Schnell durchblicken: Theodor Körner, „Aufruf“ (Mat4827)

Worum es hier geht:

Theodor Körner, „Aufruf“: Hemmungsloser Chauvinismus oder zeitbedingtes Zeugnis für Nationalgefühl im Abwehrkampf gegen Napoleon?

Theodor Körner ist ein sehr umstrittener Dichter der Befreiungskriege gegen Napoleon. Am Beispiel seines Gedichtes „Aufruf“ wird sehr gut deutlich, wie weit Freiheitsdrang und Nationalgefühl in konkreten Kampfsituationen gehen können. Interessant ist ein Vergleich mit der französischen Nationalhymne.

Das Gedicht ist zum Beispiel hier zu finden.

Strophe 1 und Anmerkungen dazu

Theodor Körner

Aufruf

Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen,

Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht.

Du sollst den Stahl in Feindes Herzen tauchen;

Frisch auf, mein Volk! – Die Flammenzeichen rauchen,

Die Saat ist reif – ihr Schnitter, zaudert nicht!

Das höchste Heil, das letzte, liegt im Schwerte!

Drück‘ dir den Speer ins treue Herz hinein! –

Der Freiheit eine Gasse! – Wasch‘ die Erde,

Dein deutsches Land, mit deinem Blute rein!

 

Anm:

  • Hier werden zwei Dinge deutlich:
  • Zum einen die besondere Gefahrensituation, in der man sich meint zu befinden.
  • Zum anderen die Bereitschaft, bis zum Äußersten zu gehen, auch Blut zu vergießen. Interessant ist aber, dass das eigene Blut hier häufiger erwähnt wird als das der Feinde.
  • Strophe 2 und Anmerkungen dazu

Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen;

Es ist ein Kreuzzug ’s ist ein heil’ger Krieg!

Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen

Hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen –

Errette sie mit deiner Freiheit Sieg!

Das Winseln deiner Greise ruft: »Erwache!«

Der Hütte Schutt verflucht die Räuberbrut,

Die Schande deiner Töchter schreit um Rache,

Der Meuchelmord der Söhne schreit nach Blut.

Anm:

Deutlich wird hier, dass es eine Menge „Vor-Fälle“ gegeben haben muss, die zum Verständnis der Entschlossenheit und Aggressivität des Gedichtes herangezogen werden müssen.

Bezeichnend ist ja der Ausspruch Napoleons gegenüber Metternich, in dem er ganz offen erklärte

Napoleon:  „… Ich bin im Felde aufgewachsen, und ein Mann wie ich schert sich wenig um das Leben einer Million Menschen … Die Franzosen können sich nicht über mich beklagen; um sie zu schonen, habe ich die Deutschen und die Polen geopfert. Ich haben in dem Feldzug von Moskau 300.000 Mann verloren; es waren nicht mehr als 30.000 Franzosen darunter.“

Metternich: „Sie vergessen, Sire, dass Sie zu einem Deutschen sprechen!'“

(zitiert nach: http://www.waldorf-ideen-pool.de/Schule/faecher/geschichte/klasse-7/napoleon/-meine-herrschaft-ueberdauert-den-tag-nicht-an-dem-ich-…
Dort gibt es auch den genauen Quellenhinweis.

Strophe 3 und Anmerkungen dazu

Zerbrich den Pflugschar, lass den Meißel fallen,

Die Leier still, den Webstuhl ruhig stehn!

Verlasse deine Höfe, deine Hallen!

Vor dessen Antlitz deine Fahnen wallen,

Er will sein Volk in Waffenrüstung sehn.

Denn einen großen Altar sollst du bauen

In seiner Freiheit ew’gem Morgenrot;

Mit deinem Schwert sollst du die Steine hauen,

Der Tempel gründe sich auf Heldentod!

Anm:

  • Deutlich wird hier, dass der „Heldentod“ nicht Selbstzweck ist, sondern das Ziel hat, die Freiheit wieder zu erreichen bzw. zu sichern.

Strophe 4 und Anmerkungen dazu

Was weint ihr, Mädchen, warum klagt ihr, Weiber,

Für die der Herr die Schwerter nicht gestählt,

Wenn wir entzückt die jugendlichen Leiber

Hinwerfen in die Scharen eurer Räuber,

Dass euch des Kampfes kühne Wollust fehlt?

Ihr könnt ja froh zu Gottes Altar treten!

Für Wunden gab er zarte Sorgsamkeit,

Gab euch in euern herzlichen Gebeten

Den schönen, reinen Sieg der Frömmigkeit!

Anm:

Hier merkt man natürlich, aus welcher Zeit dieser „Aufruf“ stammt – den Frauen und Mädchen werden ganz eindeutig traditionelle Rollen zugewiesen, obwohl es auch Ausnahmen gab, Frauen, die – aber eben verkleidet – gegen Napoleon mitkämpften.
https://de.wikipedia.org/wiki/Eleonore_Prochaska

Strophe 5 und Anmerkungen dazu

So betet, dass die alte Kraft erwache,

Dass wir dastehn, das alte Volk des Siegs!

Die Märtyrer der heil’gen deutschen Sache,

O, ruft sie an als Genien der Rache,

Als gute Engel des gerechten Kriegs!

