Schnell durchblicken: Kafka, „Die Prüfung“ – selbstverschuldete Sinnlosigkeit? (Mat5844)

Worum es hier geht:

Vorgestellt wird eine Parabel Kafkas, die in besonderer Weise die möglicherweise selbstverschuldete Sinnlosigkeit der Existenz eines Menschen darstellt.

Zu finden ist die Geschichte u.a. hier.
https://www.textlog.de/32082.html

Gliederung und Erläuterung der Erzählschritte:

Franz Kafka,

Die Prüfung

  1. Ausgangssituation
    Ich bin ein Diener, aber es ist keine Arbeit für mich da. 

    • Beschreibung der Ausgangssituation, aus der Ich-Perspektive, untergeordnetes Amt ohne Beschäftigung
  2. Ich bin ängstlich und dränge mich nicht vor, ja ich dränge mich nicht einmal in eine Reihe mit den andern,
    • Reflexion des eigenen Charakters und Verhaltens,
      Ängstlichkeit und Zurückhaltung als eine mögliche Ursache der Beschäftigungslosigkeit
  1. aber das ist nur die eine Ursache meines Nichtbeschäftigtseins, es ist auch möglich, dass es mit meinem Nichtbeschäftigtsein überhaupt nichts zu tun hat, die Hauptsache ist jedenfalls, dass ich nicht zum Dienst gerufen werde, andere sind gerufen worden und haben sich nicht mehr darum beworben als ich, ja haben vielleicht nicht einmal den Wunsch gehabt, gerufen zu werden, während ich ihn wenigstens manchmal sehr stark habe.
    • Reflexion über andere mögliche Gründe, weil andere Leute sich offensichtlich nicht mehr engagiert haben als er selbst und trotzdem gerufen worden sind.
  2. Reaktion auf die Situation
    So liege ich also auf der Pritsche in der Gesindestube, schaue zu den Balken auf der Decke hinauf, schlafe ein, wache auf und schlafe schon wieder ein.

    • Eintönigkeit, Einfallslosigkeit
  3. Manchmal gehe ich hinüber ins Wirtshaus, wo ein saures Bier ausgeschenkt wird, manchmal habe ich schon vor Widerwillen ein Glas davon ausgeschüttet, dann aber trinke ich es wieder.
    • Schwankendes Verhalten
  4. Ich sitze gern dort, weil ich hinter dem geschlossenen kleinen Fenster, ohne von irgendjemandem entdeckt werden zu können, zu den Fenstern unseres Hauses hinübersehen kann. 
    • Sehnsucht nach dem Arbeitsplatz
  5. Man sieht ja dort nicht viel, hier gegen die Straße zu liegen, glaube ich, nur die Fenster der Korridore und überdies nicht jener Korridore, die zu den Wohnungen der Herrschaft führen. 
    • Beschränktheit des Einblicks
  6. Es ist möglich, dass ich mich aber auch irre, irgendjemand hat es einmal, ohne dass ich ihn gefragt hätte, behauptet und der allgemeine Eindruck dieser Hausfront bestätigt das.
    • Selbstzweifel sogar bei Detailfragen
  7. Selten nur werden die Fenster geöffnet, und wenn es geschieht, tut es ein Diener und lehnt sich dann wohl auch an die Brüstung, um ein Weilchen hinunterzusehn.
    • Kurzer Einblick ins Alternativdasein von Tätigkeit
  8. Es sind also Korridore, wo er nicht überrascht werden kann.
    • Spekulation über das Verhalten anderer Leute
  9. Übrigens kenne ich diese Diener nicht, die ständig oben beschäftigten Diener schlafen anderswo, nicht in meiner Stube.
    • Hervorhebung der geringen Einblicke in die gewünschten Verhältnisse
  10. Wechsel von der allgemeinen Situation zu einem besonderen Ereignis
    Einmal, als ich ins Wirtshaus kam, saß auf meinem Beobachtungsplatz schon ein Gast. Ich wagte nicht genau hinzusehn und wollte mich gleich in der Tür wieder umdrehn und weggehn. 

