Schul-Essay: Dürrenmatts groteske Komödie "Die Physiker" und das Phänomen des "schwarzen Schwans" (Mat4041)

Im folgenden soll an einem Beispiel gezeigt werden, wie man auch in der Schule schon einen Essay schreiben kann.
Wörtlich handelt es sich bei dieser Textgattung um einen Versuch und zwar der Klärung eines Problems.
Das Besondere am Essay ist, dass er im Unterschied zu einer Erörterung sich nicht um maximale Sachlichkeit bemüht, sondern auch ganz persönliche Akzente setzt. Das gilt in besonderer Weise auch für die Darstellung. D.h. der Leser soll mit möglichst originellen Gedanken vertraut gemacht werden und sich im Rahmen des möglichen auch daran erfreuen.

Wenn man Dürrenmatts Theaterstück „Die Physiker“ liest, hinterlässt das ein doppeltes Gefühl:
- Zum einen, dass da wirklich ein echtes Problem unserer Zeit auf eine sehr originelle Art und Weise durch gespielt wird.
- Zum anderen, dass das doch in vieler Hinsicht sehr oberflächlich, ja wirklichkeitsfremd geschieht und zudem ohne überzeugenden positiven Ansatz.

Über den ersten Punkt muss man nicht lange reden,
- Spätestens seit der Möglichkeit der Selbstvernichtung der Menschheit durch Atomwaffen ist die Gefahr allen bewusst.
- Aber auch die Entwicklung biologischer Waffen präsentiert Horrorszenarien.

Da ist zum nächst eine unglaubliche Einseitigkeit. Natürlich bedeutet die Entwicklung von Wissenschaft und Technik auch die Zunahme möglicher Gefahren. Aber gerade am Beispiel der Elektrizität (S. 22/23) wird völlig übersehen, dass diese auch vielfältige Vorteile bringt und ihr Einsatz helfen kann, mögliche Gefahren zu verringern.
Natürlich sollte man sich weiterhin vor Stromschlägen hüten, aber ein entsprechender Schutzschalter kann die Gefahr zumindest verringern.
Und die Raumfahrt hat glücklicherweise nicht nur bedauerlicherweise zum Tod einiger Astronauten geführt, sondern auch zu Satelliten, denen wir zum Beispiel Navigationssysteme verdanken.
Sagen wir’s mal etwas provozierend so: Jeder Schüler, der bei einer Erörterung neben den Contra-Argumenten auch die der Pro-Seite berücksichtigt, ist weiter als Friedrich Dürrenmatt in diesem Stück.

Das Problem des Stückes ist außerdem eine vielfache Vereinfachung. Da geht es um das seltsame „System aller möglichen Erfindungen“. Darüber kann sich jeder Wissenschaftler angesichts der Spezialisierung nur wundern.

Auch dass der gesamte mögliche Fortschritt auch mit seinen Gefahren in die Hand eines einzelnen Menschen gelegt wird, dürfte völlig wirklichkeitsfremd sein.
Ebenso die Zuweisung einer übermenschlichen Moral an eine einzelne Berufsgruppe, bei der es sich doch auch um ganz normale Menschen handelt mit ihren vielfältigen Motiven und Interessen.
Ganz lustig mag einem ja der Inspektor im Stück vorkommen, aber jeder ernstzunehmende Vertreter staatlicher Sicherheitsorgane kann diesen Dilettanten, der immer zu spät oder gar nicht mehr kommt, nicht ernst nehmen.
Kommen wir zu Dürrenmatts Lieblingserfindung, dem Zufall. Im Stück ist es die Tatsache, dass Möbius‘ Lösung des Problems der wissenschaftsproduzierten Gefahren durch Selbstzensur der Wissenschaftler geklappt hätte, wenn nicht zufällig die Leiterin der Klinik wahnsinnig und trotzdem sehr fähig gewesen wäre und außerdem einen Kopierer bedienen konnte.

Weil ihm sein Stück wohl selbst nicht ganz überzeugend vorgekommen ist, hat er noch „21 Punkte“ nachgeschoben, auf die wir an anderer Stelle kritisch eingegangen sind:
https://www.schnell-durchblicken2.de/phy-21-punkte
Hier behauptet Dürrenmatt doch tatsächlich in der Nummer 8: „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.“ Schon zu Dürrenmatts Zeit war es so, dass ein Pilot der den den Wetterbericht nicht abholte, einem Unwetter, das ihm dann als Zufall in die Quere gekommen wäre, eher zum Opfer gefallen wäre als ein Kollege, der optimal geplant hätte. Und auch bei einer Operation möchte man einen Arzt am Werke sieht, der dem Zufall entgegen plant.
Was Dürrenmatt vor allem völlig ausgeblendet, sind Möglichkeiten, so etwas wie die von ihm beschriebene Gottesfurcht im Sinne von Ehrfurcht vor dem Leben heranwachsen zu lassen. Die Vorstellung, dass ein außergewöhnlicher Mensch und Wissenschaftler wie Möbius zwei ausgewachsene Geheimagenten in einem Privatgespräch zu Moralisten umpolt, dürfte völlig abwegig sein.

Dazu kommt, dass man dem Stück die Lehre entnehmen kann, dass man nur Pflegerinnen rum bringen muss, um sein Ziel doch erreichen zu können.
Denn die Wahrscheinlichkeit, dass gerade diese eine Klinikdirektorin wahnsinnig ist, erscheint auch sehr weit hergeholt.

Es gibt reale Gefahren, die die Menschheit bedrohen. Die Wissenschaft ist an ihrer Einstellung beteiligt, hat aber immer auch Gegenmittel entwickelt.
Dürrenmatts Stück präsentiert nur den sehr naiven Versuch einer Einmann-Lösung und lässt alles andere aus, was die Situation auch verbessern könnte.
Dazu gehören vor allem demokratische Institutionen wie etwa Parlamente und funktionsfähige und pflichtbewusste Staatsorgane.
Die 21 Punkte, die dem Stück nachgeschoben werden, bleiben sehr allgemein und können auch nicht überzeugen.
Bleibt die Frage nach dem Zufall, der ja anscheinend alle menschlichen Vorsichtsmaßnahmen zu überwindet. Aber auch das ist wieder völlig pauschal und unterscheidet nicht zwischen
- letztlich statistisch berechenbaren Gefahren, also solchen, für die man zumindest Bewältigungsressourcen bereithalten kann,
- und solchen, die völlig unabdingbar sind wie etwa ein plötzlich auftauchender Komet, gegen den es dann keine Abwehrmöglichkeiten dann mehr gibt.

Zum Phänomen des „schwarzen Schwans“ findet man hier nähere Informationen: