Schnell durchblicken: Was sollte man von der frühen Neuzeit wissen (Mat8277)

1       Die Neuzeit I – zwischen Rückgriff und Vorwegnahme

1.1.1     Der große Aufbruch

Auch wenn wir uns zeitlich immer weiter von Kolumbus, Kopernikus und Martin Luther entfernen – um 1500 n. Chr. veränderte sich die Welt Europas in einer Richtung, die uns noch heute bestimmt: Die Menschen lösen sich aus überirdischen, religiösen Bindungen und wenden sich selbstbewusster der Welt zu, erforschen sie und machen sie sich zunehmend auch untertan.

1.1.2     Die Schattenseiten

Nach den Kämpfen um mehr Freiheit und Selbstbestimmung zeigen sich dann zunehmend auch die Schattenseiten des Fortschritts: Bindungslosigkeit, was auch Schutzlosigkeit bedeutet, die Bereitschaft, auch für irdische Ziele jede Art von Gewalt und Terror anzuwenden – was man „Dialektik der Aufklärung“ genannt hat: Man will das Gute und greift dabei auch zu bösen Mitteln – bzw. der Fortschritt produziert auch ganz neue Gegengewalten.

Beginnen wir mit einem Rückblick auf die Zeit vor Beginn der Neuzeit:

1.2       Die Welt des Mittelalters

1.2.1     Die Herrschaft des Christentums

Beherrschend waren im Mittelalter das Christentum und vor allem seine Institutionen – vom Papsttum bis hin zur Inquisition mit ihrer fürchterlichen Ketzerverfolgung, der alles zum Opfer fiel, was den Kirchenoberen nicht gefiel – vor allem jede Erinnerung an die frühchristliche Armut.

Viele wurden nämlich als Ketzer verfolgt, nur weil sie zum einfachen Leben des frühen Christentums zurückwollten. Das galt zum Beispiel für die südfranzösischen Katharer, von denen sich der Begriff der Ketzer ableitet und gegen die Anfang des 13. Jahrhunderts ein regelrechter Kreuzzug gestartet wurde.

1.2.2     … und die Folgen für die Wissenschaft

Wenn man schon bei den Ketzern ist, ist es bis zu Galilei und seinem berühmten Spruch: „Und sie bewegt sich doch“ nicht weit. Damit meinte er die Sonne, die für ihn nicht mehr um die Erde kreiste, sondern umgekehrt. Das war eine ungeheure Infragestellung der christlichen Lehre, die sich an der Bibel und ihrem Weltbild orientierte. Wurde auch nur ein Detail infragegestellt, zum Beispiel der Befehl des alttestamentarischen Heerführers Josua (weil er noch Zeit für einen Sieg brauchte) „Sonne, stehe still…“ – dann begann die ganze Heilsgeschichte zu rutschen. Was sollte man dann noch glauben. Man kann also verstehen, dass die Kirche auf der Wahrheit ihrer Glaubensgrundlagen beharrte, aber dem Fortschritt der Erkenntnis war das nicht förderlich.

1.2.3     Wissenschaft ohne Experimente

Was für die Astronomie galt, galt für die gesamte Wissenschaft: Das gesamte christliche Mittelalter war durch eine besondere Art der Erkenntnisgewinnung bestimmt, die sich an der Bibel und der religiösen Tradition orientierte: Wenn es eben geschrieben stand, dass die Sonne sich bewegt und nicht die Erde, dann galt das eben. Wer dagegen verstieß, musste mit Strafen bis hin zum Feuertod rechnen.

Wissenschaft im Mittelalter war im Wesentlichen eine Buchwissenschaft: wenn man wissen wollte, was war, griff man auf das in Büchern überlieferte Wissen von Autoritäten zurück.

1.3       Humanismus und Renaissance

1.3.1     Die Eroberung Konstantinopels als Treibsatz wissenschaftlichen Fortschritts

Das änderte sich, als nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453 nicht nur sehr viel Wissen ins westliche Europa auswanderte (vor allem nach Florenz), sondern auch ein neues Denken Einzug hielt. Ab jetzt stand immer mehr der Mensch im Mittelpunkt (deshalb auch der Begriff des Humanismus), was sich unter anderem an einer Veränderung in der Bildhauerei zeigte. War es bisher üblich gewesen, dass Figuren angelehnt an Wände präsentiert wurden, so standen sie ab jetzt mehr oder weniger frei im Raum.

