eindeutig auf den Abend, die dem Anfang des Gedichtes entgegengesetzte Situation.

Hier liegt ganz eindeutig ein zeitlicher Sprung vor, das Gedicht umspannt den gesamten Zeitraum vom Morgen bis zum Abend, wobei der Schluss eine Zukunftsvorstellung bedeutet, das heißt, der Sprecher bleibt in der Situation am Morgen, stellt sich aber schon vor, was am Abend sein wird.  Was er offensichtlich ausdrücken will, ist, dass, wenn er gegenüber der Schönheit des Morgens die richtige Einstellung, nämlich Dankbarkeit, aufbringt, dann auch der Abend noch schön wird.

Ausweitung der Bedeutung des Schlusses

Es liegt nahe, Goethes Blick in die Zukunft noch auszuweiten. Immerhin befindet er sich bereits in einem Alter, das ihm nicht mehr viel Zeit lässt.  Offensichtlich will er sich Mut machen für die Zukunft. Wenn er in der schönen Gegenwart die richtige Einstellung entwickelt, dann wird auch die letzte Zeit seines Lebens schön werden.

Abschließende Zusammenfassung des Inhalts, der Absicht des Textes

Insgesamt ein Gedicht, das in den ersten zwei Strophen nichts anderes tut, als eine wiederkehrende Naturerscheinung zu beschreiben. In der letzten Strophe kommt dann eine ganze Lebenseinstellung zum Ausdruck, die für Goethe wohl typisch war und ist. Er nimmt nicht nur sehr genau die ihn umgebende Wirklichkeit, hier die schöne Natur, auf, sondern er bemüht sich auch um eine schon fast religiöse Einstellung ihr gegenüber. Es ist ihm wichtig, nicht nur zu erleben, sondern auch für alles Positive dankbar zu sein.  Eine solche Einstellung ist für ihn zugleich die Voraussetzung einer Belohnung, nämlich, dass dann auch die eigene Zukunft schön wird.

Sinnzuweisung: Frage, welche Bedeutung das Gedicht noch heute haben kann

Auch wenn heutige Schüler mit dem alten Goethe sicher nicht viel verbindet, die Einstellung, die dieser fast 80-jährige Mann hier vor fast zweihundert Jahren zu einem Gedicht verarbeitet hat, ist auch heute noch gültig: das Leben wird schöner, wenn man intensiv erlebt, und es wird noch schöner, wenn man sich klarmacht, dass es ein Geschenk ist. Zwar hat man sicher keine Garantie dafür, dass das Leben dann auch schön bleibt, aber die Voraussetzungen dafür sind sicher günstiger, als wenn man nur einfach vor sich hin lebt und alles als ganz selbstverständlich betrachtet.

Überlegungen zum künstlerischen Charakter des Gedichts

Zum Schluss noch ein paar Überlegungen zum künstlerischen Charakter des Gedichts: auf die Regelmäßigkeit der Form, die fast schon ein bisschen langweilig, eintönig wirkt, ist schon hingewiesen worden. Was dieses Gedicht auszeichnet, unverwechselbar macht, ist vor allem der besondere Aufbau, die lang gezogene Spannung der „wenn“- Sätze der ersten beiden Strophen, die sich noch bis in die dritte Strophe ihn einzieht, bevor dann in den letzten beiden Zeilen eine große Beruhigung eintritt, die Erwartung, die vor der ersten Strophe schon gegeben ist, hat sich erfüllt, der Sprecher ist glücklich und auch in Bezug auf die Zukunft beruhigt.

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