Worum es hier geht:
- Worum geht es?
Schiller gehörte einer Zeit an, in der man nicht nur an das Gute im Menschen glaubte. Vielmehr sah man auch die Notwendigkeit, dass man es in ihm erweckt, er es aus sich „herausarbeitet“. - Dabei sollte das Theater eine besondere Rolle spielten.
- Eine wichtige Quelle für Schillers Vorstellungen ist seine Beantwortung der Frage „Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?“
- Bekannt geworden ist sein Vortrag vom 26. Juli 1784 unter dem Titel „Die Schaubühne als moralische Anstalt“.
- Zu finden ist der Text u.a. hier.
Zum Einstieg erst mal ein Schaubild:
Das Bild gibt es übrigens genauso wie den Text unten als Download-Variante.
Anmerkungen zum Schaubild
- Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der Gedanke, dass die Gesetze eines Staates alleine für sich „unzulänglich“ sind, vorwiegend Verbote formulieren, Grenzen setzen.
- „Religion„, im Sinne der innersten Überzeugungen und moralischen Bindungen eines Menschen ermöglicht darüber hinaus positives Handeln:
„Gesetze hemmen nur Wirkungen, die den Zusammenhang der Gesellschaft auflösen – Religion befiehlt solche, die ihn inniger machen.“
— - In der Praxis seiner Zeit sieht Schiller aber auch die Religion in einer gewissermaßen reduzierten Situation, wobei er wohl an die Aufklärung denkt, die sowohl die „Schreckbilder“ wie auch die „Lockungen“ reduziert hat.
— - An dieser Stelle nun tritt für ihn die Bühne, das Theater an die Leerstelle des maximalen Eindrucks:
„Welche Verstärkung für Religion und Gesetze, wenn sie mit der Schaubühne in Bund treten, wo Anschauung und lebendige Gegenwart ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit und Elend, Torheit und Weisheit in tausend Gemälden fasslich und wahr an dem Menschen vorübergehen, wo die Vorsehung ihre Rätsel auflöst, ihren Knoten vor seinen Augen entwickelt, wo das menschliche Herz auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten Regungen beichtet, alle Larven fallen, alle Schminke verfliegt und die Wahrheit unbestechlich wie Rhadamanthus Gericht hält.“
[Gemeint ist Rhadamanthys, ein Richter der Unterwelt in der griechischen Mythologie.]
— - Schiller stellt sich regelrecht eine „Gerichtsbarkeit der Bühne“ vor, die dort beginnt, „wo das Gebiet der weltlichen Gesetze sich endigt“. Er führt viele Beispiele aus der Geschichte an, bei denen jemand für seine Untaten nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden konnte – aber auf der Bühne können sie im Spiel eines Dramas gewissermaßen auf ewig dem Urteil der Zuschauer preisgegeben werden.
— - Dabei geht es Schiller aber weniger um konkrete historische Gestalten – was auch angesichts der Fiktionalität von Literatur ein Problem wäre. Vielmehr können literarische Figuren gewissermaßen in ihrem Handeln zum negativen Symbol werden. Als Beispiel nennt er selbst den üblen Franz Moor aus seinem Stück „Die Räuber“. Dies könne vor allem „mit der Moral des gemeinen Mannes […] in eins zusammenfließen“, also breite Bevölkerungsschichten beeinflussen – und zwar „unauslöschlich„. Für Schiller stellen also Theatererfahrungen eine Art Potenzial dar, das in den Hintergrund treten kann, aber erwacht, wenn es gebraucht wird.
— - Aber nicht nur Laster können für Schiller durch das Theater gebändigt werden, auch Tugenden werden gefördert. Die Bühne „kleidet die strenge Pflicht in ein reizendes, lockendes Gewand.“ Er geht sogar so weit sich vorzustellen, dass das hochmoralische Geschehen auf der Bühne direkt auf die Zuschauer abfärbt – zur Nachahmung und Übertragung auf ihren persönlichen Bereich bereit.
— - Einen großen Wirkungsbereich des Theaters sieht Schiller auch in der Komödie: Ausgehend von der Erfahrung seines Lebens, dass es mehr Dumme gibt als Verbrecher, die Unheil anrichten, will er hier „Spott und Verachtung“ wirken lassen. Diese wirkt für ihn vor allem da, wo man sich vor dem Schrecklichen feige verkriecht. Allerdings hofft er in diesem Zusammenhang eher auf eine „sanfte Ermahnung“, die die „Empfindlichkeit“ der Menschen schont.
— - Schiller sichert sich aber auch ab, was die Wirkung des Theaters angeht – er markiert gewissermaßen eine untere Auffanglinie: Wenn die Bühne nicht alle Verbrecher auf einen besseren Weg führt und menschliche Schwächen nicht genügend durch Humor gefiltert werden – dann schafft alles das zumindest bei den Zuschauern eine Art „Vor-Sicht“:
„Mit diesen Lasterhaften, diesen Toren müssen wir leben. Wir müssen ihnen ausweichen oder begegnen; wir müssen sie untergraben oder ihnen unterliegen. Jetzt aber überraschen sie uns nicht mehr. Wir sind auf ihre Anschläge vorbereitet. Die Schaubühne hat uns das Geheimnis verraten, sie ausfindig und unschädlich zu machen.“
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- Und – in noch weiterer Reduktion: Wenn auch das „Unschädlich-Machen“ von bösen oder dummen Verhaltensweisen nicht funktioniert, so „lehrt uns die große Kunst, sie zu ertragen„. Das eigene Herz wird durch Theatererfahrungen gewissermaßen „gehärtet“.
— - Damit ist Schiller am Ende dessen angelangt, was man für sich selbst erreicht. Er geht auch soweit an die zu denken, die das Schicksal auf die schiefe Bahn oder in die Misere geführt hat: Die Bühne „lehrt uns auch gerechter gegen den Unglücklichen sein und nachsichtsvoller über ihn richten„. Ja, er ist sich sicher: „Menschlichkeit und Duldung fangen an, der herrschende Geist unsrer Zeit zu werden“. Es sind für Schiller die Bühnenstücke, „die den Menschen mit dem Menschen bekannt machten und das geheime Räderwerk aufdeckten, nach welchem er handelt.“
— - Am Ende sieht Schiller noch eine kleine, besondere Gruppe von Menschen, für die die Bühne wichtig ist, nämlich die „Großen der Welt“, die dort etwas erleben, was ihnen sonst niemand zu sagen wagt.