1.3.2     Renaissance

Weil man sich ganz allgemein und besonders in der Kunst an der Antike orientierte, hat sich der Begriff der Renaissance (Wiedergeburt) eingebürgert.

1.3.3     Humanismus als neue Art der Wissenschaft

Das, was bisher für selbstverständlich gehalten wurde, wurde jetzt überprüft. Das führte unter anderem dazu, dass ein Humanist (auch die Gelehrten dieser Zeit nannten sich so) eine der berühmtesten Urkunden des Mittelalters, die so genannte Konstantinische Schenkung, als das entlarvte, was sie war, eine Fälschung. Es handelte sich um einen angeblichen Erlass des ersten christlichen Kaisers Konstantin, der dem Papst Rom und gleich den ganzen Westen des Reiches übergeben hatte.

1.3.4     Das Experiment als neue Basis der Wissenschaft

Neu war auch, dass man jetzt anfing, Wissen nicht mehr nur aus Büchern zu ziehen, sondern auch aus Experimenten zu gewinnen. Das ging so weit, dass berühmte Künstler der Renaissance wie zum Beispiel Michelangelo heimlich Leichen aufschnitten, um das Zusammenspiel der Muskeln besser zu begreifen.

1.3.5     Die Begeisterung angesichts der neuen Möglichkeiten

Insgesamt handelte es sich um einen ungeheuren geistigen Aufbruch, der einen der Humanisten zu dem Ausruf verleitete: „“O Jahrhundert, o Wissenschaft! Es ist eine Lust zu leben. Die Studien blühen, die Geister regen sich. Barbarei, nimm dir einen Strick und mach‘ dich auf Verbannung gefaßt!“

1.4       Die Entdeckungen

1.4.1     Neuzeit – das heißt: sich neue Räume erschließen, Grenzen zu überschreiten

Typisch für die Neuzeit ab dem 15. Jahrhundert ist auch, dass die Menschen anfingen, über die bisherigen räumlichen Grenzen hinaus zu gehen. Das betraf zunächst einmal, wie das Beispiel des Gelehrten Petrarca zeigt, das Besteigen von Bergen. Im Mittelalter waren das ferne, unzugängliche Welten, denen man sich nur zuwandte, wenn man sie nicht umgehen konnte. Jetzt fing man an, sie zu besteigen und sich an den dort möglichen Ausblicken zu erfreuen.

1.4.2     Die besondere „Grenzüberschreitung“: Asien auf dem Westweg ansteuern

Aber es ging nicht nur um Gefühlsmomente, sondern auch um wirtschaftliche Interessen. Es war schon die Rede davon, dass die Türken Konstantinopel erobert hatten und damit der bisherige Weg nach Asien über Land gesperrt war. Es war Kolumbus, der den Versuch unternahm, auf dem Westweg über See nach Japan, China und Indien zu gelangen. Bis zum Ende seines Lebens glaubte er, dort angelangt zu sein und „Indianer“ getroffen zu haben. Zwar stellte sich das später als Irrtum heraus, das ändert aber nichts daran, dass Kolumbus und seine erobernden Nachfolger das europäische Weltbild erweiterten und dafür sorgten, dass noch heute die Hälfte des amerikanischen Kontinents Spanisch bzw. Portugiesisch spricht. Aktuell sieht es ja so aus, dass auch der Norden Amerikas immer stärker „hispanisiert“ wird.

1.5       Der Frühkapitalismus

1.5.1     Das Zinsverbot des christlichen Mittelalters

Es war schon die Rede davon, dass auch im ökonomischen Bereich ein neues Denken einsetzte. Im Christentum galt ursprünglich ein Zinsverbot, das unter anderem mit dazu beitrug, dass die davon befreiten Juden vor allem mit dem Verleihen von Geld beschäftigt waren, was ihnen für Jahrhunderte entsprechende Vorteile eintrug. Ab dem 14. Jahrhundert entwickelte sich jetzt eine frühkapitalistische Vorstellung vom Geld. Dieses wurde als etwas angesehen, mit dem man arbeiten konnte. Wer bereit war, ein gewisses Risiko einzugehen, der konnte auch entsprechende Gewinne einstreichen.

1.5.2     Das neue Denken: Wer früh aufsteht, kann mehr Gewinn machen

Bezeichnend ist eine Inschrift in Florenz, wo ein Händler, dem es gelungen war, durch frühes Aufstehen und rechtzeitiges Erscheinen am Hafen einen großen Coup zu landen, über einem Fenster – schön sichtbar für seinen etwas verschlafeneren Bruder – die Inschrift anbrachte „Schlafen bringt keinen Gewinn!