    • Unterwürfigkeit, Verklemmtheit
  11. Aber der Gast rief mich zu sich, und es zeigte sich, dass er auch ein Diener war, den ich schon einmal irgendwo gesehn hatte, ohne aber bisher mit ihm gesprochen zu haben.
    • Kontrast: Aktivität derer, die in Beschäftigung sind
  12.  „Warum willst du fortlaufen? Setz dich her und trink! Ich zahl’s.“ So setzte ich mich also.
    • Freundlichkeit des anderen Dieners
  13. Prüfung mit seltsamem Ergebnis
    Er fragte mich einiges, aber ich konnte es nicht beantworten, ja ich verstand nicht einmal die Fragen.

    • Seltsame Unfähigkeit des Ich-Erzählers
  14. Ich sagte deshalb: „Vielleicht reut es dich jetzt, dass du mich eingeladen hast, dann gehe ich“, und ich wollte schon aufstehn. 
    • Erneute Zurückhaltung/Spekulation
  15. Aber er langte mit seiner Hand über den Tisch herüber und drückte mich nieder: „Bleib“, sagte er, „das war ja nur eine Prüfung. Wer die Fragen nicht beantwortet, hat die Prüfung bestanden.“
    • Paradoxe Auskunft des Dieners

 

Diese Parabel zeigt

  • das Unglück eines Menschen, der zwar ein Amt hat, aber nicht eingesetzt wird.
    Wenn man sich mit Kafkas Parabeln auskennt, könnte man das gut auf den Menschen allgemein beziehen. Er fühlt sich in einer Situation, in der er etwas Sinnvolles tun könnte, findet aber keine Gelegenheit dazu.
    Er gerät dadurch in eine Situation der Sinnlosigkeit.
  • Wie ein Mensch sich mit dieser Situation ab findet. Eine mögliche Ursache erkennt er selbst, nämlich zu geringes Engagement.
  • Anschließend tut er, war alles, um nach unbekannten anderen Gründen zu suchen.
  • Das könnte man so verstehen, dass er eigentlich nur eine Rechtfertigung für seine Untätigkeit sucht.
  • Am Ende gibt es dann doch noch mal eine Unterbrechung seines eintönigen Daseins. Er kommt in Kontakt mit einem Diener, der also im Vergleich zu ihm eine höhere Position hat.
  • Der ist auch großzügig zu ihm, gib ihm einen aus.
  • Das Gespräch verläuft dann allerdings wiederum sehr einseitig. Nur der Diener fragt, der nicht Beschäftigte (nB) stellt nur fest, dass er die Fragen nicht beantworten kann.
  • Am Ende dann die paradoxe Wendung: Dem nB wird zu seinem Erstaunen bescheinigt, dass er die Prüfung bestanden hat.
  • Dafür gibt es ene jeder Normalität widersprechende Erklärung, dass gerade das Nicht-antworten-Können zum Bestehen der Prüfung führt.
  • Eigentlich erwartet man jetzt als Leser noch irgendeine positive Weiterführung. Die erfolgt aber nicht. Eine hypothetische Erklärung könnte sein, dass der uB gewissermaßen das vorher schon fertige Urteil über sich selbst und seine Situation bestätigt hat.
  • Letztlich würde das bedeuten, dass hier eine Drei-Schichten-Gesellschaft vorliegt:
    • ganz oben eine Art Herrschaft,
    • darunter die Beschäftigten, die Diener,
    • und darunter die Nicht-Beschäftigten.
  • Es entsteht der Eindruck, dass diese unbefriedigende Situation unabänderlich ist. Ob die anderen Schichten glücklicher sind, bleibt ungeklärt, da der uB die Chance verpasst, den Diener danach zu fragen.
  • Diese Geschichte gehört anscheinend zu denen unter den Parabeln Kafkas, die eine gewisse Hoffnungslosigkeit ausstrahlen. Das Ganze wird existenzialistisch, der Mensch ist in seine Situation hineingeworfen und kann sie weder verbessern noch aus ihr entrinnen. Denn ein möglicherweise unglückliches Verhalten gehört zu seinem Wesen dazu, ist gewissermaßen ein negatives Talent zum Unglücklich-Sein.
  • Kreativität:
    Man könnte diese Geschichte schön im Sinne Kafkas weiterschreiben, indem jetzt auch das spezielle Unglück der Herren und der beschäftigten Diener deutlich wird.