Luise, schwebe segnend um den Gatten!

Geist unsers Ferdinands, voran dem Zug!

 

Anm:

Hier auch noch mal der klare Aufruf an sich selbst – und weniger gegen andere, auch wenn von „Rache“ die Rede ist – s.o.

 

Strophe 6 und Anmerkungen dazu

Und all‘ ihr deutschen, freien Heldenschatten,

Mit uns, mit uns und unsrer Fahnen Flug!

Der Himmel hilft, die Hölle muss uns weichen!

Drauf, wack’res Volk! Drauf! ruft die Freiheit, drauf!

Hoch schlägt dein Herz, hoch wachsen deine Eichen.

Was kümmern dich die Hügel deiner Leichen?

Hoch pflanze da die Freiheitsfahne auf!

Doch stehst du dann, mein Volk, bekränzt vom Glücke,

In deiner Vorzeit heil’gem Siegerglanz:

Vergiss die treuen Toten nicht und schmücke

Auch unsre Urne mit dem Eichenkranz!

 

Anm:

  • Am Ende wird noch einmal zu maximalem Einsatz auch des eigenen Lebens aufgerufen – als einziger Trost bleibt das Nicht-vergessen-Werden.
  • Wenn man diesen Opfergedanken vergleicht mit dem des Ersten Weltkriegs, muss sicher berücksichtigt werden, dass die Deutschen sich angesichts des napoleonischen Ausgreifens in ihr Kulturgebiet in einer eindeutigen Verteidigungsposition befanden.
  • 1914 sah das anders aus – da ging es mehr um mögliche zukünftige Gefahren und die Bereitschaft zum Präventivkrieg.
  • Damit dürfte die oben gestellte Frage auch beantwortet sein: Zumindest dieses Gedicht von Körner ist mehr ein aus der Zeit heraus verständlicher Appell an die eigene Verteidigungsbereitschaft als ein Ausdruck von Aggressivität und Imperialismus bzw. Chauvinismus.

Wikipedia definiert diesen so:

„Chauvinismus im ursprünglichen Sinn ist ein häufig aggressiver Nationalismus, bei dem sich Angehörige einer Nation aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser gegenüber Menschen anderer Nationen überlegen fühlen und sie abwerten.“

 

In Körners Gedicht geht es nicht um eigene Überlegenheit, sondern um das Bemühen, nicht einem übermächtigen Gegner zu unterliegen.

Vergleich mit der französischen Nationalhymne:

Den kompletten Text mit deutscher Übersetzung findet man zum Beispiel hier.

Wir greifen hier nur die folgenden Zeilen heraus und überlassen dem Leser den Vergleich mit dem Gedicht von Körner.

Dabei ist natürlich interessant, dass die französische Hymne immer noch gespielt und gesungen wird, während wohl kaum jemand den Aufruf Körners bei offiziellen Anlässen vortragen würde.

Aber die Deutschen haben eben auch eine andere Geschichte seit den Zeiten Napoleons hinter sich als die Franzosen.

Nun zu den Teilen der Marseillaise, die in unserem Zusammenhang interessant sind:

Gegen uns wurde der Tyrannei
Blutiges Banner erhoben.
Hört ihr im Land
Das Brüllen der grausamen Krieger?
Sie kommen bis in eure Arme,
Eure Söhne, Eure Gefährtinnen zu erwürgen!

Anm:

Auch hier wird deutlich, dass es eine Situation gibt, die die eigene Seite bedroht.

Marschieren wir, marschieren wir!

Bis unreines Blut
unserer Äcker Furchen tränkt!

Anm:

Das hört sich besonders gewalttätig an.

Was will diese Horde von Sklaven,
Von Verrätern, von verschwörerischen Königen?

Anm:

Hier beginnt aber die Unterscheidung zwischen verschiedenen Gruppen auf der Gegenseite.

Jeder ist Soldat, um Euch zu bekämpfen,

Wenn sie fallen, unsere jungen Helden,
Zeugt die Erde neue,
Die bereit sind, gegen Euch zu kämpfen

Anm:

Auch hier der kompromisslose Einsatz des eigenen Lebens:

Versetzt Eure Schläge oder haltet sie zurück!

Verschont diese traurigen Opfer,
Die sich widerwillig gegen uns bewaffnen.
Aber diese blutrünstigen Despoten,
Aber diese Komplizen von Bouillé,
Alle diese Tiger, die erbarmungslos
Die Brust ihrer Mutter zerfleischen!

Anm:

  • Hier kommt etwas, was bei Körner fehlt, nämlich die Unterscheidung zwischen wirklich Schuldigen und anderen, die nur mitmachen mussten.
  • Aber hier hatten es die französischen Patrioten ab 1792 auch leichter als Körner und seine Gesinnungsgenossen, denn auf der anderen Seite standen ja Monarchen, keine Republikaner.
  • Die deutschen Befreiungskämpfer gegen Napoleon kämpften gegen ein System, das zumindest teilweise auch Fortschritt mitbrachte. Auch mussten sie davon ausgehen, dass ihre Gegner weitestgehend freiwillig und überzeugt gegen sie standen.
  • Körner und seine Freunde kämpften also eher einen kulturellen Kampf, wollten ihre Identität und ihre Autonomie bewahren.

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