1.5.3     Begriffe aus der Zeit, die noch heute gelten

Noch heute kann man an Begriffen wie „Konto“, „Giro“, aber auch „bankrott“ sehen, dass der moderne Kapitalismus im Italien der frühen Neuzeit entstanden ist.

1.6       Veränderungen in der Religion

Es war eben schon von vielfältigen Formen des neuen Denkens die Rede. Am stärksten wirkte sich im 16. und 17. Jahrhundert aus, dass auch im religiösen Bereich nicht mehr alles geglaubt wurde, was aus Rom kam.

Diese Entwicklung ist aber so wichtig, dass wir sie uns in einem eigenen Kapitel anschauen.

1       Die Neuzeit II – Die Reformation krempelt Europa um

In der Geschichte der katholischen Kirche des Mittelalters hatte es immer wieder Reformbewegungen – vor allem im Mönchtum – gegeben. Aber das reichte um 1500 nicht mehr aus. Die selbständiger gewordenen Menschen fingen an, religiöse Fragen nicht mehr den Priestern bzw. der Kirche allgemein zu überlassen – und am Ende stand eine stark veränderte Christenheit in Europa – mit zwei verschiedenen Konfessionen.

1.1       Die Infragestellung der Papstkirche

Wir hatten schon davon gesprochen, dass zu Beginn der Neuzeit immer mehr Menschen mit dem selbstständigen Denken anfingen, und in Frage stellten, was von oben befohlen und gelehrt wurde. Dies betraf auch die Religion: Immer mehr Menschen störten sich daran, dass Päpste wie ganz normale Fürsten Krieg führten oder sogar mitten in Rom sehr unsittlich lebten.

Kurz nach 1500 kam dann ein ganz besonderes Problem hinzu, das das Fass zum Überlaufen brachte: Der Papst brauchte für den Neubau der Peterskirche in Rom viel Geld – also wurden in seinem Namen Ablassbriefe verkauft. Gemeint war damit, dass, wer eine bestimmte Summe Geld bezahlte, dem wurden sogenannte zeitliche Sündenstrafen erlassen. Nach Auffassung der katholischen Kirche kommt man ja nach dem Tod erst mal in ein Fegefeuer, bei dem alle Sünden gewissermaßen weggebrannt werden. Schon immer glaubte man, dass gute Werke – auch noch von Nachfahren oder Freunden – einem helfen konnten, diese Zeitstrafen zu verkürzen.

Jetzt aber ging es gar nicht mehr um Buße oder fromme Werke: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“ – so der Grundsatz des Ablasspredigers Tetzel.

1.2       Luthers neue Ideen

Ein junger Mönch und Gelehrter namens Martin Luther fand das ganz unmöglich und entwickelte eine Gegenlehre, die besagte, dass der Mensch allein durch die Gnade Gottes gerettet wird und gute Werke höchstens eine Begleiterscheinung oder Folge sind.

Als er entsprechende Thesen 1517 in Wittenberg veröffentlichte, fand er so viele Anhänger, dass daraus die Reformation wurde. Es entstand mit den Protestanten oder Evangelischen eine neue christliche Konfession, die sich schließlich als gleichberechtigt vor allem im Norden Europas und Deutschlands durchsetzen konnte.

Die Kernpunkte der neuen Religionsauffassung waren:

  1. Der Mensch wird allein durch den Glauben selig – nicht primär durch gute Werke.
  2. Die religiöse Wahrheit ergibt sich allein durch die Bibel – und nicht durch irgendeine religiöse Autorität in irgendeinem „Rom“.
  3. Dazu kam noch das allgemeine Priestertum, d.h. Jeder protestantische Christ war gleichberechtigt – es gab keine Sakramente, die nur geweihten Geistlichen vorbehalten gewesen wären.

Es ist klar, dass ein solch persönliches, individuelles Christentum, in dem jeder Gläubige Verantwortung trägt und sich einbringen kann mit seinem Bibelverständnis, enorme Auswirkungen hat auf Bildung und Kultur.

Übrigens: Auch die von Rom abgefallenen Christen sollten eine kirchliche Leitung haben – die katholischen Bischöfe konnten das nicht mehr sein. Es war typisch für Luther, der recht obrigkeitshörig war, dass für ihn die Landesfürsten als „Notbischöfe“ einspringen sollten. Das hat sich in den „lutherischen“ Kirchen, die Deutschland prägten, bis ins wilhelminische Kaiserreich hinein erhalten.

