Beispiel für eine Klassenarbeits-Lösung: Jürgen Theobaldy, Nah bei der Boutique
Aufgabenstellung zum Gedicht
Besonderheit: Der Text wird den Schülern präsentiert ohne die letzte Strophe – dazu gibt es eine kreative Aufgabe.
Die Originalfassung ist zum Beispiel hier zu finden.
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Es geht um das Gedicht „Nah bei der Boutique“ von Jürgen Theobaldy
1. Zeige die wichtigsten künstlerischen Mittel, die Jürgen Theobaldy in dem Gedicht verwendet!
2. Was soll das Gedicht? Was ist inhaltlich das Besondere an dem Gedicht?
3. Füge dem Gedicht noch eine weitere abschließende Versgruppe Strophe hinzu und
4. erläutere Deine Lösung!
Hinweise zur Lösung der Aufgaben
zu 1: Zeige die wichtigsten künstlerischen Mittel, die Jürgen Theobaldy in dem Gedicht verwendet!
Das Gedicht besteht in der vorliegenden Form aus vier Versgruppen á fünf Zeilen hat keine feste Form. Es ist weder ein durchgängiges Versmaß erkennbar noch gibt es ein Reimschema. Auch sonst gibt es kaum deutlich hervorgehobene künstlerische Mittel, wie sie für viele andere Gedichte kennzeichnend sind. Allenfalls fällt auf, dass die Personen nur sehr allgemein vorgestellt werden („Der Mann“, 1, „die Leute“, 3,6,11). Das passt gut zum Inhalt, wo die Menschen ja auch keinen näheren Kontakt zueinander aufnehmen. Was noch auffällt, sind Wiederholungen, bei denen jeweils der Bezugspunkt gewechselt wird. So sind die Leute „hilflos“ wie der Mann (3), und so wie einer „wartet“, „warten“ (11) auch alle anderen, dass andere kommen und helfen. Das könnte zeigen, dass alle eigentlich zusammengehören, ohne dass aber Positives geschieht. Sehr gelungen ist auch der Vergleich der Situation mit einem „Bild“ (13). Dadurch wird gut ausgedrückt, dass die Leute nicht persönlich betroffen sind, sondern Distanz behalten.
zu 2: Was soll das Gedicht? Was ist inhaltlich das Besondere an dem Gedicht?
Das Gedicht soll sicherlich zeigen, wie die meisten Menschen sich verhalten, wenn mitten in ihrem Alltagsleben plötzlich ein anderer Mensch aus dem Rahmen fällt und Hilfe braucht. Keiner greift ein, alle warten darauf, dass die Hilfe leisten, die nach ihrer Meinung dafür zuständig („in Uniform“, 12) sind. Wichtig ist, dass aber keine direkte Kritik geäußert wird, vielmehr wird eher Verständnis für die Leute deutlich. Denn auch ihre Hilflosigkeit wird ja betont, auch, dass sie durch die Umstände „beklommen“ und „hart“ gemacht werden. Die Kritik richtet sich also nicht so sehr direkt an die konkreten Leute als an die allgemeinen Verhältnisse, die Menschen so werden lassen.
Zu den Aufgaben 3 und 4
3. Füge dem Gedicht noch eine weitere abschließende Versgruppe Strophe hinzu und
4. erläutere Deine Lösung!
Möglichkeiten für Aufgabe 3 und 4
Variante 1:
Die Leute drängen in den Bus hinein.
Kurz schaut der Fahrer auf den Mann
und drückt die Taste, ruft die Polizei.
Die Fahrt geht weiter, und ein jeder
tut so, als sei nichts geschehn.
Begründung:
Der Dichter Jürgen Theobaldy glaubt nicht daran, dass der Betrunkene Hilfe von den Passanten bekommt. Ich sehe es einmal an den Adjektiven „hilflos“, „wortlos“, „beklommen“ und „hart“. Zum anderen weist die letzte Zeile der dritten Strophe darauf hin: „Dann taucht der Stadtbus auf“. Deshalb habe ich das Gedicht in diesem Sinne weitergeführt. Die Erwartung der Leute erfüllt sich. Sie brauchen nicht zu helfen, die Hilfe kommt durch einen „in Uniform“.
Variante 2
… und alle Leute steigen ein
der Bus fährt ab
der Mann liegt immer noch da
und ich denke:
Jeder lebt für sich allein.
Eine sehr gute Lösung, weil man den Schluss besonders kritisieren kann. Der Sprecher tut nämlich auch nichts, ergeht sich aber in moralisch-kritischen Gedanken.
Variante 3
Der Mann, der wackelt hin und her
besteigt den Stadtbus,
auch ich steige ein,
jetzt sind die Leute uns los
Beide!
Diese Lösung scheint auf den ersten Blick gar nicht zu passen, sie bekommt allenfalls Sinn, wenn sie impliziert, dass der Sprecher dem Mann doch geholfen hat. Das müsste aber deutlicher herauskommen.
Besprechung des Original-Endes
elend in der Mittagssonne, nah
bei der Boutique, wo sich die junge Frau
in Fenster beugt und das glitzerne
Jackett aus seinen Augen nimmt.
Anmerkungen dazu:
Noch einmal Hinweis auf den Sinn unserer Unternehmung: Man versteht ein Gedicht erst richtig bzw. besser, wenn man klärt, welche der unendlich vielen Möglichkeiten der Autor realisiert hat.