Schnell durchblicken: Stolberg, „Genius“ oder „An die Natur“ – Gedicht des „Sturm und Drang“ (Mat1707)

Worum es hier geht:

Wir stellen ein Gedicht von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg vor, das das Dichtergenie im Vergleich zu einem Adler rühmt.

Zu finden ist das Gedicht z.B. mit der Überschrift „Genius“ hier.

Wir haben uns hier für die Titel-Variante „An die Natur“ entschieden – entsprechend der Sammlung „50 Gedichte des Sturm und Drang“, herausgegeben von Matthias Luserke-Jaqui im Reclam-Verlag 2020, auf der Seite 41.

Es gibt aber noch ein anderes Gedicht von diesem Dichter mit dem gleichen Titel, das aber sehr viel lockerer gestaltet ist. Zu finden ist es hier.

Anmerkungen zu Strophe 1

  1. Den schwachen Flügel reizet der Äther nicht
  2. Im Felsenneste fühlt sich der Adler schon
  3. Voll seiner Urkraft, hebt den Fittich,
  4. Senkt sich, und hebt sich, und trinkt die Sonne.
  • Das Gedicht beginnt etwas seltsam mit der negativen Bemerkung, dass der Äther, also die höheren Luftschichten, einen schwachen Flügel nicht reizen.
  • Klarer wäre gewesen, wenn es etwa so formuliert worden wäre.
    • Der schwache Flügel hält sich fern vom Äther.
    • Man müsste mal klären, was genau Äther ist, wahrscheinlich sind damit die höheren Luftschichten gemeint.
      Ein Blick in die Wikipedia schafft Klarheit und bestätigt die Vermutung:
      „Aither oder Aether, Personifikation des „oberen Himmels“ in der griechischen Mythologie“.
    • Und in einer Zusammenstellung des deutschen Wortschatzes findet man:
      „[gehoben] wolkenlose Himmelsluft, Himmelsweite“
  • Dann wird der Gegensatz aufgebaut, auf den es dem lyrischen Ich ankommt. Es geht darum, was in einem starken Adler vorgeht, bevor er sich wahrscheinlich in die Lüfte erhebt. Wichtig ist dabei der Hinweis auf die Kraft und schließlich den Genuss der Sonne. Der wird im Bild des Trinkens besonders hervorgehoben.

Anmerkungen zu Strophe 2

  1. Du gabst, Natur, ihm Flug und den Sonnendurst!
  2. Mir gabst du Feuer! Durst nach Unsterblichkeit!
  3. Dies Toben in der Brust! Dies Staunen,
  4. Welches durch jegliche Nerve zittert,
  • In der zweiten Strophe wird die Natur angeredet, die dem Adler besondere Fähigkeiten zum Fliegen geben und zugleich das Streben nach der Sonne.
  • Damit wird auch die Frage, was mit „Äther“ gemeint ist, schon etwas textintern geklärt. Es geht wirklich um Luftschichten, die der Sonne so nah wie möglich kommen.
  • Anschließend geht das lyrische Ich auf sich selbst ein und zeigt Parallelen auf zum Flug des Adlers und zu seinem Bestreben.

Anmerkungen zu Strophe 3

  1. Wenn schon die Seelen werdender Lieder mir
  2. Das Haupt umschweben, eh das nachahmende
  3. Gewand der Sprache sie umfließet,
  4. Ohne den geistigen Flug zu hemmen!
  • Die dritte Strophe wendet sich dann dem dichterischen Schaffen des lyrischen Ichs zu.
  • Betont werden zwei Stufen des poetischen Ablaufs:
    • Zunächst sind da die Ideen,
    • dann geht es darum, dass diese auch sprachlich ummantelt werden.
  • Wichtig ist dabei, dass die Sprache den Flug der Gedanken nicht bremst.

Anmerkungen zu Strophe 4

  1. Du gabst mir Schwingen hoher Begeisterung!
  2. Gefühl des Wahren, Liebe des Schönen, du!
  3. Du lehrst mich neue Höhen finden,
  4. Welche das Auge der Kunst nicht spähet!
  • In der vierten Strophe wendet sich das lyrische Ich wieder der Natur zu und beschreibt die Gaben, die ihm als Dichter geschenkt worden sind.
  • Deutlich wird am Ende ein besonderes Merkmal des Kunstverständnisses, nämlich die Originalität, die mit Genialität verbunden ist. Darauf hat die eine Überschriften-Variante ja den Leser bereits vorbereitet.

Anmerkungen zu Strophe 5

  1. Von dir geleitet, wird mir die Sternenbahn
  2. Nicht hoch, und tief sein nicht der Oceanus,
  3. Die Mitternacht nicht dunkel, blendend
  4. Nicht des vertrauten Olymps Umstrahlung!
  • Die letzte Strophe beschreibt dann die Erwartungen des lyrischen Ichs an seine Kunstfertigkeit: Die erstreckt sich in ungeheure Höhen und genauso in entsprechende Tiefen.
  • Selbst die Mitternacht ist für eine solche innere Helligkeit nicht dunkel und der Olymp, also der Sitz der Götter, blendet dieses lyrische Ich nach seiner selbstbewussten Auffassung nicht.

Zusammenfassung:

  1. Insgesamt ein Gedicht, das das Bild des Adlers verwendet, um die eigene Stärke und die Sonnennähe des künstlerischen Genies hervorzuheben.
  2. Als solches fühlt sich das lyrische Ich stark und glaubt, keine Grenzen zu kennen, um völlig Neues schaffen zu können.
  3. Dabei ist ihm der Schritt vom Gedanken hin zur passenden Sprache als Herausforderung sehr wohl bewusst.
  4. Es wird deutlich, dass das Gedicht sehr gut geeignet ist, um die Bedeutung des Genies in der Epoche des Sturm und Drang deutlich zu machen. Man kann es auch gut vergleichen mit Lessings Gedicht „An den Herrn Marpurg“. Dort gibt es nämlich in der Epoche der Aufklärung schon gewisse Genie-Vorstufen zum „Sturm und Drang“.
    https://www.einfach-gezeigt.de/abitur-m%C3%BCndlich-lessing-marpurg

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