Eine ganz andere Lösung fand sich in einer anderen Spielart des Protestantismus.

1.3       Die „calvinistische“ Variante der Reformation

Luther blieb also nicht allein mit seiner neuen Auffassung vom Christentum: Daneben gab es noch einen gewissen Calvin, der eine noch stärker „reformierte“ Auffassung vertrat und in Genf fast eine Art Gottesstaat einrichtete, in dem sogar Kinder ihre Eltern bespitzelten.

Seltsam war, dass die Autorität der Kirche so hoch gehängt wurde, während gleichzeitig – anders als bei Luther – den Christen sogar ein Widerstandsrecht eingeräumt wurde gegen einen ungerecht agierenden Staat. Bei Luther gab es als Reaktionsmöglichkeit nur das Gebet und leidenden Gehorsam.

Viel wichtiger aber beim Calvinismus war die sogenannte „Prädestinationslehre“: Sie besagte, dass Gott bereits vor Beginn der Welt fest gelegt hätte, wer in den Himmel kommt und wer in die Hölle. Nun könnte man aus heutiger Sicht meinen, dass sich aus dieser Vorstellung ein gewisser Fatalismus oder auch Relativismus ergibt – nach dem Motto: Wenn ich sowieso nichts ändern kann, dann kann ich auch tun lassen, was ich will.

Das ist aber eine sehr moderne Vorstellung, für die Menschen des 16. Jahrhunderts war das Jenseits immer noch ein zentraler Bezugspunkt ihres Lebens. Es war für sie ein unerträglicher Gedanke, nach dem Tode in der Hölle zu landen. Auch für Luther war die zentrale Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Er hatte darauf die Antwort: allein durch die Gnade Gottes und die ist für jeden Menschen verfügbar, er muss sie nur annehmen.

Ganz anders bei Calvin: Dort ist die göttliche Gnade wie gesagt vorherbestimmt, aber es gab eine Möglichkeit, zumindest herauszufinden, ob man zu den göttlich Glücklichen gehörte. Der Prüfmechanismus war der Test der Gnade Gottes – und die zeigte sich vor allem in persönlichem und besonders wirtschaftlichem Erfolg.

Wie sehr übrigens unter Calvin bestimmte Praktiken der katholischen Inquisition fortgesetzt wurden, zeigt nicht nur die Anstiftung der Kinder zur Bespitzelung ihrer Eltern, sondern auch die Fortsetzung der tödlichen Bekämpfung angeblicher Ketzer, wie es der Fall des 1553 in Genf als Ketzer verbrannten Miguel Servet zeigt.

 

1.4      Der ökonomische und soziale Effekt des Calvinismus

Damit ergab sich zugleich ein grandioser gesamtgesellschaftlicher Effekt: Gab es genügend Calvinisten in einem Volk – und strengten die sich alle an, um die Gnade Gottes in ihrem persönlichen Leben auszutesten, dann war zumindest statistisch der Erfolg vorprogrammiert – so viel Scheitern ist schließlich bei viel Anstrengung gar nicht möglich.

Und so kam denn auch um 1900 der Soziologe Max Weber auf den Gedanken, den wirtschaftlichen Erfolg der angelsächsischen Welt mit den Grundideen des Protestantismus zu verbinden. In den Jahren 1904 und 1905 erschien ein zweiteiliger Aufsatz unter dem bezeichnenden Titel „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“.

Im Zeitalter des aktuell wild gewordenen Raubtierkapitalismus mit besonderer Bevorzugung der „systemischen“, d.h. „unkaputtbaren“ Finanzwelt überkommen einen allerdings zwiespältige Gefühle, wenn Ethik so einseitig im Sinne des Kapitalismus und des wirtschaftlichen Erfolgs (immer auch zu Lasten anderer) definiert wird.

1.5       Die Reaktion auf die Kirchenspaltung in Europa

Aber zurück zu den Entwicklungen im 16. und 17. Jahrhundert: Wie es im Leben so ist: Die katholische Kirche reagierte natürlich auch auf ihre Infragestellung und zwar mit der sogenannten Gegenreformation und konnte einen Teil des alten Bekenntnisgebietes wieder zurückgewinnen.

Auf jeden Fall aber ergab sich eine völlig neue religiöse Situation in Europa und die Spaltung in zwei Konfessionen gefährdete auch die bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Systeme – die fanden aber auch darauf eine Antwort: den Absolutismus.

Schauen wir uns die Entwicklung mal genauer an:

Weiterführende Hinweise